Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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gepackt. Werner drehte und wand sich, um aus ihrem Griff zu entkommen. Anja trat, dahinter stehend, von einem Fuß auf den anderen, sie wußte nicht, ob sie zugreifen sollte oder nicht.

      Ringsum ging es zu wie in einem Bienenschwarm oder wie in einem Ameisenhaufen, in den jemand mit einem Stock hineinfuhr und wo alles fieberhaft damit beschäftigt ist, wieder Ordnung zu schaffen.

      Auf höchsten Hochglanz geputzte Pferde traten in der Stallgasse hin und her, während ihre Reiter, selbst im schönsten Dreß, noch immer an ihnen herumputzten oder ihre Stiefel, mit denen sie im Stand waren, aufs neue blank rieben. Schweife wurden verlesen, damit sie schön locker fielen, Pferdenasen ausgewischt und Schöpfe geordnet. Jeder sprach mit jedem, und keiner hörte auf den anderen.

      „Wenn du jetzt nicht aufsitzt …“ Petras Stimme klang nach höchster Alarmstufe.

      Werner fing an zu heulen.

      „Ich will aber nicht!“

      „Dann ist Kerlchen ohne Reiter. Wir rechnen doch mit dir! Das gemeinste ist, jemanden sitzenzulassen, der mit einem rechnet. Siehst du das nicht ein?“ fragte Petra verzweifelt. Vorgestern bei der Hauptprobe war Werner gnädiger Laune gewesen und mitgeritten, ganz ordentlich. Es war ja kein Reiten in diesem Sinne, er mußte nur drauf sitzen und eine einigermaßen gute Figur machen, während Kerlchen, neben und hinter den anderen, in die Halle hinuntertrottete und sich dort vorstellte. Also eine Sache ohne jedes Risiko. Herr Anders hatte sich sogar erboten, Kerlchen bis an die Hallentür zu führen.

      „Vorgestern ist es doch auch gegangen! Also wenn du jetzt nicht augenblicklich –“

      „Was findet denn hier für ein Ringkampf statt?“ fragte jemand hinter ihnen. Petra drehte sich um, ohne Werner loszulassen.

      „Werner will nicht, er bockt!“ Petras Stimme klang verzweifelt. Herr Anders sah sie nachdenklich an.

      „Dann laß ihn doch laufen, den dummen kleinen Kerl“, sagte er freundlich; es klang, als handele es sich um eine Nichtigkeit und nicht um das Nikolausreiten, das einmal im Jahr stattfand. „Wer nicht will, der hat, und wer nicht ißt, ist satt“, sagte Herr Anders heiter, „wie wär’s, wenn Anja einspränge?“

      „An…“ Petra blieb der Mund offenstehen. Auch Anja starrte Herrn Anders an, als verstünde sie die Welt nicht mehr: Der lachte.

      „Sie hat doch schon oft auf Kerlchen gesessen, wenn auch ohne Sattel. Aber mit Sattel ist es auch nicht schwieriger. Und ich führe ihn bis unten. In der Halle geht er wie eine Eins, mitten zwischen den anderen. Also, Anja, willst du, oder willst du nicht?“

      „Oh –“ Diese eine Silbe sagte genug. Petra sah die Freundin einen Augenblick an, ließ dann Kerlchen los – der stand und geduldig wartete auf das, was da kommen würde – und zog ihrem lieben Bruder das schwarze Jackett vom Leibe, das noch von ihr stammte.

      „Los, Anja, anziehen! Paßt dir bestimmt. Die Hose können wir nicht mehr wechseln, aber auf die guckt keiner. Geht’s? Na, wunderbar siehst du aus, wie ein Derbysieger.“

      Anja trug zufällig einen weißen Rollkragenpullover, wie viele Reiter sie unter den schwarzen Jacketts anhatten. Freilich, die helle Turnierhose, die dazugehörte, besaß sie nicht, dafür aber hatte sie heute schwarze Gummistiefel an, die man bei flüchtigem Hinsehen für Reitstiefel halten konnte, und eine hellgraue Ribbelsamthose. Petra riß dem lieben Bruder mit einem geübten Griff die Sturzkappe vom Kopf.

      „Aua!“

      „Macht nichts, warum bist du so stur.“

      Die Kappe paßte. Anja schlug das Herz bis zum Hals. Sie sollte mitreiten! Wenn nur der Reitlehrer nicht im letzten Augenblick doch noch dazwischenfunkte, denn sie war ja nicht im Reitverein.

      „Ach was, der hat heut anderes im Kopf“, sagte Herr Anders und half ihr in den Sattel, „nichts tun als die Zügel halten, ohne daß du ihm weh tust, ihn nicht im Maul stören, verstanden? Kannst du längst, wie oft hast du draußen schon drauf gesessen. Und du, Petra, wen hast du heute?“

      „Die Rumpel. Ich hol’ sie.“

      Die Reiter formierten sich. Die meisten saßen erst unten vor der Tür der Halle auf, ritten hindurch und ordneten sich vor der Zuschauertribüne. Anja kam mit Kerlchen, den Herr Anders hier losließ, neben Wisky, den ein Mädchen, kaum älter als sie, ruhig und sicher hineinlenkte. Kerlchen ließ sich gutwillig neben ihm halten, alles ging viel glatter, als sie gefürchtet hatte. Trotzdem schlug ihr das Herz wie verrückt, und ihr Gaumen fühlte sich ganz trocken an vor Aufregung.

      Die ersten Reiter reihten sich vor der Tribüne auf, einer neben dem anderen. In die zweite Reihe kamen Wisky und Kerlchen, ziemlich weit links. Anja war froh, neben Wisky bleiben zu können und nicht etwa eine neue Reihe anfangen zu müssen. Petra, so sah sie, aus den Augenwinkeln seitwärts schielend, reihte sich in der dritten Reihe ein, aber das machte nichts. Sie war es ja gewöhnt, Rumpel zu dirigieren.

      Die Musik schmetterte los, und ein Zucken ging durch Kerlchens Körper.

      „Ruhig, ruhig“, sagte Anja halblaut, wie sie es oft von den anderen gehört hatte, „keiner tut dir was. Du brauchst nicht zu erschrecken. So, so, siehst du, jetzt ist es gar nicht mehr schlimm, nur anfangs. Ich bin ja auch erschrocken.“

      „Wisky, du Walroß. Wirst du wohl!“ hörte sie von nebenan. Wisky war also auch zusammengefahren. Warum stellten sie auch die Musik so laut…

      Das war tatsächlich ein Fehler gewesen. Anja sah, wie viele Pferde unruhig wurden, nicht nur die von Kindern gerittenen. Creon ging wie ein Schaukelpferd vorn und hinten hoch, Flieder feuerte aus und traf Condor, und der, beleidigt, wandte sich um und biß Flieder in den Widerrist. Cornelia hatte alle Hände voll zu tun, ihn zu beruhigen, außerdem versuchte sie, den Schaum, der von dem Biß an Flieders Hals zurückgeblieben war, mit der einen Hand abzuwischen. Anja hielt sich so still wie möglich auf ihrem Kerlchen und flehte ihn innerlich an, nicht auch verrückt zu spielen. Jetzt wurde die Musik leiser. Ein einziges Glück – die Pferde beruhigten sich, die Reiter entspannten sich. Nun begann die Rede des Vereinsvorsitzenden.

      Die mußte man in Ehren überstehen, da half nichts. Anja verstand kein Wort davon, sie war nur bemüht, möglichst gut und korrekt zu sitzen und ihren Kerlchen bei der Stange zu halten. Es gelang. Und jetzt endete der Redner, die Zuschauer applaudierten, eine neue Unruhe ging durch die Reihen der Pferde, wurde gedämpft, und nun begann das Hinausreiten. Dadurch wurde alles besser, man kann mit einem Pferd immer besser auskommen, wenn es in Bewegung ist. Aber so richtig aufatmen konnte Anja erst, als sie am Stall angelangt war und absitzen durfte. Herr Anders hatte sich unauffällig zu ihr hingeschoben und hielt Kerlchen, während sie sich heruntergleiten ließ.

      „Na, das hast du ja fein gemacht“, lobte er, während sie die Kappe zurechtschob. „Der Werner wird sich schön ärgern. Hinterher ist man dann wütend, wenn man nicht mutig war. Ja, ja, geschenkt wird einem beim Reiten nichts, man muß sich zusammennehmen und es selbst schaffen. Du hast heute damit angefangen.“ Er lächelte ihr zu. Anja wurde feuerrot.

      „War ich gut? Hab’ ich anständig gesessen?“

      „Sehr anständig. Wirst es auf den Bildern sehen, die in den Zeitungen erscheinen.“

      „Was? In die Zeitung kommen wir?“ Anja erschrak fürchterlich. Dann sahen es ihre Eltern womöglich, daß sie mitgeritten war.

      „Was hast du denn? Was ist dehn los?“ fragte Herr Anders, der gemerkt hatte, wie sehr sie erschrak. Sie stammelte etwas von „Vater und Mutter“ und „nicht wissen“.

      „Ach, laß gut sein. Die Bilder in den Zeitungen sind meist nicht sehr scharf. Und wer es nicht weiß, erkennt dich nicht. In Jackett und schwarzer Kappe sehen alle sehr ähnlich aus.“

      Das stimmte. Anja hatte oft beobachtet, wie sehr man sich da irren kann. Wenn sie auf Cornelia wartete und dachte, jetzt müßte sie kommen, dann war es ein paarmal gar nicht Cornelia gewesen, sondern jemand anderes. Vielleicht sah man sie ja auch gar nicht auf dem Foto, weil sie von einem Reiter aus der ersten Reihe verdeckt war. Das wäre übrigens andererseits schade


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