Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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ritten Schritt, einerseits, um sich unterhalten zu können, andererseits aber auch, um „nichts kaputtzumachen“, wie Petra sagte. Einmal sprangen drei Rehe vor ihnen ab, grazil und leicht, quer über den Weg – danach weigerte sich Pußta weiterzugehen; sie dachte vielleicht, der Weg sei jetzt verzaubert. Petra versuchte sie weiterzutreiben, aber Pußta schnaubte und stieg und war nicht zu bewegen.

      „Wir reiten voran, Anja und ich, da wird sie schon nachkommen. Pferde kleben ja bekanntlich aneinander. Sie sollen es eigentlich nicht, aber sie sind nun einmal Herdentiere. Wir versuchen es. Komm, Anja!“

      Sie ritt vorwärts, und Lotte folgte. Aber Pußta dachte nicht daran nachzukommen.

      Petra saß ab und versuchte, sie zu führen. Auch dazu war Pußta nicht zu bewegen. Sie stemmte die Vorderfüße in den Schnee und schnaubte und ließ sich keinen Zentimeter vorwärtszerren.

      Dagmar und Anja kehrten wieder um.

      „Laß mich mal versuchen“, sagte Dagmar, stieg ab und nahm Pußta am Zügel.

      „Komm, komm, es ist ja nichts Schlimmes“, sprach sie ihr zu, „es waren doch bloß Rehe. Komm.“

      Aber auch ihr gelang es nicht. Schließlich meinte sie, es wäre doch vielleicht klüger, umzukehren und einen anderen Weg zu reiten.

      „Vielleicht sitzt irgendwo ein Fuchs oder ein Dachs, und sie wittert ihn und fürchtet sich zu Recht. Mit Gewalt möchte ich es nicht durchsetzen“, sagte sie. „Natürlich soll ein Pferd wissen, daß es gehorchen muß, manchmal aber ist es klüger als der Reiter. Lassen wir es lieber.“

      „Gibt es hier denn noch Dachse?“ fragte Anja mit großen Augen. „Wie sehen die denn aus?“

      „Schwarzweiß, und sie sind etwa so groß wie ein ausgewachsener Fuchs, etwas größer vielleicht“, erklärte Dagmar. „Ich bin mal einem begegnet. Da war ich – na, wartet mal, höchstens acht. Ich fuhr mit dem Fahrrad den Waldrand entlang, wollte Schlehen pflücken, war ganz allein. Und da saß einer mitten auf dem Weg. Ich war gerade abgestiegen und hatte immerzu nach rechts geguckt, wo die Schlehenbüsche stehen. Dann aber guckte ich nach vorn, und da saß er.“

      „Und, was dann?“ fragte Anja gespannt.

      „Ja, da wurde mir doch ein bißchen bange zumute. Ich wußte ja nicht, ob Dachse einen annehmen – das heißt, auf einen losgehen. Und da war ich froh, das Fahrrad dabeizuhaben, nicht um auszureißen – denn dazu war ich viel zu neugierig, das könnt ihr euch denken –, sondern um etwas zwischen ihm und mir zu haben. Ich wollte ihn genau angucken – denkt nur, einen Dachs in freier Wildbahn zu treffen, das haben viele alte Förster noch nicht erlebt. So schob ich das Rad ganz langsam auf ihn zu, aber so, daß es zwischen ihm und mir war, und guckte ihn mir ganz genau an. Dann machte er sich davon, nicht sehr schnell, mehr trottelnd. Zu Hause hab’ ich sofort in meinem Zoo-Buch nachgesehen, ob es wirklich einer gewesen sein kann. Es war einer, genau wie auf der Abbildung. Ich war vielleicht stolz, das erzählen zu können!“

      „Sind Dachse so selten?“ fragte Petra. „Ich möchte auch mal einen treffen. Hallo, Dächslein, wo steckt ihr? Kommt, wir tun euch nichts!“

      Die anderen lachten.

      „So kriegst du keinen zu Gesicht!“

      „Kann ich mir denken. Aber wie?“

      „Ja, da müssen wir leiser sein. Ganz still, kein Wort. Wenn man Wild sehen will, muß man den Mund halten.“

      „Aber die Pferde! Man hört sie doch trappsen!“

      „Eben nicht. Vor dem Trappsen unbeschlagener Hufe fürchtet sich das Wild so gut wie überhaupt nicht. Man sieht, wenn man zu Pferde ist, viel mehr Wild als zu Fuß. Im Schnee schon gar. Morgen können wir ja mal einen Schweigeritt machen, wenn ihr es fertigbringt.“

      Sie galoppierten dann noch ein Stück, und diesmal hatte Anja fast gar keine Befürchtungen mehr. Sie genoß es, sich vorwärts wiegen zu lassen; nur eins hätte sie sich gewünscht: daß sie sich verirrten. Es wäre doch zu schön, später erzählen zu können, daß sie sich bei einem weiten Silvesterritt im Schnee verirrt und nur mit Mühe nach Stunden heimgefunden hätten. Das aber genierte sie sich auszusprechen, bis Petra plötzlich sagte: „Ach ja, da ist also Hinterhopfingen wieder zu sehen. Und ich hatte so sehr gehofft, daß wir uns verirrt hätten.“

      „Ich auch!“ gluckste Anja, und nun lachten sie alle drei. Dagmar schüttelte den Kopf.

      „Wenn wir selbst nicht heimfänden, die Pferde würden es. Sie finden von überall her nach Hause.“

      Und das war anderseits auch gut, fanden Petra und Anja. Auf jeden Fall war es ein wunderbarer Silvesterritt.

      … und eine merkwürdige Neujahrsnacht

      Der Gottesdienst, zu dem sie gerade noch zurechtkamen, war wunderschön. Die Christbäume in der Kirche waren noch einmal angezündet worden, und statt der Predigt, bei der man sich ja oft langweilte, ließ der Geistliche die Kinder des Dorfes Sprüche und Gedichte aufsagen, für jeden Monat des vergangenen Jahres einen. Auch Kinder von Ausländern taten mit, ihre ein wenig mühsame Aussprache wirkte sehr rührend. Und dann sang die Gemeinde mit den Kindern zusammen das schöne Silvesterlied: „Das Jahr geht still zu Ende“. Dagmar sagte nachher, das wäre eins ihrer Lieblingslieder, und ohne es wäre es kein richtiger Jahresschluß für sie. Das Ganze war schön und feierlich, und Anja und Petra gingen still neben Dagmar heim, als es zu Ende war. Erst zu Hause fanden sie ihre Lustigkeit wieder.

      „Ich bin jetzt Hausfrau und nicht zu sprechen“, sagte Dagmar und band sich eine riesige weiße Schürze um, „ihr könnt inzwischen den Tisch dekken und –“

      Wumm! fuhr Brumme an ihnen vorbei, die Treppe hinauf. Sie hatte vorher im Flur gelegen und auf die Mädchen gewartet, Zessi neben sich. Oben bellte sie eine Weile wie verrückt. Petra klopfte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.

      „Sie ist wohl ein bißchen Lüttüttüh!“ sagte sie nachsichtig. „Naja, alte Leute werden wunderlich.“

      „Vielleicht liegt es an dir! Erst Pußta, die nicht weiterwollte, und jetzt Brumme, die verrückt spielt. Pußta ist ja noch nicht alt“, sagte Dagmar. „Ich nehme die Hunde jetzt mit in die Küche, damit ihr Ruhe habt. Ihr könnt schon anfangen zu füttern.“ Sie öffnete die Küchentür, lockte Brumme und Zessi zu sich und schloß sie wieder. Anja lief die Treppe hinauf, um sich umzuziehen. Für die Kirche hatten sie sich natürlich anders anziehen müssen. Petra ging schon zum Stall hinüber.

      Als Anja nach ein paar Minuten auch in den Stall kam, sagte sie: „Du, ich bin vorhin aber erschrocken. Ich komme rauf, ganz allein – Dagmar ist ja in der Küche, und du warst schon hier, und beide Hunde bei Dagmar –, da gibt es oben einen lauten Bums. Wo, hab’ ich nicht genau feststellen können, dort geht’s ja um tausend Ekken. Ich bin vielleicht zusammengefahren, sag’ ich dir.“

      „Vielleicht ist eine Tür zugefallen“, sagte Petra ziemlich uninteressiert und schob die Karre die Stallgasse entlang, „weil es gezogen hat, oder –“

      „Tür zugefallen! Dort oben gibt’s ja gar keine“, sagte Anja beleidigt und holte die Gabel. „Wo soll denn da oben eine Tür zukrachen? Es war ein richtiger Krach, du kannst es glauben. Warte, ich lade auf, und du schiebst weiter. Nein, so was war es nicht. Ich hab’ mich auch umgeguckt, ob irgendwas runtergefallen ist, aber ich wollte doch auch schnell herkommen und dir helfen.“

      „Wahrscheinlich spukt’s“, sagte Petra friedlich, „vielleicht ist der Müller uns nachgekommen, der in der Mühle umgeht.“

      „Das glaubst du doch selber nicht! Spuk bleibt immer dort, wo er hingehört, also der Müller in der Mühle, oder was meinst du? Ich hab’ jedenfalls mal gelesen, daß es ausgesprochene Spukhäuser gibt. Im Baltikum vor allem gab es die, aber auch in Westfalen und in der Heide. Es sind immer alte Häuser. Und irgendwann früher ist darin etwas passiert.“

      „Alt ist das Haus hier aber auch“, sagte Petra nachdenklich. „Es ist ein altes Bauernhaus, mindestens zweihundert


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