Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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sie aber nun –“

      „Du malst dir natürlich jetzt aus, daß sie nachts oder bei dickem Nebel zu der kleinen Tür herausfallen und sich Hals und Beine brechen“, sagte Vater belustigt und hakte Mutter unter, um sie ins Haus zu führen. „Denk doch ein einziges Mal daran, daß auch kleine Mädchen lieber mit ungebrochenen Beinen und Armen herumspringen und sich also schon ein bißchen in acht nehmen werden. Nicht wahr, Dagmar? Von Ihrer Leiter ist noch keiner gepurzelt?!“

      Er zwinkerte Dagmar zu. Die lachte.

      „Nein, wahrhaftig. Und Anja und Petra sind ja schon groß. Als Hedi, meine richtige Schwester – sie ist vier Jahre jünger als ich – zehn war, also ungefähr so alt wie Anja, fuhr sie uns jeden Tag den Mist weg. Ganz selbständig. Wir packen den täglich anfallenden Mist auf einen Wagen, der am Stallausgang steht, und vor den spannte sie ganz allein unsere Lotte, fuhr den Mistwagen weg, lud ihn ab und brachte ihn leer zurück. Einmal ging ihr die Stute durch, es passierte gottlob nichts, nur die eine Deichsel war verbogen, als Lotte endlich hielt und wir nachkommen konnten. Von da an aber sagte Vater, wir sollten jetzt den Mist gemeinsam wegfahren, es wäre doch sicherer. Ich meine also: Mit zehn Jahren ist man vernünftig genug, nicht nur selbständig arbeiten zu können, sondern sich auch in acht zu nehmen. Hedi war sehr geschickt abgesprungen, ebenso, wie Vater uns das erklärt hatte. Da werden die beiden ja auch aufpassen, daß sie nicht von der Leiter fallen. Daß ich diesen blöden Knacks gekriegt habe“ – sie lachte und hob die verbundene Hand ein wenig an –, „das war einfach Pech. Ich bin in der Küche ausgerutscht und hab’ mich auf eine dumme Art abgestützt, als ich auf dem Hosenboden landete. So was kann jedem immer und überall passieren. Küchen sind in jeder Wohnung, dazu braucht man nicht aufs Dach zu klettern.“

      Das mußte Mutter zugeben.

      „Aber ihr klettert trotzdem nicht –“, setzte sie an, brach dann aber schnell wieder ab. Was nützte es, den Kindern Vorschriften zu machen, wenn man sie für viele Tage hier allein ließ. Mutter kam die eine Woche, die vorgesehen war, wie eine Ewigkeit vor. Anja war noch nie so lange von ihr fort gewesen.

      „Ich pass’ schon auf. Sie können unbesorgt sein“, tröstete Dagmar sie halblaut. „Ich bin es doch gewöhnt, auf Jüngere aufzupassen. Bei jeder Gelegenheit heißt es: du als Älteste … Das ist nun wieder der Tick meiner Eltern. Alles kommt immer auf mich.“

      „Wie man sieht, haben demnach alle Eltern einen Tick“, sagte Frau Hartwig vergnügt. „Auch solche, die ein derartig schönes Haus bauten. Ja, Dagmar, Ihr Zuhause ist wunderschön, und ich gönne es Petra, daß sie eine Woche hier wohnen darf. Nur lassen Sie sie nicht gar zu sehr verwildern, bitte! Einmal am Tag waschen ist vielleicht nicht übertrieben …“

      „O nein. Und – sie sind ja zum Helfen gekommen“, sagte Dagmar ernsthaft. „Die vielen Tiere machen eine ganze Menge Arbeit, so daß einem die Flausen vergehen. Es wird schon alles gut werden, Sie können ja immer mal anrufen, ob die Mädchen noch leben“, setzte sie lachend hinzu.

      Dies war der Augenblick, da Mutter die Neueinrichtung des Telefons segnete, über das sie bisher immer nur geseufzt hatte. Ja, sie würde anrufen, jeden Abend …

      Endlich im Sattel

      „Aufwachen, Schlafmütze, aufwachen! Herrje, wie tief schläfst du denn!“

      Petra konnte selbst die Augen noch nicht richtig aufbekommen. Es war gestern abend spät geworden, so hübsch hatten sie es gefunden, um den Kamin zu sitzen und sich mit Dagmar zu unterhalten. Jetzt erwies es sich als Schwerstarbeit, Anja wach zu bekommen. Sie lag so in ihre Decken gewühlt, daß man nur ein Bein herausgucken sah. Kopf und Arme waren unterirdisch, auch der sonstige Körper. Petra kniff schließlich in dieses Bein.

      „Aua!“

      „Na endlich! Wir müssen füttern gehen!“

      „Ist es denn schon …“

      „Natürlich! Dagmar ist sicherlich schon im Stall.“

      „Ach, das weißt du nicht mal? Sie hat doch versprochen, uns zu wecken. Wenn sie also noch nicht –“

      „Klar hat sie. Sie hat von unten gerufen: Aufstehen! Und an die große Schelle gehauen, die im Flur hängt, an die Kuhglocke, du hast sie doch gestern gesehen. Und dann ist sie los –“

      „Die Glocke?“

      „Quatsch, Dagmar. Also wenn du jetzt nicht kommst –“

      Petra brauchte nicht weiter zu drohen. Anja hatte sich aus ihren Decken gewickelt, zog in Eile ihren Anorak über den Schlafanzug und fuhr ohne Strümpfe in die Gummistiefel.

      „Hättest du das doch gleich gesagt! Wenn Dagmar geweckt hat, müssen wir los!“ Sie war schon halb die Treppe hinunter, ihre Stimme verklang. Petra rannte hinterher.

      Wirklich, Dagmar war schon im Stall. Das heißt, sie befand sich gerade über dem Stall, auf dem Heuboden, wo Heu und Stroh lagerten. Dort gab es eine Luke, durch die man hinaufkam, und dort oben wurden die Heunetze gefüllt. In diesem Stall fütterte man das Heu in großen Perlonnetzen, die man über die Krippen hängte. Aus denen zogen es die Pferde mit den Lippen heraus, Halm für Halm, und nichts davon ging verloren. Sonst wühlen manche Pferde darin herum und werfen Heu herunter, das dann in die Streu getreten wird.

      „Ich hab’ die Netze schon hier“, sagte Dagmar, als Anja und gleich hinter ihr Petra durch die Luke kamen, „das dort ist schon voll. Das kriegt die Lotte, dort an den Haken kommt es. Und das ist für Ströppchen, den kleineren in der Ecke drüben. Hier, nimm es. Die Haken findet ihr schon, an die die Netze kommen.“

      Petra und Anja liefen hin und her, schoben die Riegel der Boxentüren auf, drängten sich hinein, sprachen und schalten mit den Pferden, die begierig herankamen, und fühlten sich wie echte Stallburschen. Dann wurden noch die Eimer geholt, gesäubert und frisch mit Wasser gefüllt. Kraftfutter gab es erst abends.

      „Was man früh füttert, geht in die Krippe, was man abends gibt, in die Kruppe, heißt eine alte Futterregel“, erklärte Dagmar, als Petra nach Hafer fragte. „Wenn die Pferde sehr beansprucht sind, füttern wir früh und abends Kraftfutter, jetzt aber nur abends. Sie haben ja ein faules Leben zur Zeit.“ Sie patschte der Lotte freundlich auf die Kruppe.

      „Tun sie gar nichts?“ fragte Anja vorsichtig, aber Petra war weniger schüchtern und fragte geradeheraus: „Können wir nicht wenigstens einmal am Tag reiten? Es sind doch drei, und …“

      „Natürlich können wir“, sagte Dagmar vergnügt, „das heißt: Wenn ihr könnt. Daß du, Petra, auf jedem Pferderücken sitzt, der sich anbietet, das weiß ich ja, aber wie ist es mit Anja?“

      „Ich gehe ab Januar auch in den Reitverein“, sagte Anja eilig, und Petra schnitt ihr das Wort ab.

      „Wir können sie doch an den Führzügel nehmen, jedenfalls zu Anfang.“ Dagmar lachte. Sie hatte die große Karre in die Stallgasse geschoben und zeigte den beiden Mädchen, wie man den nachts gefallenen Mist sammelt, ohne allzuviel von der Streu mitzunehmen, und ihn in die Karre wirft. Dabei erzählte sie:

      „Ich hab’ mal ein sehr hübsches englisches Kinderbuch gelesen. Und in England wird ja überall geritten, die Kinder wachsen dort sozusagen auf Pferden auf. Richtige Wege, um Kinderwagen zu schieben, gibt es in vielen Gegenden gar nicht, da kommen die kleinen Kinder in ein Körbchen, an dem ist ein Strick und auf der anderen Seite ein eingewickelter Stein, der das Gleichgewicht hält. Der Strick kommt über den Ponyrücken, und das Pony wird geführt, und so schaukeln die Kinder durch Wind und Regen. In England regnet es ja sehr oft. Die größeren Kinder reiten natürlich. Das ist für die Mütter lustiger, als den Kinderwagen zu schieben. Oft machen es auch die größeren Geschwister oder andere Kinder, die sich ein paar Pence verdienen wollen.

      In dieser Geschichte nun kam ein Stadtkind, ein Einzelkind ohne Geschwister, zu einer Familie aufs Land, in der es mehrere Kinder gab, die alle reiten konnten.

      ,Du kannst doch auch‘, sagten sie, und die Kleine war zu schüchtern, um zu widersprechen. Sie nahmen sie


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