Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

Читать онлайн книгу.

Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


Скачать книгу

      „Ich kann es nämlich nicht mehr recht entziffern, meine Augen wollen nicht mehr, und mit der Brille komm’ ich nicht zurecht“, gestand sie, als Anja schwieg. „Da ist es schön, wenn du mir vorliest.“

      Anja sah mit weit aufgerissenen Augen zu ihr auf.

      „Darf ich den Brief mal mitnehmen? Mein Vater gibt nämlich Erdkunde, den wird das sehr interessieren. Ich verlier’den Brief bestimmt nicht!“

      Als sie später zu den Pferden hinübergingen, sagte Dagmar: „Da hast du der Frau aber eine große Freude gemacht, als du ihr den Brief vorlast.“

      „Ja, und weißt du, was ich mir ausgedacht hab’? Ich nehme ihn meinem Vater mit, und der tippt ihn ihr ab, wenn ich ihn ihm diktiere. Ganz groß und deutlich, das kann sie dann vielleicht selbst lesen. Es gibt Schreibmaschinen mit großem Druck, sie haben so eine in der Schule, das weiß ich“, erzählte Anja eifrig. „Meinst du, das könnte man machen?“

      „Natürlich! Da tust du ihr einen Riesengefallen.“

      Sie sattelten im Stall, weil es so schneite. Die Müllersfrau trat noch einmal aus der Tür, als sie schon aufgesessen waren.

      „Paßt nur gut auf, auf euch – und auf den Brief!“ setzte sie noch schnell hinzu, ein wenig verlegen. Alle drei nickten.

      „Wir versprechen es! Und wir kommen wieder und bringen ihn persönlich zurück, schicken ihn nicht mit der Post, damit er ja nicht verlorengehen kann“, versprachen sie eifrig. Sie hatten es vorhin schon beim Satteln besprochen. Die Müllerin winkte ihnen nach.

      „Das war schön“, seufzte Petra. „Nun sei brav, Pußta, und ärgere mich nicht. Nein, jetzt wird Schritt geritten.“

      „Ja. Wir müssen erst ausprobieren, wie der Untergrund jetzt ist. Beim ersten Schnee weiß man nicht so genau, ob es drunter glatt ist.“ Dagmar sprang noch einmal von ihrem Ströppchen und fuhr mit dem Stiefel im Schnee hin und her. „Sehr glatt ist es nicht, auf dem Feldweg können wir dann wieder traben. Na, bist du schon ein bißchen zu Hause in deinem Westernsattel?“ fragte sie zu Anja hinauf. Die nickte strahlend.

      Der Heimritt wurde wirklich wunderbar. Der Schnee fiel dicht und beständig, und die Pferde schienen sich darüber genauso zu freuen wie die Menschen.

      „Na, und die Hunde erst! Wir hätten sie mitnehmen sollen, wenigstens Zessi“, sagte Dagmar. „Ich wollte nur nicht, weil ich dachte, sie springt vielleicht um die Pferde und macht Lotte nervös, und das wäre beim erstenmal nicht gut für Anja. Aber wir lassen sie nachher hinaus und tüchtig toben. Was glaubt ihr, wie Hunde sich über den ersten Schnee freuen! Sie sind dann ganz verrückt, stecken die Nasen hinein und hopsen herum, es ist zu nett anzuschauen.“

      „Auch die Kleinen? Dürfen die Kleinen auch schon mit raus?“ fragte Petra begierig. „Die vier Hundebabys?“

      „Klar! Die lassen wir auch eine Viertelstunde toben“, verhieß Dagmar, „wir müssen sie nur hinterher richtig abrubbeln. So, nun traben wir mal wieder an. Ströppchen versteht schon die Welt nicht mehr, weil er weiß, hier geht es nach Hause, und hier darf er sonst immer losgehen, so schnell er will …“

      Anja faßte nach dem Sattelknopf, aber ganz anders als vorhin. Sie hatte keine Angst mehr, wenigstens nur ein ganz, ganz kleines bißchen. Herunterfallen wollte sie eben doch nicht. Und als sie dann galoppierten und der Schnee ihr ins Gesicht wehte, daß sie nur noch rot und grün sah, war ihr doch ein wenig bange zumute. Dann aber hieß es wieder „Scheritt!“, und sie atmete auf und lachte und wischte sich die Nässe vom Gesicht.

      „Reiten wir morgen wieder?“ fragte sie, als sie am Haus angekommen waren. Dagmar nickte ihr zu.

      „Natürlich. Jeden Tag, wenn es geht. Aber jetzt erst einmal hinein mit den Pferden, die freuen sich auch, wenn sie wieder daheim sind. War es schön?“

      Sie brauchte nicht zu fragen. Anjas strahlendes Gesicht sagte genug. Sie brachte ihre Lotte selbst in die Box, nahm ihr Sattel und Kopfstück ab, streichelte sie und gab ihr ein Stück Zucker, das sie sich heute früh eingesteckt hatte. Sehr viel Zucker sollen Pferde ja nicht bekommen, Mohrrüben sind besser. Vater hatte ihr, als sie sich verabschiedeten, ein bißchen Geld zugesteckt, „für alle Fälle“, davon würde sie heute im Laden des Dorfes Mohrrüben kaufen, und …

      „Ich möchte was besorgen gehen“, sagte sie zu Dagmar, als alles im Stall fertig war, „ich geh’ in das Geschäft, an dem wir vorhin vorbeigeritten sind. Darf ich Brumme mitnehmen? Ich führ’ sie auch an der Leine.“ Sie wußte, daß die alte Hündin nicht mehr sehr gut sah. Aber sie sollte doch auch in den schönen Schnee hinausdürfen. „Kann ich dir noch was mitbringen?“

      „Ja, Salz ist fast keins mehr da. Bring ein Pfund – und vielleicht noch ein paar Apfelsinen. Hier hast du Geld.“

      Anja ging. Sie kaufte noch etwas anderes in dem Laden, in dem es, wie es sich auf dem Dorf gehört, alles gab, was man brauchte: frische Brötchen und Schuhkrem, Besen, Kochtöpfe und Zeitungen. Ein Heft! Ein dickes, in schwarzes Wachstuch gebundenes Heft. Als sie damit heimkam, rannte sie die Treppe hinauf, hockte sich auf ihr Bett und schlug das Heft auf.

      „Tagebuch“ schrieb sie ganz groß auf die erste Seite und darunter das heutige Datum. Und darunter wieder kam, in großer, deutlicher, schön gemalter Schrift: „Mein erster Ausritt“. Dazu malte sie eine kleine Mühle, so wie sie die Mühle im Gedächtnis behalten hatte, mit dem großen Rad und dem Brunnen im Hof. Damit sie auch immer wußte, wohin ihr erster Ausritt geführt hatte.

      Als ob man so etwas je vergessen könnte!

      Ein schöner Silvestertag …

      „Na, was gibt’s denn?“ fragte Dagmar in harmlosem Ton und versteckte ein Lächeln. Anja kam die Leiter zum Heuboden so langsam herauf wie ihre eigene Großmutter. Dann setzte sie sich seitlich auf den Rand der Luke und versuchte, die Beine übereinanderzuschlagen.

      „Oooooch“, stöhnte sie als einzige Antwort.

      „Müde?“ fragte Dagmar hinterhältig.

      „Auch. Aber –“, wieder ein Stöhnen. Dagmar platzte heraus.

      „Entschuldige, wenn ich lache. Ich wußte, was kommt. Weißt du, was du hast? Muskelkater. Reitfieber. Das mußte ja kommen. Wenn man das erste Mal ein ordentliches Stück geritten ist, ohne es gewöhnt zu sein, und hinterher nicht sofort in die heiße Wanne oder wenigstens unter eine warme Dusche geht, kann man am anderen Tag nicht leben und nicht sterben. Gestern abend hab’ ich mit keinem Gedanken dran gedacht. Du warst mit uns geritten, als rittest du schon lange. Später, wenn man es gewöhnt ist, merkt man überhaupt nichts mehr. Oder hast du etwa Muskelkater, Petra?“ rief sie über Anja weg in den Stall hinunter, wo man Schritte kommen hörte.

      „Dankeschön, keine Spur. Auch früher hatte ich nie welchen. Jedenfalls kann ich mich nicht besinnen. Aber andere schon. Wir hatten mal Besuch, der durchaus reiten wollte, eine Kusine aus dem Rheinland. Meine Mutter fragte, ob sie Stunden hätte, und diese Base sagte, sie ritte zweimal die Woche. Na, da nahmen wir sie halt mit. Aber so nach zwei, drei Stunden sagte sie überhaupt nichts mehr, und als wir einmal Schritt ritten, stieg sie ab und meinte, sie wollte lieber führen …“ Petra lachte aus vollem Hals. „Die beiden Stunden wöchentlich waren gelogen, sie hatte seit Urzeiten nicht mehr auf einem Pferd gesessen.“

      „Ja, ja. Lügen haben kurze Beine. Und wenn wir gefüttert haben, gehst du auch heute noch ins heiße Bad, Anja, damit der Muskelkater etwas eher weggeht, hörst du? Wir wollen doch nachmittags wieder reiten.“

      „O ja! Aber erst – uuuuah – soll ich die Netze stopfen?“ fragte Anja todesmutig, aber mit verzerrtem Gesicht. Die beiden anderen mußten bei allem Mitgefühl wieder lachen.

      „Ja, los. Je eher wir fertig sind, desto besser. Zu dritt geht alles schneller.“

      Nach dem Füttern verschwand Anja und kam erst wieder zutage, als die anderen schon kräftig beim Frühstücken waren – hochrot vom heißen Wasser und mit nassen Haaren. „Besser?“


Скачать книгу