Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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Sie hat da einen Verleihstall aufgemacht mit Ponys, einen Kinderreitstall. Sie ist vielleicht vierundzwanzig Jahre alt. Erst hat sie dort nur geholfen, jetzt leitet sie den Stall. Sie muß sehr tüchtig sein und sehr gut reiten können.“

      „Und schreiben tut sie nie?“

      „Doch, manchmal. Aber sehr selten. Sag nichts davon, daß ich es dir erzählt habe. Ich sag’ es auch sonst keinem. Aber ich finde, du mußt es wissen. Wir kümmern uns um sie, nicht wahr?“

      „Ja“, sagte Anja.

      Und wenn ihre Eltern ihr einmal etwas verbieten würden, was sie sich sehr, sehr wünschte?

      Aber jetzt hatten sie ihr ja erlaubt, in den Reitverein zu gehen.

      Ach, der Reitverein!

      Die erste Reitstunde

      „So, fertig“, sagte Anja und faßte nach dem Backenstück an Wiskys Halfter, um ihn aus dem Stand zu führen.

      „Halt, halt! Die Hufe müssen noch ausgekratzt werden!“ rief Petra. Sie hatte die ganze Zeit bei Wisky im Stand gestanden und beobachtet, wie Anja ihn zum Reiten fertigmachte. Erst geputzt, so sauber und blank, daß er spiegelte; dann Stallhalfter herunter und Reithalfter drauf, wobei man das Gebiß mit Liebe und Vorsicht ins Maul mogeln mußte; dann den Sattel vom Bock geholt und aufgelegt, den Gurt provisorisch angezogen, die Bügel hochgeschoben – und nun, hatte Anja gedacht, sei alles fertig. Sie hatte sich ausbedungen, jeden Handgriff selbst zu tun, Petra durfte nur zusehen, damit alles stimmte. Und nun hatte sie vergessen, die Hufe sauberzumachen!

      „Richtig! Hast du einen Hufkratzer da?“ fragte sie und streckte die Hand aus. Petra bohrte in ihrer hinteren Hosentasche und brachte einen zutage.

      „Mußt dir mal einen eigenen wünschen. Die sind billig – aber nie findet man einen, wenn man ihn braucht. So, nun lehn dich ein bißchen gegen das Pferd, damit es das Gewicht auf die andere Seite verlagert, und streich am Bein herunter. Dann sagst du: ‚Fuß!‘ oder: ‚Gib aus!‘, und dann gibt er den Fuß. Und dann kratzt du alles raus, was er reingestampft hat, aus einem richtig ausgekratzten Huf muß man Sekt trinken können. Ja, so ist’s richtig, auch am Rand putzen. Aber den Strahl nicht verletzen! In der Mitte geht der Strahl lang, siehst du ihn? Den darfst du nicht ankratzen. Ja, so ist es gut. Jetzt das nächste Bein.“

      Anja hingen die Haare über die Augen, wie sie so gebückt dastand und an dem Riesenhuf herumhantierte. Gegen die Hufe der kleineren Pferde, die sie bei Dagmar geritten hatte, erschien ihr der von Wisky wie ein Suppenteller. Aber Wiskys Hufe waren schön gewölbt, und was er sich an Mist hineingetreten hatte, konnte man gut in Klumpen heraushebeln.

      „Fein. Jetzt ist er fertig“, lobte Petra. Sie hatte ihren Flieder bereits in der Stallgasse stehen, trat jetzt zu ihm hin und nahm ihn am Halfter. „Vergiß nicht nachzugurten, ehe du aufsitzt. Und dann die richtige Bügellänge einstellen.“

      „Ja, ich weiß.“ Anja hatte vor Aufregung ganz rote Backen. Heute sollte sie, nach drei Einzelstunden an der Longe, zum erstenmal richtig in der Abteilung mitreiten.

      Das war seit Monaten ihr heißer Wunsch, seit sie auf der Koppel Kerlchen kennengelernt hatte, den alten, gutmütigen Fuchs mit heller Mähne, der eigentlich nur noch das Gnadenbrot bekam. Mit dem hatte sie geschmust, ihm Zucker gebracht und ihn immer wieder besucht, und auf dem hatte sie das erstemal gesessen, als Herr Anders ihn zum Stall führte. Damals war der Wunsch in ihr wachgeworden, reiten zu lernen. Und im Stall hatte sie dann Petra kennengelernt, nicht nur Petra, sondern auch die anderen Mitglieder des Reit- und Fahrvereins. Auch Cornelia, die junge Ärztin, die jetzt gerade mit ihrer Moni in die Halle kam. Cornelia ritt heute mit!

      „Wieso denn? Sie gehören doch wahrhaftig nicht mehr in die Anfängerabteilung“, wunderte sich Petra, die so eben den Bügel an ihrem Flieder herunterzog und seine Länge prüfte. Man macht das, indem man den eisernen Steigbügel, der am Riemen hängt, unter die Achsel hält und dabei mit ausgestrecktem Arm nach der Schnalle fühlt, mit der man den Riemen verlängern oder verkürzen kann. Wenn die Spitze des Mittelfingers den Dorn berührt, ist die Länge richtig.

      „Ich kann mich heut nur um diese Zeit freimachen. Hoffentlich erlaubt der Gestrenge, daß ich mit euch reite“, sagte Cornelia vergnügt. Sie trug keine Kappe, hatte das Haar glatt zurückgestrichen und im Nacken zusammengebunden. Ihr Gesicht sah dadurch noch klarer und, so fand Anja, noch schöner aus als sonst. Sie hatte zu der jungen Ärztin, die sich gern mit ihr und Petra abgab, eine stürmische Zuneigung gefaßt.

      Cornelia ritt heute Moni, einen etwas nervösen, hochbeinigen Schimmel, der viel Araberblut haben mußte. Petra hatte ihn schon ein- oder zweimal gehabt und war nur mühsam mit ihm zurechtgekommen. Außer ihnen ritt noch die kleine Bettine auf dem Pferd ihres Vaters, dem Jagdprinz, mit. Bettine war jünger als Anja, aber schon ein paar Jahre im Reitverein. Anja hatte einen heillosen Respekt vor ihr.

      Sie selbst hatte immer wildes Herzklopfen, wenn sie aufsitzen sollte, so wie schon bei Dagmar, wo die Pferde doch wirklich gutmütig und leicht zu reiten gewesen waren. Jetzt und hier aber war ihr direkt schwindlig vor Lampenfieber.

      „Wart nur, wenn du erst oben bist, wird es besser“, tröstete Cornelia sie in diesem Augenblick halblaut. „Ich kann mir gut vorstellen, wie dir zumute ist. Wenn ich auf ein Pferd steige, das ich noch nicht kenne“, sie klopfte sich mit der Faust auf die Brust, „da randaliert es hier immer.“

      „Bei Ihnen auch?“ Anja staunte.

      „Bei mir auch. Und das wird wohl so bleiben, bis ich am Stock gehe. Weißt du, wenn es da drin nicht mehr bummert, ist das Beste sowieso vorbei.“ Sie lachte, wie nur Cornelia lachen konnte. Anja seufzte tief auf und zog den Sattelgurt noch ein Loch enger.

      Dann war es wirklich so. Kaum hatte sie sich, den linken Fuß im Bügel – wie hoch so ein Pferd war! – und beide Hände am Sattel, hochgezogen und das andere Bein hinübergeschwungen, da war ihr bereits besser. Sie probierte die Bügellänge, legte die Knie an und drückte, wie Petra es ihr gesagt hatte, die Absätze nach unten. Dann nahm sie die Zügel auf. Wisky stand, ohne Zicken zu machen, und wartete darauf, daß das Kommando kam. Die andern waren auch aufgesessen, und jetzt schob der Reitlehrer die Tür auf.

      Er ging von einem Pferd zum andern, prüfte Kopfstück und Enge des Gurtes, sagte hier halblaut „Zügel verdreht“ oder „Noch ein Loch nachgurten“ oder „Warum keine Gerte?“ und ging dann auf seinen Platz mitten in der Bahn. Von hier aus hieß es: „Im Schritt anreiten, auf die linke Hand gehen“, und Anja war endlich dort, wohin sie sich so lange Zeit gewünscht hatte: im Reitverein, in der Abteilung.

      Die Pferde gingen lautlos in der Lohe, sie hatten sich nach Anordnung des Reitlehrers eingeordnet. Vorn – man sagt: „an der Tete“ – Moni mit Cornelia, dann Petra auf Flieder, dann Bettine mit Jagdprinz und als Schlußlicht Anja auf ihrem Wisky.

      „Flotten Schritt reiten, eins, zwei, eins, zwei“, sagte der Reitlehrer, und so ging es ringsum. Anja fühlte, wie ihr Herzklopfen etwas nachließ. So viele lernten reiten, warum sollte sie es nicht lernen? Es war doch keine Hexerei, und wenn man sich alle Mühe gab, mußte es doch möglich sein.

      Freilich, die Selbstverständlichkeit, mit der Bettines kleine Hände in den Reithandschuhen – echten Reithandschuhen aus Leder mit ausgespartem Rücken! – die Zügel hielten und wie sie mit den Hacken in die Seiten des Pferdes puffte, war bewundernswert, und sie zu erlangen dauerte sicherlich ein paar Jahre. Und ein sehr, sehr häufiges Reiten. Bettine ritt sicherlich jeden Tag hier, jedenfalls hatte Anja sie immer getroffen, an welchem Wochentag sie auch herkam.

      „Und nun: im Arbeitstempo Terrab! Leicht traben!“ rief der Reitlehrer. Wisky, der die Kommandos natürlich seit Jahr und Tag kannte, setzte sich gehorsam in Trab, und Anja merkte jetzt den Unterschied zwischen den Pferden, die sie bisher geritten hatte, und diesem genau. Ein großes Pferd hat meist viel weitere Gänge, andererseits aber trabt es auch weicher. Anja bemühte sich, in den leichten Trab hineinzufinden, sich bei jedem zweiten Schritt emporheben zu lassen und beim nächsten niederzusitzen. Es ging erstaunlich leicht. Sie hatte durch Zufall den richtigen Fuß gefunden; man trabt auf dem


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