Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast
Читать онлайн книгу.und mich daran erinnert, daß kein Salz mehr im Haus ist – Himmel, hätte er doch! Das haben wir gestern vergessen!“
„Dann müssen wir eben ohne glücklich sein, das ist außerdem viel gesünder“, sagte Petra. „Aber an so was hat er die Müllersfrau gar nicht erinnert, sondern –“
„Nun ja, an was schon? Ich kann mir’s nicht vorstellen. Manchen Aberglauben aber finde ich hübsch, zum Beispiel, daß es Glück bringt, wenn man ein vierblättriges Kleeblatt findet, oder daß man sich was wünschen darf, wenn der Mond im ersten Viertel steht und man ihm drei Knickse macht.“
„Darf man das?“ fragte Anja.
„Ja, und –“
„Und daß wahr wird, was man in der Neujahrsnacht in Blei gießt. Das glaube ich wahrhaftig auch“, sagte Petra jetzt, und es klang überhaupt nicht mehr verschlafen. „Du hast doch gestern abend einen Papagei gegossen, besinnst du dich? Guck mal zum Fenster raus, da sitzt er!“
Dagmar und Anja fuhren herum. Wirklich, in den Ästen des einen Apfelbaumes, der seine Zweige bis zum Haus herüberstreckte, saß ein Papagei, bunt, sehr fremd im Weiß ringsum, unzweifelhaft ein lebendiger Papagei.
„Nein, so was!“
„Wahrhaftig!“ riefen Dagmar und Anja zu gleicher Zeit aus, und Petra lachte befriedigt und triumphierend, als wäre es ihr Werk, ihn dort hingesetzt zu haben. Immerhin war ein bunter Papagei am Neujahrstag auf dem verschneiten Apfelbaum etwas, was einem nicht allzuoft begegnete. Noch dazu einer, der einem durch das Bleigießen vorhergesagt worden war. Nein, was hier alles passierte!
„Kinder, den müssen wir fangen! Der gehört jemandem, und er ist bestimmt nicht an Schnee gewöhnt, sondern an ein warmes Zimmer.“
„Womöglich erfriert er sich die Krällchen!“ rief Petra. „Auf zum Papageienfang! Los! Habt ihr ein Netz?“
„Was denn für ein Netz?“
„Na, eins zum Drüberwerfen. So eins, mit dem man Schmetterlinge fangen kann.“
„Haben wir nicht. Das ist zuviel verlangt. Habt ihr etwa eins? Na also. Wir müssen es anders machen. Ihn mit Futter locken und dann fangen. Was fressen Papageien denn am liebsten?“
„Keine Ahnung. Sonnenblumenkerne vielleicht. Die habt ihr doch sicher, die hat doch jeder, der im Winter Vögel füttert.“
Ja, Sonnenblumenkerne waren im Haus. Dagmar rannte, um eine Handvoll zu holen. Dann aber standen sie da und sahen die Kerne an und wieder den Papagei draußen und wußten nicht weiter. Ob er sich herunterlocken ließ? Sie gingen durch die Hintertür aus dem Haus und standen nun im Schnee, das Lockfutter hochhaltend, und schmeichelten:
„Komm, komm, mein Schöner!“
„Willst du nicht mal probieren?“
„Lora, Lora, guck, was wir haben!“ Das war Petra.
„Woher weißt du denn, daß er Lora heißt?“ fragte Anja.
„Alle Papageien heißen Lora. Lora, gute, komm, komm!“ säuselte Petra. Es klang blödsinnig.
Der Papagei saß da und guckte auf sie herunter; er hielt den Kopf manchmal schief, manchmal nickte er auch.
„Wir müßten eine Leiter haben. Habt ihr denn keine?“ fragte Anja.
„Doch, aber wenn wir sie anlehnen, fällt der Schnee von den Ästen und stäubt auf, und er kriegt Angst und – aber jetzt weiß ich, was wir machen können! Wir haben eine Malerleiter, so eine, die zwei Beine hat. Die könnten wir nehmen und vorsichtig neben dem Baum aufstellen, nicht dranlehnen! Ob sie wohl lang genug ist?“
„Wir holen sie!“
Dagmar und Petra rannten los. Anja blieb stehen, die Körner in der Hand, und lockte und rief. Dann kamen die beiden wieder, sie hatten die Leiter wirklich gefunden und schleppten sie an den Baum heran.
„Vorsicht, Vorsicht, langsam! Nicht an die Äste stoßen.“
Jetzt stand die Leiter. Dagmar hielt mit jeder Hand einen Holm, und Petra kletterte hinauf. Sie hatte sich von Anja das Futter geben lassen, in der andern Hand hielt sie ein Perlonnetz, wie man es zum Einkaufen nimmt. „Vielleicht kann ich ihm das überstülpen.“
„Menschenskind, da müßtest du drei Hände haben – warte, ich komm mit rauf – Anja, halt du die Leiter –“ Dagmar klomm auf der anderen Seite aufwärts. Der Papagei saß aber immer noch höher oben. Petra streute das Futter auf das obere Brett, das die Leiter sozusagen als Plattform abschloß, und duckte sich dann, machte Dagmar ein Zeichen, es ebenso zu machen. So lauerten sie. Der Papagei schien zu überlegen, ob er das Stück herabfliegen sollte. Dabei sagte er etwas. Er sagte es schnarrend und so, daß sie es nicht verstehen konnten. „Ja, ja“, antwortete Petra jedoch, als habe sie ihn genau verstanden, beruhigend wie zu einem scheuenden Pferd, „ja, ja. Jetzt kommen wir ja, und du kriegst was Schönes zu fressen –“
Wirklich, er rührte sich. Er wackelte hin und her, guckte nach dem Futter und spreizte ein wenig die Flügel. Dann drückte er wirklich ab, flog das Stück herunter und landete am Rand der Plattform, also oben auf der Leiter, eifrig pickend. Die drei Mädchen hielten den Atem an.
Dann schob sich Petra, die es nicht mehr aushielt, langsam aufwärts. Sie hatte das Perlonnetz in der rechten Hand und hielt sich mit der linken fest. Jetzt – jetzt – „ooooh!“
Sie schrien es alle drei. Der Papagei hatte das Netz im letzten Augenblick gesehen, war aufgeflogen, landete zunächst auf einem höheren Ast und flog dann, zielsicher, als täte er das jeden Tag, auf das Haus zu und husch! in die Luke hinein. In die Luke, die wahrhaftig offenstehen mußte – man konnte das von unten nicht genau sehen bei dem Schnee auf allen Simsen. Jedenfalls war er weg.
Petra begriff zuerst. Sie sprang von ihrem erhöhten Platz herunter, ohne ein Wort zu sagen, landete im Schnee, taumelte und riß sich wieder hoch. Schon war sie am Leiterchen, das zur Luke führte, und turnte wie ein Affe hinauf. Jetzt war sie oben – klapp! Zu! Der Papagei war im Haus!
„Hurra, hurra! Da kriegen wir ihn irgendwie!“ schrie Dagmar und sprang nun auch herunter. Anja war schon auf dem Weg ins Haus. Petra folgte. Sie rannten, diesmal ohne jegliche Rücksicht auf Gespenster oder Müllererscheinungen, die Treppe hinauf und hielten im ersten Stock erst mal an, atemlos.
„Wo – wo ist er –“
„Dort flattert was!“
„Ruhig, ihr erschreckt ihn noch mehr.“
„Sind auch alle Fenster zu?“
Ja, alle waren zu. Und auch die Luke, die Petra ja von außen zugeklappt hatte.
„Wieso war sie eigentlich vorher auf?“ wunderte sich Dagmar jetzt. Sie sahen einander an. Endlich gestand Petra: „Kinder, vielleicht war ich das. Am ersten Tag, als ihr mal nicht da wart, bin ich rausgeklettert. Ich wollte mal sehen, wie das so ist. Und da muß ich sie –“
„Offengelassen haben? Du bist mir ein Held! Da konnte also jeder, der wollte, ins Haus, trotz verschlossener Haustür und wachsamer Hunde am Fuß der Treppe.“
„Ja“, gab Petra beschämt zu, „aber – aber den Papagei hätten wir sonst nicht gekriegt.“
„Wir haben ihn ja noch gar nicht!“
„Aber im Haus ist er.“
„Los, wir suchen!“
Sie liefen durch die Räume. Im hinteren Winkel, wo Cosys Kasperletheater stand, rührte sich etwas.
„Ich hab’ was gehört. Dort muß er stecken!“ rief Petra, riß das Theater zur Seite und blieb wie angewurzelt stehen. Vor ihr, in die Ecke gepreßt, stand ein Junge, etwa so alt wie sie selbst, mit ziemlich langem Haar, und guckte sie entgeistert an. Eine Sekunde lang glaubte sie, der Papagei habe sich verwandelt …
„Nanu“, sagte sie dann halblaut – ihre eigene Stimme