Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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Rändern eine ganz schmale Pelzkante bildete, auch die Taschen waren verziert. Er trug eine Maske, so daß man nicht sehen konnte, wer darunter steckte. Der Reitlehrer sicherlich nicht, zu ihm paßte die Rolle des Nikolaus’ auch nicht, er war eher streng als gütig. Eine hohe rote Mütze machte ihn noch größer.

      Anja war von den immerzu drängelnden Zuschauern nach vorn an die Barriere geschoben worden und stand nun dort, hatte die beste Sicht und lachte Petra zu, die sie sah und ein wenig zu ihr emporwinkte. Mit dem Nikolaus, dem Engel und Kerlchen war noch jemand in die Halle gekommen: Othello. Er machte sich sehr drollig in seiner kleinen schwarzen Dickbäuchigkeit. Die Zuschauer lachten. Er ging um Kerlchen herum, hob die freche Nase und stellte sich dann zum Nikolaus, der ein Gedicht aufzusagen begann. Erst verstand man nicht viel, dann aber, nach einem allgemeinen Zischen: „Ruhe! Wir wollen was hören!“, legte sich das Gemurmel der Zuschauer, und nun konnte man verstehen, was der Heilige sagte. Es bezog sich auf die Reiterei, das Pech oder das Glück der einzelnen Reitvereinsmitglieder, das sie im letzten Jahr gehabt hatten, und war in drollige Verse gekleidet. Immer wieder gab es Gelächter bei den Zuhörern.

      Dann hob der Nikolaus mit Hilfe seines Engelchens den ersten Sack von Kerlchens Rücken herunter, machte ihn auf und entnahm ihm ein eingewikkeltes Geschenk nach dem anderen. Auf den Päckchen stand in großen Buchstaben der Name des jeweiligen Vereinsmitgliedes, und der Nikolaus las ihn, sagte zwei Zeilen, die darunter standen, etwa:

      „Ein Mähnenkamm für Thilos Flieder,

      und für ihn selbst auch hin und wieder“,

      und dann lachte alles, weil Thilo zu den jungen Männern gehörte, die sich mit wallenden Locken schmücken, ob es Mode ist oder nicht, und diese nicht ganz so sorgsam pflegen, wie das bei einer solchen Haartracht nun einmal nötig ist, mögen sie Männer oder Mädchen tragen. Der Jubel der Zuhörer war jedesmal groß.

      Freilich, einer störte diese hübsche Vorführung: Othello. Er fand sich wohl zuwenig beachtet, jedenfalls lief er dauernd zwischen dem Nikolaus und seinem Engel, der die Geschenke auf die Tribüne hinaufreichte, hin und her, knabberte am Sack und steckte seine lackschwarze Nase hinein, und wenn der Nikolaus ihn wegscheuchte, erhob er sich drohend auf die Hinterbeine, legte den Kopf schief und boxte nach ihm. Die Zuschauer lachten. Dann aber begann er, Kerlchen zu ärgern – er stieß ihn gegen die Vorderbeine und biß schließlich in seinen Schweif.

      Kerlchen, sonst rührend geduldig, fing nun auch an, unruhig zu werden. Er schubste Othello mit seinem großen Kopf weg, so daß dieser ein Stück durch die Halle sauste, begann hin und her zu treten und ging schließlich rückwärts.

      Der Nikolaus, durch seine Maske am Sehen etwas behindert, verlor sein Konzept, und die ganze Aufführung geriet ins Wackeln.

      „Schmeiß ihn raus!“ brummte er Petra zu. Die lief hinter Othello her, der sich an die Barriere flüchtete. Dort aber bekam Petra überraschend Hilfe. Anja war blitzschnell auf die hölzerne Schranke gestiegen und in die Halle hinuntergesprungen, zu zweit erwischten sie den kleinen Bock sogleich, und Anja zerrte ihn an seinen Hörnern mit sich, dem Ausgang zu. Othello, der sich nicht gern an den Hörnern packen ließ, stemmte sich und versuchte zu stoßen, aber es half ihm nichts, Anja blieb Sieger.

      „Gut so, endlich hat man seine Ruhe!“ brummte der Nikolaus, rückte seine Maske zurecht und grub aufs neue in seinem Geschenksack, während Anja, nachdem sie den Bock hinausgeschoben hatte, die Tür schnell wieder schloß. Sie blieb aber vorsichtshalber in der Halle, gewärtig, noch einmal aus diesem oder jenem Grund einspringen und helfen zu können. Gerade lachten die Zuschauer wieder laut, es wurde sogar geklatscht – Anja sah auf und verstand sogleich, warum: Kerlchen hatte, um auch etwas von der Bescherung abzubekommen, seine Nase in die eine Tasche des Nikolausmantels gesteckt und diese, wie es seine Spezialität war, dabei halb abgerissen.

      „Also, man kommt doch zu keiner vernünftigen Arbeit“, schalt der Heilige und betrachtete seinen lädierten Mantel, „da wird die Mutter Maria aber ärgerlich sein, wenn sie mir die Tasche wieder annähen muß.“

      „Ich mach’ es dir, Nikolaus!“ rief Petra beschwichtigend. „Die Mutter Maria hat jetzt vor Weihnachten so viel zu tun, da kann sie nicht noch Flickarbeiten verrichten. Der Stall wird renoviert, weil es durchs Dach regnet, und die Krippe von Ochs und Esel soll mit einer automatischen Tränke versehen werden.“ Alle Reitvereinsmitglieder lachten schallend und klatschten in die Hände. In den letzten Wochen hatte der Streit um solche Tränken im Stall wild getobt, man behauptete, es sei nicht zumutbar, daß immerzu das Wasser in Eimern herbeigeschleppt werden müsse. Das war echt Petra, darauf anzuspielen. Der Vorsitzende des Vereins, Herr Heinrich Starke, sah sich ein wenig verlegen lächelnd um – alle lachten ihn an und winkten ihm zu. Nun würde er wohl diese Neuerung genehmigen müssen.

      Die Bescherung ging weiter, nun ohne Unterbrechung von anderer Seite. Einmal kam Petra zu Anja herüber und flüsterte ihr etwas zu.

      „Im Stand von Kerlchen, vorn auf der Krippe, liegt noch ein Paket, das soll der Nikolaus haben. Ich überreiche es ihm dann“, flüsterte sie. „Kannst du es holen? Hat Zeit, mit dem zweiten Sack haben wir ja erst angefangen, und der Nikolaus bekommt das Päckchen erst zum Schluß.“

      Anja nickte. Sie sah noch ein Weilchen zu, dann ging sie unauffällig rückwarts und schlüpfte aus der Tür. Sie hatte schon wieder solchen Durst. Schnell lief sie den kleinen steilen Weg zum Stall hinauf, ging hinein und hielt erst einmal den Mund unter den Wasserhahn. Hach, tat das gut! Und dann ging sie in Kerlchens Stand und fand auch sogleich das Paket.

      „An den ehrwürdigen und schenkfreudigen Nikolaus als kleine Gegengabe für noble Weihnachtsgeschenke“, las sie. Es war schwer. Was mochte darin sein?

      Als sie den Berg wieder hinunterging, vorsichtig am Rand, wo es nicht so glatt war, sah sie sich noch einmal um, ob sie im Stall auch das Licht ausgedreht hatte. Da stutzte sie. An der Längswand des Stalles, dort, wo der Weg zwischen Mist und Stallgebäude hindurchführte, stand der Nikolaus und sprach mit einem kleinen Jungen, den er an der Hand hielt. Besser: den er an der Hand mit sich fortzuziehen versuchte, wogegen der Junge sich aber wehrte.

      „Nein, ich will nicht!“ hörte Anja. Die Stimme kannte sie doch! Und den bockigen Ton! Natürlich, der Junge war Werner, jetzt erkannte sie ihn, Petras kleiner Bruder. Genauso hatte er heute gekreischt, als er Kerlchen reiten sollte.

      „Komm, komm, ich hab’ auch was Schönes für dich!“ lockte der Nikolaus halblaut. Anja war, eigentlich einer ihr selbst nicht erklärlichen Regung folgend, wieder bergauf gelaufen und hatte sich hinter die Stallecke gestellt. Um diese spitzte sie nun herum – was machte denn der Nikolaus hier draußen? Er konnte doch nicht alle in der Halle im Stich lassen, nur um sich um Werner Hartwig zu kümmern?

      Es begann schon zu dämmern. Aber Anja sah den Nikolaus noch ziemlich genau, seinen roten Mantel, seine Stiefel, seine Maske und die hohe Mütze. Die Stimme konnte sie nicht erkennen, durch eine Ganzmaske hört man sie nicht so gut, und er stand auch etwas entfernt von ihr. Aber vorhin in der Halle hatte sie auch nicht feststellen können, wer den Nikolaus spielte. Herr Anders sicherlich nicht, den kannte sie an den Bewegungen. Hinter dem Nikolaus und Werner tauchte jetzt Othello auf und guckte die beiden aufmerksam an. Anja blickte von ihm zum Nikolaus und zu Werner hin, und plötzlich fühlte sie einen heißen Schrecken: Der Nikolaus hatte sich, weil Werner versuchte, seine Hand aus der des Nikolaus’ zu ziehen, ein wenig gedreht, und man sah ihn jetzt von der rechten Seite. Die Manteltasche dort war nicht abgerissen … Und Kerlchen hatte doch vorhin seine Nase hineingesteckt und sie zur Hälfte abgefetzt!

      Oder war es die linke gewesen?! Anja glaubte ganz sicher zu wissen, daß es die rechte war …

      Einer blitzschnellen Überlegung folgend, rannte sie um den Stall herum und guckte von der anderen Seite zu den beiden hin. Jetzt sah sie den Nikolaus von links. Auch dort war die Tasche in Ordnung. Und weiße Pelzkanten an der Kapuze konnte sie auch nicht erkennen. Es mußte ein anderer Nikolaus sein.

      „Lassen Sie Werner los!“ hörte Anja sich schreien, während sie aus ihrem Versteck heraus auf die beiden zurannte.

      „Werner, komm her – lassen Sie ihn los, oder ich hole jemanden!“

      Der


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