Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast
Читать онлайн книгу.nicht mehr nach Cornelia umdrehen.
Am Eingang der Halle stand zum großen Glück Herr Anders. Er lächelte Anja ermutigend zu und legte seine Hand unter ihr gewinkeltes linkes Bein. Hopp, war sie oben, auch ohne Bügel. Er half ihr noch hinein. Petra war schon aufgesprungen, sie kam auch ohne Bügel auf ziemlich hohe Pferde. Sie ritten in die Halle ein.
Und jetzt, als der Zug rundum ging, konnten sie auch Cornelia bewundern. Wirklich bewundern – sie sah entzükkend aus. Zu einem weißseidenen Anzug trug sie eine weiße Perücke und in der einen Hand eine silberne Rose. Später erfuhren die Mädchen, daß sie den Oktavian aus dem „Rosenkavalier“ darstellte. Sie war bestimmt die Schönste der ganzen Runde.
Alles ging glatt. Anja wagte es ein einziges Mal, zu Frau Taube hinaufzublinzeln, die mit einem entzückten Ausdruck zu ihr heruntersah. Ihre Eltern erblickte sie nicht, auch nicht Onkel Kurt, der natürlich versprochen hatte zu kommen. Die Musik setzte ein, es war über die Maßen schön und prächtig. Der Zug ging dreimal um die ganze Halle, also konnte man jeden einzelnen Reiter und sein Kostüm genau betrachten.
„Wer ist denn das?“ fragte Petra einmal halblaut, als sie in der Ecke wendeten. Hinter Cornelia ritt ein schwarzer Ritter, ganz in Eisen – es war sicherlich eine Papprüstung, aber es sah aus wie Eisen –, das Visier des Helmes heruntergeklappt. Er hatte ein schwarzes Pferd, das sie nicht kannte.
„Keine Ahnung. Wenn du es nicht weißt.“
Die Pferde waren von der Musik etwas nervös, sogar Kerlchen fing ein paarmal an zu tänzeln. So war Anja froh, als der erste Reiter zur Halle hinauslenkte. Nun war ihr eigener Auftritt zu Ende, und sie konnte mit Petra den Vorführungen, die noch kamen, in Ruhe zusehen, nachdem sie ihre Pferde versorgt hatten. Sie atmete auf, als sie sich vor der Halle von Kerlchen gleiten ließ.
„Guter, Lieber. Hast es brav gemacht. Ich hab’ auch ein paar schöne knackige Mohrrüben für dich. Die bekommst du jetzt.“ Sie zog ihn mit sich, die Steigung hinauf. Eben verschwand Petra mit ihrem Pferd im Stall.
Gutes und Schlimmes
„Du, Vater, kannst du mal einen Augenblick mitkommen?“ fragte Petra. Sie hatte sich durch die Menge der Feiernden hindurchgedrängt und endlich ihre Eltern gefunden. Sie saßen in der Baracke, in der man sich sonst umzog, Reitkarten kaufte und abgab und Trensen wusch, die aber heute mit Tischen und Stühlen ausgestattet als Festlokal diente.
„Ja, was gibt’s?“ fragte Herr Hartwig.
„Wir brauchen dich. Wir brauchen einen starken Mann oder zwei.“
Petra war, für ihre Verhältnisse jedenfalls, bemerkenswert schüchtern. Herr Hartwig wunderte sich, stand aber dann doch auf und folgte ihr. Sie gingen zum Reiterstübel.
„Das ist Frau Taube, die Mutter von unserem Reitlehrer, und das ist mein Vater“, stellte Petra hastig vor, als sie angekommen waren. Frau Taube saß noch am Tisch, Toni stand daneben. „Wir haben Frau Taube aus ihrem Stübchen im oberen Stock heruntergeholt, damit sie den Faschingszug sehen kann, und nun möchte sie wieder hinauf.“
„Ja, und?“ fragte Petras Vater verständnislos, aber freundlich.
„Wir haben es versucht, Toni und wir“, gestand Petra, dann schwieg sie. Ihr Vater setzte sich.
„Ja?“ fragte er.
Petra wußte nicht weiter, was bei ihr selten vorkam. Da begann Toni zu erklären.
Sie hatten, als die anderen Leute das Lokal verlassen hatten, Frau Taube zur Treppe hingeführt und versucht, sie auf der Rutsche wieder hinaufzuschieben. Das war natürlich nicht gegangen, obwohl Petra, Anja und Toni sich nach Leibeskräften bemüht hatten. Herr Hartwig besichtigte die von Petra und Anja angebrachte Rutsche und schüttelte den Kopf; er schüttelte ihn noch, als er ins Reiterstübel zurückkam.
„Wer hatte denn diese Idee“, fragte er, das heißt, er fragte es nicht, sondern sah nur seine Tochter an.
„Aber …“, setzte Petra an.
„Ich bin selbst schuld, ich hätte nicht darauf eingehen sollen“, sagte Frau Taube und hatte solch ein nettes Lachen um den Mund, daß Herr Hartwig ganz gerührt war, „aber ich wollte halt gar zu gern dabeisein dürfen, endlich wieder einmal.“
„Wir brauchen einen zweiten Mann“, sagte Herr Hartwig entschlossen. „Ich helfe Ihnen. Kannst du nicht deinen Vater holen, Anja, der ist doch auch da, soviel ich weiß?“
„Oder Onkel Kurt“, rief Petra. Sie wußte, das würde Anja lieber sein. Anja nickte erleichtert und rannte davon. Sie fand Onkel Kurt auch bald und kam mit ihm zurück, und die beiden Männer brachten es fertig, Frau Taube zurück in ihr Stübchen zu bringen. Sie bedankte sich sehr. Petras Vater setzte sich zu ihr, nachdem Onkel Kurt gegangen war. Ihn zog es zu Cornelia.
Auch Petra und Anja waren davongelaufen, sie mußten ja im Reitverein helfen. Erst später erfuhren sie, was Herr Hartwig mit Frau Taube besprochen hatte. Und als sie das hörten, strahlten sie und fanden ihn „eine Wucht“.
Ihm war etwas Wundervolles eingefallen. Er wollte mit dem Reitlehrer reden und, dessen Einverständnis vorausgesetzt, für Frau Taube einen kleinen Lift bauen, mit dem sie nicht nur bis ins Reiterstübel und wieder hinauf, sondern sogar bis nach unten fahren konnte.
„Ein paar Schritte bis zu einer Bank, die wir dort aufstellen, werden Sie sicherlich gehen können, und dann haben Sie es doch viel besser“, sagte er herzlich. Frau Taube strahlte.
„Da hat mein Sohn bestimmt nichts dagegen! Wenn das möglich ist …“
„Wozu bin ich denn Architekt.“ Herr Hartwig lächelte. „Möglich ist so was bestimmt. Ich habe mir alles genau angesehen“, sagte er.
Dies alles erfuhren Petra und Anja aber erst später. Jetzt waren sie schwer beschäftigt. Das Faschingsreiten verlief über die Maßen schön und prächtig. Daß Cornelia mit ihrem Kostüm den größten Beifall erntete, war klar, und Onkel Kurt strahlte und war stolz.
Am Abend kam Cornelia mit zu Anjas Eltern, und sie feierten zusammen den gelungenen Tag. Anja saß dabei; sonst hielt sie sich nicht gern bei den Erwachsenen auf, aber wenn Cornelia dabei war, konnte sie nicht widerstehen. Mitten in die Unterhaltung hinein schrillte das Telefon. Vater hob ab und winkte dann Anja heran.
„Petra. Du sollst mal kommen.“
„Haben die beiden nicht den ganzen Tag über Zeit gehabt, sich zu unterhalten?“ fragte Mutter halblaut und ein wenig empört. Dann aber sah sie, wie Anjas Gesicht in ungläubigem Entzükken aufstrahlte.
„Ist das wahr? Wirklich?“ stammelte sie. Und dann, als sie den Hörer aufgelegt hatte, platzte sie heraus:
„Wißt ihr was? Frau Taubes Tochter ist wieder da! Diejenige, die damals im Zorn wegging, vor vielen Jahren! Frau Taube hat uns davon erzählt. Der schwarze Ritter, der heute mitritt im Faschingszug, der mit dem geschlossenen Visier, das war sie …“
„Wahrhaftig?“ fragte Cornelia, der sie damals davon erzählt hatten. Und nun brach aus Anja alles heraus, was Petra ihr berichtet hatte: wie glücklich Frau Taube wäre und auch der Reitlehrer, daß er nun seine Schwester wiederhabe. Sie erzählte und erzählte, und Mutter wunderte sich, wie sehr ihre kleine Anja am Schicksal dieser Leute teilnahm.
„Sie ist eben doch kein solcher Egoist, wie ich manchmal annahm“, dachte sie und betrachtete mit verstohlener Zärtlichkeit das glühende Gesicht ihrer kleinen Tochter. „Hoffentlich muß sie nicht einen ähnlichen Umweg gehen, um zu mir zurückzufinden …“
Es wurde spät, und am nächsten Morgen schlief Anja wieder ein, nachdem Mutter sie geweckt hatte. Mutter merkte es zuerst nicht, dann aber kam sie noch einmal und schalt, und Anja antwortete patzig und frech. Außerdem fand sie das Buch nicht, das sie heute unbedingt in der Schulbücherei abgeben mußte. Sie suchte und suchte, und es wurde spät. Sie rannte dann zur Schule, um die Zeit einzuholen; unterwegs fiel ihr ein, daß ja heute eine Klassenarbeit geschrieben wurde, für die sie sich nicht vorbereitet