Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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steig’ ich immer ab“, behauptete sie und lief zu ihrem Pferd hin. „Danke. Aber wenn du wieder mal so plötzlich stoppst, geliebte Pußta, sag es vorher!“ Schon war sie wieder oben.

      Sie ritten dann das letzte Stück im Schritt, hier war die Straße hart. Als sie an der Mühle angekommen waren, sprang Dagmar ab, hielt Lotte, damit Anja absitzen konnte, und führte die Pferde in den Hof. Die Frau des Müllers kam ihnen entgegen und begrüßte sie freundlich. Sie durften die Pferde einstellen – die Mühle hatte noch einen richtigen Stall dabei –, absatteln und anbinden. Jedes bekam einen Armvoll Heu vor die Nase gelegt, und sogleich fingen sie an zu fressen. Dagmar zeigte Anja, wie man den Sattel aufhängt, und dann drängten sie alle hinüber ins Haus, in die Küche, ins Warme.

      „Ich bin gerade beim Backen“, sagte die Müllersfrau. „Ihr kommt genau richtig.“

      Sie zog soeben ein Blech mit Hefegebäck aus dem Ofen. Es roch süß und gut, nach Zimt und zerlassener Butter. „Setzt euch, ihr bekommt gleich etwas Warmes zu trinken.“

      „Danke. Ach, wunderbar!“ Es tat unbeschreiblich wohl, die Anoraks auszuziehen und sich zu strecken – irgendwie muß man nach dem Reiten ja wieder stehen, laufen und sitzen lernen – so jedenfalls empfindet es der Anfänger. Alle Muskeln sind anders beansprucht worden als gewöhnlich, und ein bißchen spürt man auch die Knochen, von denen man sonst keine Ahnung hat, daß sie überhaupt vorhanden sind. Nirgends aber konnte einem wohler sein als in dieser süß duftenden Mühlenküche, meinte Anja, und die anderen schienen es genauso zu fühlen.

      Die Müllerin goß ihnen heiße Milch ein und rührte Honig dazu. Anja merkte erst jetzt, wie ausgekühlt sie war. Vor allem spannte die Haut im Gesicht, aber der warme Trunk wirkte Wunder. Petra hatte sofort – woher, wußte der Himmel – eine Katze auf dem Schoß, mit der sie schmuste, und Dagmar unterhielt sich mit der Müllersfrau, bestellte, was sie bestellen wollte, und bekam eine freundliche Zusage. Anja machte Dagmar heimliche Zeichen. ‚Frag nach dem Spuk!‘ sollte das heißen, und als die Frau einmal kurz hinausging, erinnerte sie Dagmar noch einmal rasch und dringend daran.

      „Ja, ja“, verhieß diese, und als die Müllersfrau wieder hereinkam, tat sie es auch, unbefangen und selbstverständlich.

      „Ja, er war mal wieder zugange, der Alte“, sagte die Müllerin. „Ich traf ihn draußen am Brunnen. Wir haben doch noch einen richtigen Brunnen im Hof, obwohl natürlich längst eine Wasserleitung im Haus liegt. Aber der Brunnen ist so hübsch, wir lieben ihn sehr, und außerdem ist er eine Sicherheit mehr, wenn das Wasser mal abgestellt ist. Ihr könnt nachher die Pferde noch mal ranführen, Brunnenwasser ist gesünder als anderes. Nun, da stand er und machte mir ein Zeichen, ich sollte aufpassen, daß der Brunnen nicht einfriert. Wir bekommen Kälte, meine ich – mir ist so.“

      „Hat er – hat der alte Müller das gesagt?“ fragte Anja scheu, aber doch begierig, etwas davon zu hören. „Und wie sah er aus?“

      „Gesagt hat er nichts, aber ich verstand schon, was er meinte“, sagte die Frau freundlich. „Komm, Dagmar, streich mir flink den Kuchen, da liegt der Pinsel. – Und wie er aussah? Halt wie ein Müller, hell angezogen, ich sah ihn nur einen Augenblick lang und ein bißchen verschwommen. Er tut einem nichts“, setzte sie hinzu, nachdem sie kurz in Anjas Gesicht gesehen hatte, „er hat noch nie jemandem was getan. Ich denke immer, es ist der, der die Mühle hier gebaut hat, vor Jahrhunderten. Sie ist nämlich sehr alt. Und er sorgt sich darum, daß alles gutgeht damit. Vor dem großen Sturm vor zwei Jahren, als überall die Dächer abgedeckt wurden, hat er mich auch gewarnt. Nein, nein, er ist nicht das, was man ein böses Gespenst nennt.“

      Sie sprach von ihm wie von einem Bekannten, der manchmal zu Besuch kommt. Anja wagte nicht weiterzufragen. Aber als sie ein wenig später durch die Mühle gingen – Dagmar hatte gebeten, den Jüngeren alles zeigen zu dürfen, und die Frau hatte lächelnd dazu genickt –, war das erste, was Anja fragte: „Glaubst du im Ernst –“

      „In Mühlen spukt es oft, oder man glaubt, daß es spukt“, sagte Dagmar. „Da klopft es hier und dort, immer gibt es Geräusche, es klappert und bewegt sich was, ähnlich wie auf einem Segelschiff. Dort ist es dann der Klabautermann und hier eben der Mühlengeist. Jetzt, wo die Mühle elektrisch läuft, fällt es nicht mehr so auf. Aber gerade hier“, sie deutete auf eine Art Aufzug, mit dem man Säcke hinauf- und hinunterschicken konnte, um sie nicht mühselig über die Treppe tragen zu müssen, „hört man es oft klappern und bumsen, und dann heißt es, es spukt. Solche Aufzüge gibt es in allen Mühlen. Sie werden mit einem Strick bedient, an dem man zieht.“

      „Aber wenn sie ihn doch getroffen hat, draußen!“ staunte Anja, noch immer ganz erfüllt von dem, was die Müllerin erzählt hatte.

      „Da bin ich überfragt. Ich wohne ja nicht hier“, sagte Dagmar und zuckte ein wenig mit den Achseln. „Du möchtest hier nicht wohnen müssen, oder?“ lächelte sie.

      „Lieber nicht“, gestand Anja. Petra aber rief:

      „Ich schon! Ich würde ihm auflauern und ihn dann ansprechen. Ihn fragen, wie es früher war, als er hier lebte – und dann würde ich –“ Hinter ihr gab es einen Bums. Sie fuhr herum, nun doch erschrocken.

      „Diesmal war es nicht der Müller. Diesmal war es der Besen“, sagte Dagmar trocken und hob ihn auf. „Und nun kommt! Wenn er gerade da war, am Brunnen, meine ich, dann treffen wir ihn jetzt sicher nicht. Ich will euch das Mühlrad zeigen. Ja, das ist noch das alte, echte, und es würde sich auch noch drehen, wenn man das Wasser darüber leitete.

      Sie standen und staunten – das riesige Rad aus dunklem Holz sah wirklich aus, als gehörte es in ein Märchenbuch.

      „Wenn ich groß bin, male ich die Bilder zu Märchenbüchern“, dachte Anja, „und dann kommt diese Mühle mit hinein. Große Bilder mit vielen Farben, farbigem Himmel und blaugrünen Wäldern, und ganz kleine Häuser, auch die Mühle ganz klein, in einer Ecke, aber alles ganz genau, vor allem das Rad …“

      Sie gingen dann über den Hof, noch mal zum Stall, um nach den Pferden zu sehen. Die standen und fraßen, artig nebeneinander. Es schneite noch immer. Sie kamen ganz gepudert zurück in die Küche, wo die Müllersfrau inzwischen den Tisch mit buntglasiertem Geschirr gedeckt hatte.

      „So, der Hefezopf ist jetzt so weit ausgekühlt, daß ihr ihn essen könnt. Hier, nehmt Hagebuttengelee dazu, das schmeckt am besten.“

      Sie schob ihnen das Glas hin. Es leuchtete dunkelrot, ach, und es schmeckte köstlich, wenn man es auf den frischgebackenen Kuchen strich. Sie schwelgten, und die Müllersfrau hatte sich zu ihnen gesetzt und erzählte von ihren Kindern.

      Die waren schon groß, zwei studierten. Die Tochter hatte ihr Lehrerinnenexamen gemacht und war dann wieder zu einer ihrer großen Wanderungen aufgebrochen, diesmal nach Indien. Sie war ein Mensch, der es nie länger als ein paar Monate an einem Ort aushielt. Sie war schon in Lappland und Kanada, in Nordafrika und Sardinien gewesen.

      „Ach ja, das Wandern ist des Müllers Lust“, seufzte sie. „Ich wünschte, sie bliebe endlich einmal daheim. Immer muß ich in Sorge um sie sein, und wenn ich abends bete für sie, weiß ich nicht, wo ich sie suchen soll.“

      „Schreibt sie denn manchmal?“ fragte Petra. „Da könnte man es doch am Poststempel sehen. Ich finde es wundervoll, so viele Länder zu sehen. Geht sie immer allein los?“

      „Meist ja. Diesmal sind sie zu dritt, ein einziges Glück. Zwei Studenten, ein junger Mann und seine Schwester, haben sich ihr angeschlossen. Das ist doch ein gewisser Schutz. Sie kann ja unterwegs auch mal krank werden oder sich was brechen, oder jemand überfällt sie und nimmt ihr das Geld weg. Da ist es doch besser, ein Mann ist dabei. Ja, sie schreibt schon, wunderbar lange, lange Briefe, in ganz winziger Schrift, damit recht viel drauf geht. Sogar meist ohne Anrede, um Platz zu sparen, nur manchmal steht am Anfang: ‚LE‘, das heißt: ‚Liebe Eltern‘, und an den Schluß setzt sie ein klitzekleines Herz und ein I hinein. Sie heißt Irmgard“, erzählte die Müllerin. „Soll ich euch mal einen von ihren Briefen zeigen?“

      „O bitte, ja!“

      Dann saßen sie am Tisch und versuchten,


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