Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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alle es verstanden. Alle und ganz genau. Sie lachten, daß ihnen die Tränen kamen.

      Ja, und Cornelia wußte tatsächlich eine kleine Stadt, nicht allzuweit entfernt, mehr einen Marktflecken, wo es eine Rabestraße gab.

      „Ich weiß es so genau, denn dort wohnt eine Bekannte von mir. Soll ich mal anrufen?“

      Sie drängten sich aufgeregt ums Telefon, während Cornelia sprach, und versuchten mitzuhören, atmeten auf, als sie dann berichtete.

      „Es gibt dort natürlich eine Nummer acht, aber meine Bekannte kennt niemanden, der darin wohnt. Morgen früh will sie hingehen und sich erkundigen. Mehr ist eigentlich erst mal nicht zu machen.“

      „Dann gehört er uns wenigstens noch bis morgen“, sagte Heiner und drückte den Papagei an sich. „Aber wenn niemand, nie–nie–niemand sich findet, dem er gehört?“

      „Dann kannst du ihn bestimmt behalten“, sagte Cornelia, die dem Jungen wohl ansah, was er dachte. „Papageien werden sehr alt. Du kannst ihn vielleicht dein ganzes Leben lang haben, in der Schule und später während des Studiums, und wenn du heiratest, bringst du ihn als Mitgift mit in die Ehe. Und deine Kinder lernen von ihm sprechen.“

      „Und wenn du ein Opa bist, sitzt du hinter dem Ofen, und der Papagei fliegt dir auf den Griff von deinem Krückstock und singt: Schlaf, Alter, schlaf“, fiel Petra ein. Heiner lachte, dann wurde er wieder ernst.

      „Ich würde ihn gern behalten. Aber dazu möchte ich noch einen Hund haben. So einen wie Zessi“, sagte er leise. „Mit einem Hund kann man rennen und sich jagen und spielen und ihm was beibringen, und abends schläft er neben dem Bett –“

      „Und ich möchte ein Pferd. Eins für mich ganz allein“, sagte Anja, „ein eigenes Pferd!“

      „Na, ihr seid ja alle sehr bescheiden“, sagte Cornelia, „das muß ich wirklich feststellen. Nur einen Hund aus bester Rasse, nur ein eigenes Pferd … Wißt ihr, was ich mir wünschte, als ich so alt war wie ihr? Einmal, ein einziges Mal nur ein Pferd streicheln zu dürfen. Wir wohnten in der Stadt, in einer Etage, niemals in hundert Jahren sah man ein Pferd. Es gab so gut wie keine mehr. Auch in der Landwirtschaft nicht mehr. Und reiten, oh, das war so unmöglich wie auf den Mond fahren. Pferde gab es kaum mehr im Zoo.“

      Das konnten sich die Mädchen nicht vorstellen.

      „Erzählen Sie doch noch mehr von damals“, baten sie, „zum Kaminfeuer gehört, daß einer erzählt. Bitte, bitte! Wie kamen Sie denn überhaupt auf den Gedanken, reiten zu wollen?“

      „Ja, das ist so eine Sache. Aus Mode reite ich wirklich nicht“, sagte Cornelia, „so, wie es jetzt viele machen. Weil es schick ist und weil man auch mitreden will und weil der Reitanzug einem so gut steht. Na, bei euch ist das ja auch nicht so. Ich habe mich in ein Pferd verliebt, als ich noch sehr klein war. Mein Vater war Arzt, wir wohnten in Schlesien. Damals war Krieg, und es gab kein Auto und kein Benzin und nichts, und er mußte doch zu seinen Patienten. Da hat er sich ein Pferd gekauft, ein Beutepferd, es war wohl ein polnisches Pony. Mit dem fuhr er auf Krankenbesuch übers Land. Ich durfte oft mit, um das Pferd zu halten, während er bei den Patienten war. Das war manchmal nicht leicht, so klein wie ich war, aber er behauptete, es käme nicht drauf an, wie groß man ist, sondern nur auf den Willen. Ich habe meinen Vater sehr geliebt und ihm alles geglaubt, er hat mich auch nie beschwindelt.“

      Sie schwieg. Die Mädchen wagten nicht weiterzufragen.

      „Er ging auch nicht weg, als die Russen kamen. Uns schickte er weg, Mutter und uns Kinder, zu Verwandten in den Westen. Er sagte, er könnte nicht von seinen Patienten weg. Wir haben nie wieder von ihm gehört.“

      „Auch nichts von dem Pony?“ flüsterte Anja.

      „Auch nicht. Sie werden wohl miteinander umgekommen sein. Es war ein fürchterlicher Winter damals, der letzte Kriegswinter, bitterkalt. – Doch, ich weiß, wie es war“, sagte Cornelia nach einem Augenblick Schweigen, und ihre Stimme klang jetzt anders als vorhin, behutsam, zart. „Ich muß es geträumt haben, aber es war bestimmt so. Mein Vater ist gar nicht gestorben. Als alle Deutschen fort waren, ist er über Land gefahren, durch den Schnee; er hatte Glocken vorn am Geschirr des Ponys, die klangen im Dreiklang, wunderschön abgestimmt. Und dann fing das Pferd ganz sachte an, sich in die Luft zu heben. Es war ein braunes Pony, mit heller Mähne, und er hat gesehen, daß es auf einmal Flügel hatte, schöne, starke Flügel, die rechts und links aus dem Rücken herauswuchsen. Mit denen hat es geschlagen, und da hob sich auch der Schlitten sanft in die Luft und schwebte – er schwebte immer höher und höher und landete auf einer Wolke. Und da kam ihm Petrus entgegen und sagte: ‚Ach, der Herr Doktor Nolde! Ja, schön, daß Sie da sind, der liebe Gott wartet schon, und für das Pony hab’ ich soviel goldenen Hafer hier, wie es nur mag.‘“

      Sie schwiegen. Anja fühlte, wie ihr etwas über die Backe lief. Sie wischte es weg.

      Man durfte nicht weinen. Cornelia weinte ja auch nicht, sie hatte auch damals bestimmt nicht geweint. Cornelia war tapfer – sie, Anja, wollte auch tapfer werden, so tapfer wie diese junge Ärztin. Sie nahm es sich fest, ganz fest vor.

      „Bestimmt, so war es!“ sagte sie und lächelte Cornelia zu, und diese erwiderte das Lächeln.

      Es wurde dann noch ein lustiger Abend. Cornelia wußte viele Spiele, die man ohne Tisch spielen kann, Rate- und Gesellschaftsspiele. Erst als sie todmüde waren, gingen sie schlafen. Dagmar hatte für Cornelia in Mutters Zimmer ein schönes Bett auf der Couch vorbereitet.

      „Wir drei schlafen wieder so wie gestern, diesmal komm’ ich auf das Fell!“ bestimmte sie. „Heiner mit seinem Papagei geht nach oben. Nimm ihn mit, Heiner, und setz ihn auf Nummer Sicher!“

      „Klar, mach’ ich“, versprach Heiner und nahm ihn aus Dagmars Hand. Bisher hatte immer einer von ihnen den Vogel gehalten, gestreichelt, an sich gedrückt. Er schien das gern zu haben.

      „Aber Zessi nehme ich auch mit. Nicht wahr, Zessi, du kommst mit mir.“

      Das ging noch mal gut

      Cornelia kam vom Duschen, im Bademantel von Dagmars Mutter, der neben ihrem Bett gelegen hatte, ein Frottiertuch um den Kopf als Turban. Sie guckte aus dem rückwärtigen Fenster – da stand ihr roter VW im Hof, und aus dem Seitenfenster, das nur ein Stück heruntergekurbelt war, streckte Zessi den schmalen Kopf. Sie konnte gerade mit der Schnauze durch. Jemand sprach mit ihr aus dem Inneren des Wagens heraus.

      „Heiner?“ rief Cornelia halblaut hinunter. Sie hatte das Flurfenster aufgemacht. Sogleich erschien Heiners Gesicht neben Zessis Kopf.

      „Ja? Guten Morgen! Ich krieg’ es hin!“

      „Was?“ fragte Cornelia.

      „Die Heizung! Sie sagten doch, sie tut es nicht mehr. Ich hab’ den Fehler gefunden!“

      „Nein, Heiner, du bist ja ein As!“

      Cornelia lachte und lief ins Zimmer. Da war der Junge doch wahrhaftig vor Tau und Tag aufgestanden und bastelte an ihrem Wagen rum!

      Sie zog sich in Eile an und lief hinaus. Im Hof stolperte sie und wäre fast gefallen, weil ein kleiner schwarzer Pudel ihr vor die Füße lief. Sie schalt. Um die Ecke kam soeben ein Dalmatiner. Nein, dieser Andrang von Kavalieren!

      „Heiner, woran lag es denn?“ Sie öffnete gedankenlos gewohnheitsmäßig die Tür des Wagens – wie aus der Pistole geschossen sauste ihr Zessi entgegen und sprang mit einem weiten Satz an ihr vorbei. In den Hof, zu den beiden Rüden, dem kleinen schwarzen und dem größeren schwarzweißen und ab mit ihnen, ums Haus herum, auf die Straße und weg. Cornelia hatte den Mund zu einem Schrei geöffnet, blieb aber stumm und schlug sich nur wütend mit der Hand vor die Stirn. Dafür schrie Heiner.

      „Zessi! Zessi! Wir müssen ihr nach!“

      Cornelia begriff sofort. Sie saß schon im Wagen, Heiner neben ihr, und wendete. Während sie aus dem Hof steuerte, sah sie Petras Kopf am Fenster.

      „Wir holen Zessi! Sie ist uns durch die Lappen gegangen!


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