Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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„Kannst du noch nicht einmal das? Wie lange reitest du denn eigentlich?“

      Petra sagte nichts, sie sah nur geradeaus. Vom Pferd aus antworten durfte man nicht, nie – es sei denn, der Reitlehrer stellte direkte Fragen. Dann mußte man genau, klar und laut antworten, nicht etwa herumstottern. Anja hatte viele Reitstunden als Zuschauer miterlebt und wußte daher einiges.

      „Auf welchem Fuß trabt man, Petra?“

      Das war eine exakte Frage.

      „Auf dem inneren Hinterfuß.“ Petras Antwort kam sofort.

      „Und das heißt?“ fragte der Reitlehrer weiter.

      „Man hebt sich in dem Augenblick, in dem das Pferd das äußere Bein vornimmt.“

      „Hm. Scherrit.“

      Anja atmete unhörbar auf. Sie rückte sich im Sattel zurecht, drückte die Fersen von neuem nach unten und bemühte sich, kein Hohlkreuz zu machen.

      Jetzt ließ der Reitlehrer Cornelia allein angaloppieren. „Hoffentlich muß ich das nachher nicht auch“, dachte Anja und folgte ihr mit den Blicken. Moni sprang in der Ecke gehorsam in den Galopp an, dann aber schien es mit ihrem Gehorsam zu Ende zu sein. Sie kürzte die nächste Ecke ab, legte sich auf das Gebiß und ging mit ihrer Reiterin davon wie das Donnerwetter. Cornelia saß tief im Sattel und versuchte, das Pferd mit dem Gewicht zu lenken. An der nächsten schmalen Seite der Halle hatte sie ihre Moni wieder in der Hand.

      „Gut so, richtig, nichts durchgehen lassen“, sagte Herr Taube befriedigt. „Die Abteilung überholen, ja, so. Und noch einmal, dann auf den Zirkel gehen.“

      Während Cornelia ihre Lektion ritt, gingen die anderen weiter im Schritt rundum. Endlich hieß es: „Hinten anschließen. Die nächste.“

      Das war Petra. Sie hatte natürlich schon darauf gelauert. Ihr Flieder ging sofort in einen verhaltenen, gut kontrollierten Galopp; man sah die Hilfen nicht, die die Reiterin gab. Unerregt und gleichmäßig wie ein Uhrwerk absolvierte Flieder seine Aufgabe. Dann kam die Reihe an Bettine.

      „Und ich? Muß ich auch – alleine –“, dachte Anja und preßte die Fäuste um die Zügel. Aber siehe da, der Reitlehrer hatte ein Einsehen.

      „Jetzt der Wisky. Terrab!“ kommandierte er, und Trab war Anja schon geläufig. Sie ließ Wisky eine Runde gehen und schloß sich hinten wieder an. Herr Taube lobte sie.

      „Gut so. Ganze Abteilung haalt!“

      Wie die Stunde verging, wußte Anja später nicht. Gegen Ende schielte sie häufig zu der großen Uhr rüber, die neben dem Spiegel hing, erst nur prüfend, allmählich sehnsüchtig. Der Zeiger kroch – waren es immer noch zehn Minuten, die man aushalten mußte? Endlich, endlich das Kommando: „Rechts dreht, links marschiert auf.“

      Nun standen die Pferde nebeneinander, die Köpfe zum Reitlehrer gewandt, und es hieß: „Absitzen.“ Anja erinnerte sich noch daran, daß Petra ihr gesagt hatte: „Nimm ja beide Füße aus den Bügeln, ehe du abspringst!“ und tat es. Lieber Himmel, wie hoch war Wisky, sie hatte das Gefühl, eine wahre Luftreise zu machen, ehe sie in der Lohe landete. Und da passierte es ihr: Sie landete zwar auf den Füßen, setzte sich dann prompt auf den Hosenboden. Alle lachten. Nein, das war kein „Verbrechen“, sondern nur ein kleines Pech. Gott sei Lob und Dank, es war alles gutgegangen!

      „Na? Hast dich brav gehalten“, lobte Cornelia, als sie in die Stallgasse neben Anja trat. „Die erste Stunde, das ist immer so eine Sache. Nun hast du es hinter dir, alles ging gut. Gratuliere!“

      „Danke!“

      Anja war erschöpft und verschwitzt, sie fühlte die Schultern feuern und die Knie zittern, aber sie ließ sich nichts anmerken. Als sie ihr Pferd, genau wie die anderen, nach Vorschrift versorgt hatte, setzte sie sich einen Augenblick auf die Futterkiste.

      „Für heute langt’s mir. Aber schön war’s doch“, sagte sie, als Petra sich mit einem „Na?“ daneben hockte. Sie sagte es mit einem seligen Gesicht. Nicht ausgestiegen, nicht einmal angeschnauzt worden – war es nicht herrlich auf der Welt?

      „So, und nun gehen wir noch einen Augenblick zu dir“, sagte Cornelia, zu den beiden tretend, „ich möchte deiner Mutter guten Tag sagen. Sie hat mich gebeten, die beiden Buben anzusehen.“ Anja hatte zwei kleine Brüder, Zwillinge, noch nicht ein Jahr alt. Anja und Petra sprangen von der Kiste.

      Es war immer ein Fest, wenn Cornelia ein wenig Zeit für sie hatte. Sie war erwachsen und sprach mit den Mädchen, als wären die es auch. Vernünftig, lustig, ehrlich eigenen Schwächen gegenüber – so, wie es eigentlich Erwachsene sonst nie können. Die biederten sich entweder süßlich-kindlich an oder sahen erhaben auf einen herab. Seit Cornelia durch Anja und Petra auch noch Onkel Kurt, einen Studienkameraden von früher, wiedergetroffen hatte – er war der jüngere Bruder von Anjas Vater –, war die Freundschaft der drei besiegelt. Sie gingen zu Cornelias leicht mitgenommenem rotem VW und stiegen mit ihr ein.

      Anjas Mutter freute sich sehr, als Cornelia kam.

      „Wie schön! Volker hustet nämlich ein bißchen, und Reinhold –“ sie zog Cornelia ins Schlafzimmer, wo die Zwillinge zur Zeit stationiert waren. Anja und Petra verdrückten sich in die Küche. Sie hatten, wie immer nach dem Reiten, Durst, und suchten eifrig nach etwas Trinkbarem.

      „Du möchtest sicherlich Sprudel“, sagte Anja etwas schüchtern. „Mein Vater mag nicht, daß ich welchen trinke. Entweder Milch oder Kräutertee mit Zitrone, sagt er. Die Sprudel sind heutzutage alle mit irgendwelcher Chemie versetzt.“

      „Sagt meine Mutter auch. Ich krieg’ nie welchen“, sagte Petra gleichmütig und lachte. „Trinken wir halt Milch. Wenn sie nur kalt ist. Ich hab’ vielleicht geschwitzt auf dem ollen Flieder, den man nur mit aller Kraft vorwärts kriegt.“

      Anja atmete insgeheim auf. Immer hatte sie Angst, Petra könnte es bei ihnen nicht schön finden, in der kleinen Wohnung mit den Zwillingen, die ewig umsorgt werden mußten. Petra hatte zwar auch Geschwister, aber größere. Und sie wohnte in einem schönen, großen Haus, das ihren Eltern gehörte. Ihr Vater war Architekt und hatte es selbst gebaut. Anja war manchmal dort.

      „Bei euch ist es gemütlich“, sagte Petra in diesem Augenblick und setzte sich mit ihrem Glas Milch aufs Fensterbrett. „Hier kann man so richtig lümmeln. Ich will später auch mal eine Wohnküche haben, Holzwände, Balken an der Decke, schwarze, weißt du, richtig urige. Und einen Herd, in den man noch Holz stecken kann, Reisig, das so prasselt, wenn es richtig dürr ist. Nicht bloß so elektrische Sachen, an denen man knipst, und alles ist fertig.“

      „Unser Herd ist aber auch elektrisch“, sagte Anja vorsichtig. Petra lachte.

      „Ja, aber sonst ist es schön hier. Vor allem so nah bis zum Reitverein! Ich muß immer erst wer weiß wie weit radeln. Ich würde gern hier wohnen.“

      Gerade kamen Mutter und Cornelia herein, jede trug einen der Zwillinge auf dem Arm. Petra sprang vom Fensterbrett und nahm der Mutter Volker ab.

      „Welcher ist es denn? Max oder Moritz? Ich werde sie in alle Ewigkeit nicht unterscheiden können.“

      „Sie heißen gar nicht –“

      „Max und Moritz, weiß ich doch. Volker und Reinhold heißen sie. Aber mit den zweiten Namen hätte ich sie wenigstens Max und Moritz genannt. Ich wünsche mir später auch mal Zwillinge. Die nenn’ ich dann so.“

      „Und wenn es Mädchen werden?“ fragte Cornelia amüsiert. Sie mochte Petras sprudelnde Lebhaftigkeit sehr.

      „Dann heißen sie – herrjeh, jetzt fällt mir nichts ein! Oder doch, ja – die eine Cornelia, das steht fest. Und Sie müssen Pate sein. Und die andere – fix, sagt doch mal einen Namen, der dazu paßt!“

      „Amalia“, schlug Mutter vor. Petra platzte fast vor Lachen.

      „Amalia, die Kanallia, mit der engen Talia! Abgekürzt heißen sie dann Corni und Ami. Nein, dann lieber Max und Moritz. – Anja ist heute das erstemal in der Abteilung mitgeritten“,


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