Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast
Читать онлайн книгу.„Die Eintrittsgebühren für sie bezahlen und im ersten Jahr je eine Wochenstunde? Bitte, bitte lassen Sie mir die Freude“, bat sie und sah Anjas Eltern nacheinander an. „Sie möchte doch sicherlich gern Mitglied sein und reiten dürfen, und sie hat uns einen ganz, ganz großen Dienst erwiesen. – Oder hat es einen bestimmten Grund, daß sie es bisher nicht erlaubten?“
Mutter schüttelte jedoch heftig den Kopf.
„Aber nein. Wir wußten nur nicht, ob die Begeisterung auch anhält. So viele Kinder schwärmen heute vom Reiten, besonders Mädchen, hängen sich Pferdebilder übers Bett und denken, damit ist es schon getan. Lesen Pferdebücher und träumen sich hinein, eine Reiterin zu sein und überall die ersten Preise zu machen, in die Zeitung zu kommen …“ Anja zuckte ganz leicht, aber Petra packte sie am Handgelenk und drückte sie fest. „… und ähnliches. Da wollten wir abwarten, ob es nur ein Strohfeuer ist. Außerdem ist es teuer, und wir müssen sehen, wie wir hinkommen, gerade jetzt nach dem Umzug. Man soll ja auch den Kindern nicht jeden Wunsch erfüllen.“
„Aber ich hab’ doch sonst gar keinen!“ rief Anja jetzt, von plötzlicher Seligkeit bei der Aussicht in tiefe Angst gestoßen. Eben sah es noch so aus, als sollte ihr das Allerallerschönste im Leben zuteil werden, und da kam Mutter mit solchen Ansichten dazwischen! Als ob sie jemals anders denken würde als jetzt! „Ich hab’ nur diesen einzigen Wunsch, und schon so lange!“
„Und den möchten wir dir erfüllen“, sagte Frau Hartwig noch mal. „Bitte erlauben Sie es uns doch! Petra würde sich auch so freuen!“
„Klar! Und wenn du erst ein paar Longenstunden nimmst, kommst du vielleicht sogar mit mir in eine Abteilung“, sagte Petra eifrig. „Bei uns sind welche, die können gar nicht viel, und nur, weil sie schon lange Mitglied sind, reiten sie bei uns. Herr Anders spricht sicher mit dem Reitlehrer, wenn ich ihn drum bitte.“
„Longenstunden, was ist denn das?“ fragte Mutter jetzt, und man hörte ihrer Stimme an, daß sie überzeugt war, dies sei etwas ganz besonders Gefährliches.
Cornelia fing an zu erklären. Sie hatte eine sachlich beruhigende Art, tat so, als habe sie Mutters bebende Angst gar nicht gespürt. Petra und Anja saßen stumm dabei, die Augen aufgerissen. Vater und Mutter hörten mit Interesse zu, und Onkel Kurt ließ keinen Blick von Cornelia. Nach einer Weile seufzte Mutter auf – erst wurde also an der Longe geritten, das Pferd konnte nicht davongehen. Das war doch sehr tröstlich.
„Du, das hat sie hingekriegt“, flüsterte Petra, als sie sich verabschiedeten.
„Ja, große Klasse“, antwortete Anja ebenso leise und kniff Petra in den Arm. „Wenn ich mir vorstelle, ich darf nun mit …“
„Wunderbar, nicht?“
„Das hast du großartig gemacht, Cornelia“, sagte auch Onkel Kurt, als er sie an den Wagen brachte. Der stand unten auf dem Platz, mit weißer Mütze auf dem Dach. Es hatte wieder angefangen zu schneien. Die Siedlung sah aus wie aus einem Bilderbuch herausgesehnitten, mit der beschneiten Kirche, den weißen Hauben auf den Zaunpfählen der Gärten, dem stillen Platz. „Wann seh’ ich dich morgen? Sag schnell –“
„Ich reite um sechs. Ist dir das zu zeitig? Wenn du um sieben da bist, könnten wir zusammen frühstücken. Wollen wir, bei mir?“
„Sie duzen sich“, tuschelte Petra Anja gerade noch zu, ehe sie zu ihrer Mutter in den Wagen schlüpfte, „ich hab’ es gleich gemerkt. Gleich – bei den Hündchen. Kommst du morgen in den Reitverein? Ich bin um halb zwei drüben.“
„Aber ja, ich auch!“ rief Anja glücklich.
Und bei sich, unhörbar für die anderen, fügte sie hinzu: „Im Reitverein – morgen – und dann immer!“
Ein toller Plan
„Anja? Grüß dich, hier ist Petra. Hör zu, du mußt unbedingt – ach so, Verzeihung! Ja, hier ist Petra Hartwig. Kann ich Anja sprechen? Oder ist sie nicht da?“
„Doch, doch, sie ist schon da. Ich hol’ sie.“
Mutter seufzte und legte den Hörer hin. Seit ein Telefon in der Wohnung war – Vater hatte es ihr zu Weihnachten geschenkt –, klingelte es zu jeder Tageszeit, und wenn man alles aus den Händen warf, was man gerade vorhatte – entweder eins der Babys wickelte oder die Hände im Kuchenteig stecken hatte –, dann war es meistens Petra.
„Ist Anja da?“
„Ich muß Anja sprechen –“
„Kann Anja zurückrufen, wenn sie kommt?“
„Ich ruf noch mal an –“ Es war kaum zu ertragen. Mutter versuchte sich mit dem einsichtigen Gesangbuchvers zu trösten, der da heißt: „Alles Ding hat seine Zeit …“, und sich zu sagen, daß auch die aufregendsten technischen Dinge eines Tages den Reiz verlieren und alltäglich uninteressant werden. Aber noch befand sich das Telefon nicht darunter. Sie ging, die Tochter zu suchen.
Anja saß in ihrem Zimmer, das heißt, sie lag über das Bett hingeworfen, das Mutter vorhin so schön gemacht hatte, ihre Stiefel bildeten ein Stilleben auf der Erde, und der Anorak hing schief auf der Stuhllehne. Mutter holte Atem, um etwas zu sagen, hielt dann aber inne. Es war so zwecklos …
„Anja?“
„Hm?“
„Könntest du nicht –“, setzte Mutter nun doch an, ließ es aber dann lieber bleiben.
„Petra ist am Telefon.“
„Petra?“
Sofort war Anja munter. Sie warf das Buch weg, in dem sie gelesen hatte, sprang auf und rannte los, an Mutter vorbei und durch den Flur ins Wohnzimmer.
„Ja?“ fragte sie atemlos in den Hörer.
Mutter war in Anjas Zimmer zurückgeblieben. Mechanisch hob sie die Stiefel auf, stellte sie nebeneinander an die Heizung und angelte nach der Gerte, die halb unter dem Bett hervorsah. Mit dem Ordnunghalten soll es ja nach den neuesten Erkenntnissen der Erziehung ähnlich sein wie mit der Sauberkeit des Kleinkindes: Hat man genug Geduld, so stellt sie sich eines Tages von selbst ein. Dieser Tag erschien Mutter weltenfern …
Sie ging hinüber. Anja hockte auf dem Schreibtisch ihres Vaters, baumelte mit den bestrumpften Beinen und sprach und lachte ins Telefon. Sie sah bezaubernd aus, fand Mutter: das Gesicht unter den kurzen Haaren munter und lebendig, die Haut glatt und ganz leicht bräunlich, die Augen blitzend. Mutter erinnerte sich nicht, sie je so gesehen zu haben, wenn sie sich mit ihr oder Vater unterhielt. Nun ja, es war Petra, ihre Freundin, ihre angebetete, zwei Jahre ältere, großartig reitende und auch sonst in jeder Beziehung nachahmenswerte Freundin, mit der sie sprach. Freundinnen sind wichtig, gerade in diesem Alter.
„Na sicher! Aber klar! Denkst du, ich möchte nicht?“
Endlich legte sie auf.
„Mutter, ich muß unbedingt –“
„Was mußt du denn wieder unbedingt?“ fragte Mutter und ärgerte sich, obwohl sie es nicht wollte. „Immer mußt du unbedingt etwas, wenn Petra anruft. Immerzu –“
„Aber das ist ein wirklicher Notstand! Das ist was ganz Wichtiges! Das ist –“
„Was um Himmels willen ist denn nicht wichtig, wenn es von Petra kommt“, sagte Mutter. Ihr Ton war jetzt so, daß Anja erschrocken zu ihr herübersah.
Das wiederum tat Mutter leid.
Nein, es war nicht leicht. Von einer Mutter wurde wahrhaftig einiges verlangt: der Tochter gerecht zu werden, während man zwei winzige Söhne zu versorgen hatte, die genug Arbeit machten, den Mann nicht zu vernachlässigen und dabei freundlich, geduldig und immer fröhlich zu sein, allezeit, in allen Situationen. Auch, wenn die Tochter überhaupt nichts mehr von einem wissen wollte und nur noch an Petra und den Reitverein dachte, und das mit zehn Jahren …
„Im Reitverein? Gar nichts“,