Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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gehen die Reiter manchmal mit den Hörnern an“, erklärte Dagmar.

      Auch das Horn befühlte Anja. Es war natürlich wichtig, weil es eine gewisse Sicherheit bedeutete.

      Und dann waren alle drei Pferde fertig und wurden hinausgeführt. Anja fühlte das Lampenfieber in sich aufschießen – wenn sie jetzt versagte? Ihr war zumute wie damals, als sie in einem Krippenspiel mittun sollte und im Scheinwerferlicht plötzlich kein Wort mehr von ihrer Rolle wußte.

      „So. Ja, du machst es richtig. Nun hochziehen“, hörte sie Dagmars Stimme. Sie hatte den linken Fuß im Bügel und schwang das rechte Bein über das Pferd. Und dann saß sie im Sattel, endlich im Sattel!

      „Mein erster Ausritt“

      Eigentlich kam Anja erst richtig zu sich, als sie das Dorf schon hinter sich gelassen hatten und einem Feldweg folgten, der leicht bergan führte. Sie ritten im Schritt. Dagmar hatte den Zügel von Lotte in der rechten Hand, und Lotte ging brav neben Ströppchen her. Anja rückte sich zurecht; der Sattel war wirklich sehr tief, man fühlte sich darin irgendwie geborgen und sicher.

      „Ich hab’ lieber Ströppchen genommen, weil er sich mit Lotte verträgt. Bei Pußta ist das nicht so sicher“, sagte Dagmar. Petra folgte mit Pußta. Die warf mit dem Kopf und versuchte, an Ströppchen vorbeizukommen und schneller zu werden. Dagmar sah kurz zu ihr hin.

      „Laß die Unterschenkel ein bißchen weg, Pußta ist kitzlig“, sagte sie, „aber du, Anja, kannst sie anlegen. Versuch, die Knie dicht am Pferd zu halten, Lotte ist das nämlich gewöhnt.“

      „Und Pußta nicht? Ich merk’s“, sagte Petra vergnügt. „Ola, ola, meine Gute –“ Pußta hatte einen Satz gemacht. Petra sprach beruhigend auf sie ein. „Immer dasselbe, was ein Pferd für Macken hat, wird einem immer erst gesagt, wenn man drauf sitzt. Warum eigentlich nicht vorher?“

      „Macke! Daß sie ein bißchen kitzlig ist, ist ja noch keine Macke“, sagte Dagmar friedlich. „Und Lotte hat überhaupt keine Macken, höchstens, wie gesagt, vorm Wagen. Beim Reiten geht sie nicht durch. Hier, du kannst die Zügel selbst haben, Anja, du siehst ja, sie bleibt neben mir. Nimm sie auf, so, wie ich sie halte – Fäuste aufrecht, ja, gut so. Und aufrecht sitzen, aber kein hohles Kreuz machen. Komm neben uns, Petra, dann geht die Pußta auch wie eine Eins. Traben können wir später. So, auf meine linke Seite, mit der Lotte ist sie manchmal etwas giftig.“

      „Wieder was, was man vorher nicht erfuhr“, sagte Petra, gehorchte und kam an Dagmars Seite. „Nun sag nur noch, daß sie sich im Galopp aufs Gebiß legt.“

      „Wir galoppieren ja noch gar nicht“, sagte Dagmar vergnügt, „nein, jetzt wird erst Schritt geritten. Wie fühlst du dich, Anja? Gut, was?“

      „Wunderbar“, seufzte Anja. Es war die Wahrheit. Sie holte tief Atem und sah nach vorn: „Ich reite!“

      „Der Kopf sei der höchste Punkt des Reiters, die Schultern sollen ein wenig zusammengenommen werden, kein Hohlkreuz bitte, das Gesäß im Sattel vorschieben, die Oberschenkel angesaugt, die Unterschenkel nur ganz leicht am Pferd, so daß ein Seidenpapier dazwischen nicht zerknittert würde – die Hacken nach unten gedrückt und die Fußspitzen in Richtung des Pferdekörpers angehoben, Arme leicht gewinkelt und Fäuste aufrecht – locker und ungezwungen bleiben“, betete Petra halblaut vor sich hin. „Das letzte finde ich immer als Höhepunkt. Für alles, für jedes einzelne Fingerglied gibt es Vorschriften, und dann wird verlangt, daß man ganz natürlich und ungezwungen sitzen soll …“

      „Ja. Später ist einem das alles ganz selbstverständlich“, sagte Dagmar. „Anfangs klingt es unmöglich. So, und jetzt traben wir an. Keine Sorge, Anja, Lotte wirft so gut wie überhaupt nicht, sie geht so weich, daß man denkt, sie läuft auf Daunen.“

      Anja konnte das nicht finden. Lotte hatte sich gehorsam in Trab gesetzt, und das war wahrhaftig etwas anderes als vorhin der Schritt. Vielleicht war Lottes Trab gegen den anderer Pferde wirklich weich, Anja aber hatte das Gefühl, als hopste sie auf und ab, fiel einmal rechts und dann wieder auf der anderen Seite aufs Pferd zurück, wurde geschüttelt und geworfen …

      Ein Glück, daß sie sich am Horn festhalten konnte. Sie tat es, und als Dagmar dann auch noch zu ihr herüberschauend: „Gut so, sehr gut“, sagte, kam sie langsam wieder zu Atem.

      „Mach die Beine lang, so lang es geht“, sagte Dagmar, „ja, so sitzt man sicherer. Wie eine Kneifzange. Sobald du dich nach vorn beugst, rollst du seitlich ab. Schön aufrecht!“

      Wahrhaftig, Anja merkte es. Und dann hieß es zum großen Glück wieder: „Schritt!“, und man konnte aufatmen.

      Petra kämpfte ein wenig mit ihrem Pferd, das den Kopf warf und mit dem Schweif schlug.

      „Gib acht, daß du mit dem Zügel kein Mähnenhaar erwischst, das mag sie nicht“, rief Dagmar zu ihr hinüber, „dann schüttelt sie. Na, du wirst dich wohl nicht mehr an der Mähne halten müssen, nicht wahr!?“

      „Nein, aber aus Versehen kriegt man manchmal eins zu fassen“, sagte Petra und bekam ihre Stute endlich in Schritt, versuchte, sie wieder an Ströppchens Seite zu bugsieren. „Das kommt bloß von den Handschuhen. Kannst du sie nehmen?“ Sie hatte sie mit den Zähnen abgezerrt und reichte sie Dagmar hinüber. Die nahm sie ihr ab und stopfte sie in die Jackentasche. „Aber frieren wirst du jetzt.“

      „Na, wenn schon. So, so, Pußta, jetzt geht‘s besser, nicht wahr?“

      Während die beiden miteinander beschäftigt waren, versuchte Anja zu begreifen, daß endlich wahr geworden war, was sie seit Monaten ersehnte: Sie ritt! Sie ritt wirklich, saß nicht nur auf einem Pferd, das jemand führte, sondern ritt neben anderen aus, die Zügel selbst in der Hand. Weit lag das Land vor ihr, ein wenig wellig, nicht bergig, sondern sanft auf und ab schwingend. Und jetzt – es war, als sollte das Glück vollkommen werden – begann es ganz, ganz sachte zu schneien. Erst waren es nur ein paar winzige Flöckchen, die herabtaumelten, hier eins und dort eins, dann aber besann sich der Himmel und öffnete sich. Petra behauptete, sie wäre schon ganz weiß vorn. „Hier, mein Anorak, seht ihr?“ Dagmar lachte sie aus. „Denkst du, bei uns ist es anders? Ich hab’ den Schnee doch bestellt, extra für euch. Da will ich auch was davon abkriegen!“

      Als sie eine kleine Steigung hinter sich hatten, sahen sie das Dorf, zu dem sie reiten wollten.

      Die Mühle war allerdings noch nicht auszumachen, sie lag im Tal.

      „Es ist eine Wassermühle, keine Windmühle“, erzählte Dagmar, „und sie wird seit einigen Jahren elektrisch betrieben. Aber es spukt noch immer dort. In Mühlen spukt es ja oft. Das Rad ist noch zu sehen, ich zeig’ es euch.“

      „Spukt es wirklich?“ fragte Anja, als Dagmar einen Augenblick schwieg. Sie hatte das so erzählt wie alles andere, sachlich und ruhig, so, wie wenn man sagt: Es ist kalt heute. Spuk – den gab es doch nicht!

      „Doch, ja, irgendein alter Müller geht da um. Aber nicht am Tag. So, nun können wir noch mal traben und dann ein Stück galoppieren, damit Anja weiß, wie das ist. Wenn sie hinterher absteigt und zum Nachhauseritt wieder aufsitzt, ist sie schon ganz zu Hause auf dem Pferd. Also – Terrab – so –“, die Pferde gehorchten, „und jetzt – Galopp marsch!“

      Anja hatte es oft gehört und nie geglaubt, aber es stimmte: Galopp ist die leichteste Gangart. Wenn man beim Trab von rechts nach links geschüttelt wird, wiegt man dagegen im Galopp gleichmäßig vorwärts. Der Galopp wiegt einen; jedenfalls tat er es bei Lotte, sanft und gleichmäßig.

      „Na?“ fragte Dagmar, als sie am Ende des Feldwegs, der hier in eine größere Straße einmündete, wieder in Schritt gefallen waren.

      „Wunderbar“, seufzte Anja, und im gleichen Augenblick quiekte sie auf, erschrocken und unkontrolliert. Ein paar Schritte vor ihr, links von Ströppchen, war Petra von ihrer Stute geschossen, die aus einem unerfindlichen Grund plötzlich gestoppt hatte. Sich in der Luft zusammenkugelnd, überschlug sich Petra und landete in einem Haufen Gestrüpp, das hier am Wege stand. Anja war furchtbar erschrokken.

      Dagmar


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