Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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      Sie zottelten dahin, Kerlchen in gleichmäßigem, ruhigem Trab, ganz, als habe er wirklich nichts anderes im Leben getan, als den Dogcart gezogen.

      „Vielleicht war er mal ein Milchpferd“, sagte Petra versonnen.

      „Was ist denn das?“ fragte Anja.

      „Na, halt ein Pferd vor dem Milchwagen. Früher wurde die Milch doch ausgefahren, und der Kutscher hatte eine große Schelle, mit der klingelte er. Dann kamen die Hausfrauen mit ihren Kannen und kauften. Sehr hygienisch war das nicht, weil der ganze Staub und Dreck von der Straße mit hineinflog, aber lustig. Jetzt ist die Milch steril verpackt. Ich würde lieber an einem Milchwagen kaufen.“

      „Ich auch. Vieles muß früher komischer gewesen sein“, sagte Anja. „Wenn mein Vater manchmal ins Erzählen kommt –“

      „So, jetzt drehen wir um. Du, ich glaub’, dazu steigen wir lieber aus“, sagte Petra. „Ein Dogcart, der nur zwei Räder hat, dreht zwar auf der Stelle, aber vielleicht –“ Sie war schon abgesprungen, Anja folgte. „Brav, Kerlchen, und jetzt schön nach links, ja, so.“

      Kerlchen wendete. Er trat erst vorsichtig im Kreis, dann aber, als ihm klarzuwerden schien, daß es nun heimwärts ging, zog er gewaltig an.

      „Langsam, langsam – warte –“Petra stemmte sich gegen den Zügel, aber Kerlchen schien das mißzuverstehen. Er ruckte herum, nein, jetzt wollte er heim. So ein Pferd, auch wenn es alt und gutmütig ist, hat schon seine Kraft. Einen Augenblick kämpften sie beide, Petra und Kerlchen, miteinander, dann siegte Kerlchen. Er bog ganz kurz um, der Dogcart kippte auf das äußere Rad, das innere ging hoch, und bums lag der Wagen auf der Seite. Kerlchen erschrak und zog mit einem Ruck an. Petra ließ den Zügel nicht los, wurde aber mit vorwärts gerissen.

      „Halt, halt!“ schrie Anja, aber mit Schreien war natürlich nichts geholfen. Sie rannte also hinterher und griff nach der Lehne des Sitzes, die jetzt senkrecht stand, erwischte sie auch und versuchte, den Wagen zu bremsen. Der schleifte, halb umgekippt, hinter dem Pferd her, das jetzt ganz gedreht hatte und in eiligem Trab, viel schneller als vorhin, der Heimat zustrebte, die beiden Mädchen hinter sich herziehend. Beide versuchten abzustoppen, aber sie konnten gegen den Stalldrang des Pferdes nicht viel ausrichten.

      „Halt, halt! Brrrr, du Himmelsziege! Du darfst ja heim, aber erst –“

      Nun kam die Kurve, und das in diesem Tempo. Petra hatte sie vorausberechnet, war etwas seitwärts gesprungen und kam auch gut herum. Anja wurde zur Seite geschleudert, hing einen Augenblick am Wagen, beide Beine hinter sich herschleifend, und ließ dann doch los. Nun lag sie auf dem Bauch. Doch sie rappelte sich so schnell wie möglich auf und versuchte, dem Fahrzeug nachzurennen, mußte aber aufgeben. Beide Knie wollten nicht recht, sie taten sehr weh, aber gebrochen war nichts, das merkte Anja gleich. Sie humpelte, so gut es eben ging, dem entschwindenden Wagen nach.

      Petra dagegen ließ nicht los. Mehr geschleudert als gezogen, riß es sie am Sprunggarten vorbei, den kleinen Weg zur Halle hin. Dort ging es, gottlob, ziemlich steil bergauf. Da wurde auch Kerlchen das Ziehen des umgekippten Wagens zuviel; er fiel erst in Schritt und blieb dann sogar stehen. Petra auch. Sie pustete.

      „Du bist mir der Rechte. Erst tust du so, als wärst du ein Leben lang Wagenpferd gewesen, und bei der ersten Gelegenheit … Wo ist übrigens Anja geblieben. Die haben wir wohl verloren. Anja, lebst du noch?“ rief sie nach hinten.

      „Ja! Ich komme!“

      „Na, du siehst ja ganz hübsch geküßt aus“, fand Petra, als Anja herangehinkt kam. „Warum steckst du eigentlich die Nase in den einzigen Haufen Pferdeknetel, der auf dem ganzen Weg zu finden war?“

      Anjas Gesicht sah nämlich nicht ganz so sauber aus wie vorher, als sie losfuhren. Sie wischte mit dem Ärmel drüber.

      „Dumme Frage. Das war weicher als die Straße“, brummte sie und spuckte ein bißchen. „In den Mund hätte ich es ja nicht zu nehmen brauchen …“

      „Find’ ich auch. Also los, erst mal den Wagen aufgestellt. Oder spannen wir lieber vorher aus?“

      Das erwies sich als das klügere. Die eine Deichsel war stark verbogen – zum Glück waren es Leichtmetalldeichseln und keine hölzernen.

      „Die wären womöglich gesplittert, und das hätte Kerlchen verletzen können“, sagte Petra und bekam noch im nachhinein weiche Knie, wie sie sagte. „Mensch, wenn der Wagen kaputt ist, das macht nichts. Oder du oder ich. Aber Kerlchen – dem durfte nichts passieren.“

      Petra hatte das Geschirr abgemacht und hob es dem Pferd über den Kopf. Dann nahm sie Kerlchen am Halfter.

      „Komm, mein Süßer. Da hat der heilige Georg aber gut aufgepaßt, daß dir nichts passiert ist.“

      Sie führte ihn den Weg hinauf in den Stall. Anja folgte mit dem Geschirr. Das hängte sie dann hinter die Tür und sah ihre Knie an.

      „Die Hosenbeine sind durch. Nur gut, daß es meine alte Hose ist und nicht die Reithose.“

      „Na, überhaupt. Glück haben wir schon gehabt. Der Wagen ist auch noch ganz, bis auf die verbogene Deichsel.“

      „Das Sitzkissen haben wir verloren“, sagte Anja. „Ich geh’ es holen. Nein, laß mal, ich kann schon. Versuch du, die Deichsel geradezubiegen.“ Anja humpelte davon. Es ging bei jedem Schritt besser. Brennen tat es natürlich noch, aber wenn schon. Sie wanderte den Weg zurück, hob das Kissen auf und kehrte damit um. Während sie so ging und zur Reithalle hinaufsah, fiel ihr etwas auf. Sie blieb stehen und blickte genauer hin – das war doch Frau Taube, die da am Fenster winkte! Anja winkte zurück, setzte sich dann in Trab und kam im Stall an, als Petra eben den letzten Handgriff an Kerlchen getan hatte.

      „Du, Frau Taube winkt. Wir gehen mal zu ihr.“

      „Wahrscheinlich hat sie uns und unsere Fahrt ins Grüne beobachtet. Ach, die petzt schon nicht. Komm, los!“

      Miteinander liefen sie über den festgetretenen Schnee der Halle zu.

      Lauter Pläne

      „Na, ihr beiden? Kommt nur ruhig näher, ich freu’ mich sehr, daß ihr mich besucht“, sagte Frau Taube. Sie saß im Lehnstuhl und hatte vor sich auf dem Tischchen einen Kasten stehen, dessen Deckel zurückgeschlagen war. Petra machte den Hals lang, dann lachte sie.

      „Verbandszeug! Was Sie nicht immer alles parat haben. Und immer genau das Richtige!“

      „Kunststück! Ich habe ja aus dem Fenster geguckt. Und hinter mir im Regal steht alles, was ich so brauche: Bücher und Nähzeug, Verbandsachen und Papier und Kulis zum Schreiben. Mein Sohn räumt mir das immer alles ein, jeden Tag fragt er: ‚Was geruhen Eure Hoheit heute zu tun?‘ Und dann legt er mir alles griffbereit hin.“

      „Und heute wußte er –“

      „Daß ihr einen Dogcart-Ausflug mit Kerlchen machen würdet? Nein, in die Zukunft sehen kann er nicht. Aber der Verbandskasten steht immer vorne an. Und nun her mit den Knien, Anja.“

      Anja kam heran. Frau Taube hatte eine so freundliche, herzliche Art, daß das gar nicht peinlich war. Sie wollte die Hosenbeine hochschieben, aber Frau Taube winkte ab.

      „Ganz ausziehen, anders geht es nicht. Ich muß ja auch die Hosen flikken, nicht nur die Knie.“

      Die waren ganz schön aufgeschürft. Frau Taube drückte Salbe auf ein breites Pflaster und klebte das auf das eine Knie, wickelte eine Mullbinde darum und tat dann dasselbe mit dem anderen. Danach fädelte sie einen dunklen Faden ein und ließ sich die beschädigte Hose reichen.

      „Damit deine Mutter nicht in Ohnmacht fällt.“

      Petra hatte inzwischen Kaffee gekocht. Sie brachte ihn herüber. Frau Taube lachte.

      „Danke dir. Alles hat sein Gutes. Wenn ihr nicht mit dem Dogcart umgeschmissen hättet, bekäme ich jetzt keinen Kaffee.“

      „Werden Sie es erzählen?“ fragte Petra


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