Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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zu Hause zwei Babys, und es war nicht leicht, eine Nachbarin zu finden, die sie für einige Zeit zu sich nimmt. Zwei auf einmal will niemand so sehr gern übernehmen.“

      Dagmar hatte ihr den Mantel abgenommen. Vater sah sich aufmerksam um. Ja, umsehen mußte man sich hier, bereits der Flur war so, daß sich das Umsehen lohnte.

      Ein altes Haus, neu gerichtet. Die Decke war mit hellem Holz getäfelt, mitten im Flur aber stand ein alter Balken, der diese Decke trug, richtig knorrig und voller schräg laufender Risse. Aber man sah, daß er ordentlich mit einer scharfen Bürste bearbeitet worden war, so daß man ihn anfassen und streicheln konnte, ohne sich Splitter einzuziehen. Er lief oben in drei Teile auseinander, wie eine Geburtsrune, und stützte die Decke. Die Treppe, die links davon in den oberen Stock führte, war auch aus so altem, nachgedunkeltem Holz; sie besaß kein Geländer, aber an ihrer Seite lief ein fast armdicker Strick, an dem man sich festhalten konnte. Der Fußboden des Flures bestand aus hellen Klinkern, rechts hingen Mäntel und Jacken an unregelmäßig eingefügten Holzhaken, auch ein Waldhorn und ein Feldstecher in ledernem Etui. Eine Tür stand auf; sie führte ins Wohnzimmer.

      Ach, das Wohnzimmer! Sogar Petra und Anja, die eigentlich nur auf Pferde und Hunde und anderes Getier warteten, merkten, daß hier eine besonders glückliche Hand am Werk gewesen sein mußte, als man aus einem alten Bauernhaus einen Wohnsitz nach heutigem Geschmack machte. Wunderschön war es geworden, mit weißen Wänden und schwarzen Balken an der Decke und einem Kaminplatz mit Rundbank, die etwas tiefer lag, so daß man auf Stufen hinuntersteigen mußte. Dort saß man sicherlich herrlich, wenn das Feuer flackerte und draußen der Sturm heulte. Die Möbel waren alt, meist dunkel, sicherlich ererbt oder zusammengesucht; an der einen Wand stand ein schöner bunter Bauernschrank.

      „Och, hier gefällt mir’s“, seufzte Petra unwillkürlich. Sie war noch nie bei Dagmar gewesen.

      Diese nötigte ihre Gäste in ein zweites Zimmer, das an das erste anschloß und fast ganz ausgefüllt war von einem riesenhaften Tisch. Hier mochte früher das Gesinde gesessen und gegessen haben, als es noch Gesinde gab. Dagmar hatte den Tisch hübsch gedeckt mit dunkelroten Bechern und ein paar Kerzen in der Mitte, auch die Kaffeekanne stand schon parat auf einem schmiedeeisernen Stövchen, aus dem eine Wärmekerze herausschimmerte. Die Angekommenen setzten sich, und die Unterhaltung ging gleich los.

      Dagmars Eltern waren mit den zwei jüngeren Schwestern nach Wien gefahren, zu einem berühmten Arzt, der die kleinste untersuchen sollte.

      „Sie ist nicht meine richtige Schwester, sondern ein Waisenkind aus Korea. Meine Eltern haben sie adoptiert“, erzählte Dagmar. „Wir haben sie seit drei Jahren. Aber irgend etwas stimmt nicht bei ihr, und deshalb sind meine Eltern nach Wien gefahren. Es soll ein sehr guter Psychologe sein, zu dem sie sie bringen wollen, vielleicht kann er ihr helfen. Wir haben sie sehr lieb.“

      Später führte sie ihren Besuch auf dessen Wunsch durch das ganze Haus. War schon der untere Teil wunderschön, so konnte man im oberen, wo die drei Mädchen wohnten, von einem Entzücken ins andere fallen. Die Räume dort waren nicht durch Türen voneinander getrennt, sondern gingen ineinander über; unter schrägen Wänden, die meist getäfelt waren, standen bunt zugedeckte Betten, mal hier eines und eines dort, bäuerliche Kommoden dabei, drehbare Lampen, bei denen man, unterm Fenster sitzend, lesen konnte, die aber auch eine Eisenbahnanlage beleuchteten, die die Kinder durch alle Räume hindurch auf der Erde aufgebaut hatten. Man mußte vorsichtig darüber wegsteigen und sich auch immerzu wegen schräger Balken bücken, auf denen buntes Spielzeug stand, Schwedenpferdchen, weiß und blau und rot, oder an denen die Kinder bunte Wimpel und hübsche Pferdebilder angepinnt hatten. Petra war begeistert von der Eisenbahn.

      „Oh, mit der spielen wir auch!“ sagte sie sofort. „Abends, wenn die Pferde und Hunde versorgt sind und –“

      „Ich denke, Eisenbahn spielen nur Jungen?“ fragte Mutter verwundert. Vater lachte.

      „Heutzutage, da Mädchen in Hosen herumlaufen und Jungen lange Locken tragen, gibt’s diese Unterschiede nicht mehr. Am liebsten würde ich selber mitspielen.“ Er kniete schon am Transformator und schaltete ihn ein. Ein rotes Licht flammte auf, und aus dem Nebenraum kam eine winzige Lok angeschnauft, die nur darauf gewartet zu haben schien, lostuckern zu dürfen. Und nun war Vater nicht mehr wegzukriegen; er mußte noch den anderen Zug laufen lassen … Mutter stand ein bißchen wie auf Kohlen neben ihm, weil sie immer an ihre Jungen dachte. Frau Hartwig lachte und machte Petra ein Zeichen: Komm, wir lassen ihn spielen und gehen inzwischen zu den Pferden! Denn sie merkte natürlich, daß es die Mädchen dorthin zog.

      Dagmar verstand den Wink und ging voran, die Treppe hinunter, und dann kamen sie in einen Raum, der früher wohl die Milchkammer gewesen sein mußte. Von dort aus ging es in den Stall. Schon der vertraute Geruch hätte einen geleitet.

      Der Stall war groß und hell, enthielt Laufboxen, über deren Bretterwände die Köpfe der Pferde guckten. Sie reckten sich und bewegten die Lippen, weil sie hofften, etwas zugesteckt zu bekommen, und wieherten leise und vertraut. Man hörte das Wiehern kaum, denn es wurde übertönt von einem unausgesetzten Blaffen, einem „Wauwau“ und „Weffweff“, das einem in den Ohren gellte. Petra rannte dem Radau entgegen – da guckten über eine etwas niedrigere Bretterwand vier schwarze Köpfe mit schwarzen Nasen, blinkenden Augen, einer wie der andere, und rechts und links neben jedem Kopf sah man zwei dicke, merkwürdig unförmige Pfoten, schwarz mit weißen Tupfen. Wenn ein junger Hund große Pfoten hat, so kann man mit Sicherheit annehmen, daß er groß und wahrscheinlich auch dick werden wird. „Nach diesen Pfoten“, schrie Petra entzückt, als Dagmar ihr das erklärt hatte, „werden aus diesen vier Jungen elefantengroße Riesenhunde! So groß, daß man darauf reiten kann!“ Sie maß die vermutliche Höhe vom Boden her ab. „O Dagmar, wie schön! Dann haben wir sieben Hunde, einer schöner als der andere.“ Sie hatte die Mutter der vier Sprößlinge entdeckt, die ruhig an der Schmalseite der Box lag und zu ihnen aufblickte. „Drei erwachsene und vier junge, wie wunderbar! Hat sie die vier auf einmal gekriegt?“

      Das war natürlich eine dumme Frage, aber Petra konnte in dem Tempo, in dem sie lebte, oft nicht überlegen. Dagmar lachte.

      „Vier? Sieben! Sieben waren es. Und so dumm ist es gar nicht gefragt, es ging gar nicht auf einmal, ich habe zwölf Stunden bei ihr gesessen. Die andern drei sind schon verkauft.“

      „Wie schade“, sagte Anja. „Aber das muß man wohl. Ich hab’ mal gehört, man darf einer Hundemutter nur sechs lassen. Wenn man ihr mehr läßt, werden sie alle miteinander mickrig. Die überzähligen muß man zu einer Amme bringen oder mit der Flasche aufziehen.“

      „Eigentlich ja“, gab Dagmar zu. „Aber wir haben ihr alle sieben gelassen, sie waren alle gleich schön und stark. Nun bekommen wir eben keine Papiere für sie. Aber so schöne Hunde kann man auch ohne Papiere verkaufen. Die Leute, die sie kaufen, dürfen nur nicht mit ihnen züchten.“

      Gerade kam Vater in den Stall.

      „Hier seid ihr“, wunderte er sich, „na ja, ich hätte es mir ja denken können. Auf einmal wart ihr weg und ich allein mit meiner Eisenbahn. Und dann fand ich mich oben gar nicht zurecht. Das ist ja das reinste Labyrinth, ich kam und kam nicht an die Treppe. Schließlich hab’ ich eine kleine Tür gefunden, und als ich die aufmachte, stand ich im Freien. Auf einem winzigen, ein wenig vorspringenden Dachsims. Ja, Anja, du kannst es glauben! Und weil dort eine kleine freundliche Leiter hinunterführte, kletterte ich also hinab und kam von außen an den Stall. Ihr Haus ist wirklich etwas Besonderes, Dagmar!“

      „Ach, Sie haben unsere Feuerleiter entdeckt“, sagte Dagmar und lachte. „Die haben wir gebaut, weil es da oben so verwinkelt ist. Cosy, unsere kleine Beinahe-Schwester, hatte die Idee. Sie meinte, wenn man innen nicht hinunterfindet, müßte man draußen etwas einrichten, um ausreißen zu können, wenn etwa einmal Feuer ausbräche. Unser Vater hörte sich das an und überlegte einen Vormittag lang, und dann ließ er die Luke und die Leiter bauen.“

      „Und wie man sieht: Ich fand die Treppe wirklich nicht, obwohl kein Feuer ausgebrochen war“, sagte Vater. „Es hat also sehr wohl seine Berechtigung, dies so einzurichten.“

      „Das müssen wir auch sehen! Da müssen wir auch


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