Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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lachte.

      „Erstens kann man Leute, die man bisher noch nicht kannte, kennenlernen. Das heißt, wenigstens diese Dagmar mit der verknacksten Pfote. Das hab’ ich ja gesagt. Und allein fort? Sie geht ja mit Petra dorthin, und Petra und ihre Eltern kennen wir ja nun schon eine ganze Weile. Und“, er zog das Wort in die Länge und sah Mutter an, jetzt ernst, ein bißchen mahnend.

      „Und?“ fragte sie, als er innehielt.

      „Und? Auch kleine und bisher einzige Töchter werden eines Tages groß und wollen sich in der Welt bewähren, nicht nur immerzu zu Hause bleiben und Muttern helfen“, sagte Vater leise. „Hast du dir das schon mal überlegt? Diesmal ist es das erste Mal, und alles, was das erste Mal ist, ist eine große Sache. Besinnst du dich noch darauf, wie es war, als Anja das erste Mal allein in den Kindergarten ging? Und das erste Mal allein in die Schule …“

      Er sah Mutter an. Um ihren Mund zuckte es, aber sie versuchte zu lächeln. Er legte den Arm um ihre Schulter.

      „Es wird ihr guttun, keine Frage“, sagte er herzlich, „und dir auch. Eine Trennung ist manchmal sehr heilsam, denn gar zu einig seid ihr ja wohl in letzter Zeit nicht gewesen, Anja und du, oder? Na also. Und dann hast du etwas, worauf du dich freuen kannst, wenn sie wiederkommt. Ist das nicht hübsch?“

      Drüben telefonierte Anja, daß man denken konnte, der Telefondraht müßte ins Glühen kommen.

      „Sicherlich erlauben sie es – aber wissen wollen sie natürlich, wo es ist –, wir müßten jemanden finden, der uns hinfährt, meine Mutter ist nun mal so, immer hat sie Angst um mich. Ob deine Mutter es nicht täte? Die ist doch immer so toll – fragst du sie mal? O Petra, bis zum Schluß der Ferien sind es noch zehn Tage. Zehn Tage Pferde und Hunde und wir beide zusammen, und –“

      Das alles in Lautstärke zwölf, als könnte Petra sie sonst nicht verstehen.

      „Und – und – und –“

      Vater und Mutter sahen einander an und mußten lachen.

      Ja, es war wirklich ein toller Plan!

      Wie manche Leute wohnen

      Dagmars Eltern wohnten wirklich „Hinter Pfui-Teufel“, wie man zu sagen pflegt. Frau Hartwig jedenfalls machte ein etwas pikiertes Gesicht, als sie den Wagen durch eine enge Kurve zog und immer noch kein Schild mit „Hinterhopfingen“ kam. Gerade hatten sie eine Brücke überquert, und der Nebel hüllte den Wagen ein, daß man mit Licht fahren mußte, und das am hellen Vormittag.

      „Wo mögen die Kinder wohl in die Schule gehen?“

      „Sie fahren zweiundzwanzig Kilometer“, meldete Petra von hinten, die sich immer und überall orientierte, „und der Schulbus kommt auch nicht bis ran. Ich meine, bis an Dagmars Dorf. Sie muß früh ein ganzes Stück laufen.“

      „Da habt ihr es ja gut dagegen“, sagte Mutter. Anja fand das wieder einen richtigen Mutter-Ausspruch. War es nicht viel romantischer, früh durch Nacht und Nebel laufen zu müssen, als vom Schulbus an der Tür abgeholt zu werden? Petra meinte das übrigens auch.

      Sie fuhren eine enge Waldstraße entlang, dann kam ein Schild: Für Kraftfahrzeuge verboten, Anlieger frei. Frau Hartwig bog ein, ein wenig zweifelnd, ob es richtig war. Petra zappelte auf ihrem Rücksitz und deutete aufgeregt auf ein Stück Weideland, um das ein doppelter Drahtzaun lief, etwa in Höhe von fünfzig und achtzig Zentimetern. Der Draht ging von Pfosten zu Pfosten und war an honigfarbenen, durchsichtigen Haltern angebracht.

      „Elektrozaun, das macht man für Pferde!“ verkündete sie aufgeregt. „Wir sind bestimmt richtig!“

      Wirklich, jetzt kam ein Dorf. Keins, in dem reiche Fabrikanten sich geschmackvolle Eigenheime mit schönen Gärten gebaut hatten, sondern ein richtiges Bauerndorf mit Scheunen und Ställen. Ziemlich schmutzig, fand Anja, sagte aber nichts. Petra deutete wild winkend nach links.

      „Dort müssen wir einbiegen, Dagmar hat mir‘s am Telefon genau beschrieben. Ein schmaler Weg links, auf dem man nicht mehr umdrehen kann.“

      „Und wie soll ich wieder rauskommen?“ fragte ihre Mutter und fuhr langsamer.

      „Ach, irgendwie. Rückwärts vielleicht. Dort! Dort! Das Haus muß es sein! Seht ihr nicht, da hängen Hufeisen über der Tür!“

      „Das hat nichts zu sagen, die gibt‘s jetzt überall“, sagte Vater. „Hufeisen oder alte Wagenräder oder Mistkarren und solchen Klimbim – man ‚trägt Pferd‘, das ist jetzt Mode.“

      „Aber Nummer 69! Das hat Dagmar gesagt. Seht ihr nicht, dort hängt doch eine 69, aus Hufeisen gemacht!“

      Wirklich, über der Tür des langgestreckten Bauernhauses rechts von der Straße hingen zwei alte, geschickt zurechtgebogene Hufeisen, dünn gewetzt, blinkend, eins wie eine Sechs aufrecht stehend und eins daneben umgekehrt, wie eine Neun. „Hier ist es. Bestimmt, hier wohnen sie!“

      Frau Hartwig fuhr dicht heran und hielt. Petra und Anja purzelten mehr heraus als daß sie ausstiegen, und gleichzeitig ging die Haustür auf. Ein junges Mädchen in Reithosen und Gummistiefeln trat heraus, mit einer Hand einen großen schwarzen Hund am Halsband zurückhaltend, der vorwärts zog – die andere Hand war umwickelt.

      Das mußte Dagmar sein, kein Zweifel! Sie lachte den Ankommenden entgegen, das wunderschöne rötliche Haar aus der Stirn schüttelnd.

      „Grüß dich, Dagmar“, schrie Petra aufgeregt, „kann ich sie halten? Die Hündin, meine ich. Weil du doch nur eine Hand hast. Komm, laß mich –“

      „Ich hab‘ noch zwei“, lachte Dagmar und übergab ihr das Halsband. „Denkst du, die andere ist ab? Nicht mal gebrochen, wie sich beim Röntgen rausstellte, nur verstaucht. Der Arzt sagte, wir brauchten keinen Gips, ein Zinkleinenverband genügte. Und ich hab’ euch herzitiert … aber eine kleine Hilfe tut mir eben doch furchtbar gut, das seht ihr ein, nicht wahr? Ich kann ja fast – fast – fast gar nicht zufassen –“, sie lachte so kläglich wie möglich. „Da, halt die Brumme, Petra, ja, so. Sie tut immer mächtig wütend, ist aber im Grunde ganz lieb. Sie ist alt und etwas wunderlich geworden, das werden Menschen ja auch manchmal. Im großen und ganzen kommt man schon mit ihr aus, und wachsam ist sie, alle Achtung!“

      „Und das? Wer ist das?“ fragte Petra weiter. Ein schmaler Hund, halb groß, braun gelockt, guckte jetzt aus der offenstehenden Tür.

      „Das ist die Prinzessin. Komm, Zessi, und stell dich vor. Sie ist noch jung und dumm, aber eine Seele von Hund. Ja, kannst sie ruhig streicheln, Anja – das bist du doch, oder?“ Sie lächelte Anja an.

      Anja konnte sich noch nicht recht entschließen zuzugreifen. Sie war als kleines Kind einmal von einem Hund angefallen und umgeworfen worden und hatte das nicht vergessen. Zögernd trat sie näher heran.

      „Du brauchst sie ja nicht gleich am Halsband zu nehmen“, sagte Vater beruhigend hinter ihr, „laß sie an dir schnuppern, dann mag sie dich sicher sogleich gern, weil du nach Pferden riechst.“

      „Riech’ich denn?“ fragte Anja beglückt. Vater lachte.

      „Und ob! Wie eine ganze Kavalkade, wenn du aus dem Reitverein kommst. Man riecht das schon auf zehn Meter Entfernung. Siehst du, Zessi tut dir nichts.“

      „Aber ihr habt doch noch mehr Hunde?“ fragte Petra eifrig.

      „Natürlich, die Willia und ihre Jungen. Sieben waren es, vier haben wir noch. Ich zeige sie euch gleich. Aber erst –“

      „Erst die Pferde!“

      „Nein, erst kommen Sie doch bitte herein, ich hab’ Kaffee gekocht“, sagte Dagmar zu den drei Erwachsenen, „Kaffeekochen kann man auch mit einer Hand. Aber sonst ist eben doch manches zu tun, was ich einhändig nicht so recht hinkriege. Meine beiden Schwestern sind mit meinen Eltern verreist, wissen Sie –“ Sie schloß die Haustür hinter sich. „Hier, legen Sie doch bitte ab, denn ein bißchen Zeit haben Sie doch hoffentlich mitgebracht?“

      Es


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