Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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ob was auf der Erde liegt, was vorher nicht dalag“, sagte Petra in ihrer vernünftigen Art. „Ich jedenfalls glaube nicht, daß es so was gibt. Auch die Sache mit dem Müller … glaubst du wirklich, die Müllersfrau hat ihn gesehen? Da würde sie vor Schreck ja tot umgefallen sein. Ein Geist dicht neben einem! Das denke ich mir gräßlich.“

      „Ich ja auch. Na, hier im Stall gibt’s bestimmt keine Geister. Gottlob –“

      „Und oben im Haus auch nicht. Das wüßte Dagmar doch. Sie schläft doch schon immer dort oben, und wir können ja auch die Hunde mit hinaufnehmen. Die würden schon merken, wenn da was umginge.“

      „Aber Brumme ist doch auch raufgerannt und hat gebellt.“

      „Meinst du –“ Petra unterbrach sie. „Da kommt Dagmar. Sag lieber nichts, sie denkt sonst, wir sind hysterisch. Ja, raus mit der Karre und ausleeren, damit wir sie morgen früh gleich wieder nehmen können. Du, Dagmar, darf ich nachher mal kurz meine Eltern anrufen? Um ihnen ein gutes neues Jahr zu wünschen. So was finden sie nett, weißt du, und warum soll man nicht.“

      „Natürlich! Und Anja auch. Deine Mutter hat sowieso vorhin angeklingelt, und ich hab’ gesagt, du rufst zurück. Wenn ich sage, es geht dir gut, du mistest den Stall aus, da denkt sie wunder was.“

      Anjas Mutter rief jeden Tag an und bat immer sehr, Anja selbst sprechen zu dürfen. Sie glaubte wohl nur, daß diese noch lebte, wenn sie die Stimme der Tochter hörte. Es war zum Auswachsen, fand Anja. Von sich aus hätte sie nie telefoniert, aber wenn Petra es tat …

      Sie versorgten die Pferde, fütterten die Hunde und verließen dann den Stall, der blank und schön aussah, mit dem Versprechen, um Mitternacht noch einmal zu kommen.

      „Damit ihr euch nicht fürchtet, wenn draußen die Knallerei losgeht“, sagte Dagmar und streichelte Lotte über ihre Blesse. „Ich find’ es blöd, in der Neujahrsnacht solchen Rabatz zu machen, aber das ist nun einmal so Sitte. Das soll davon kommen, daß die Leute sich vor bösen Geistern und Dämonen fürchteten und sie durch den Radau zu vertreiben glaubten. Zu blöd. Mir tun jedes Jahr die Pferde leid. Na, und die Hunde werden auch immer ganz rabiat.“

      Sie gingen sich waschen und fanden sich dann in der Küche ein, um Abendbrot zu essen. Erst der lange Ritt, dann der Gottesdienst und nun die Stallarbeit – Anja konnte sich nicht besinnen, zu Hause jemals solchen Hunger gehabt zu haben. Dagmar zog ihren Apfelstrudel aus dem Herd. Er duftete verheißungsvoll.

      „Wir lassen ihn erst ein bißchen abkühlen, während ich noch die Sahne schlage“, sagte sie und kramte im Kühlschrank. „Wo ist die bloß? Haben wir die im Schnee verloren?“

      „Nein, ich weiß genau –“ Anja hatte sich neben sie vor die Tür des Kühlschranks gehockt. „Es waren zwei Pappbecher, sie sind mit rausgeflogen, aber ich hab’ sie wieder reingestellt in den Korb. Ich dachte noch, hoffentlich haben sie keinen Riß bekommen und laufen nun aus.“

      „Da ist der eine“, sagte Dagmar und holte ihn heraus, „der genügt erst mal. Der zweite ist für das Eis um Mitternacht.“

      „Aber er müßte doch dasein“, sagte Anja und kramte weiter. „Ich seh’ ihn nicht. So was Komisches.“

      „Ach laß, das hat doch Zeit. Komm, wirf den in den Abfalleimer.“ Dagmar reichte ihr den leeren Becher hinüber und stellte die geschlagene Sahne auf den Tisch. „Dort steht er, in der Ekke.“

      Anja öffnete den Deckel und warf den Becher in den Eimer – da sah sie den zweiten darin, er war leer.

      „Hier ist ja der andere. Oder ist das einer von gestern?“

      „Gestern haben wir keine Schlagsahne gegessen. Und vorgestern auch nicht – na so was!“ wunderte sich Dagmar. „Hat eine von euch –“, aber sie sprach nicht weiter. Beide schüttelten so unmißverständlich den Kopf, daß sich jede Frage erübrigte. „Nein, das hätte ich auch nie gedacht. Nun sagt bloß –“

      „Wahrscheinlich hat sie der Geist ausgetrunken, der hier umgeht. Anja hat er vorhin auch erschreckt“, sagte Petra und blies über ihre Portion Apfelstrudel hin, der noch sehr heiß war. „Aber jetzt will ich erst mal in Ruhe essen, laßt mich bloß in Frieden. So einen Apfelstrudel gibt es bei uns zu Hause nie. Du bist ein Genie, Dagmar, nicht nur im Sattel, sondern auch in der Küche.“

      „Na, na“, sagte Dagmar geschmeichelt, „weder das eine noch das andere, leider. Ich bemühe mich halt. Und andere Sachen kann ich nicht so gut wie gerade diesen Apfelstrudel. Nun laßt ihn euch schmecken. Was spielen wir nachher, damit die Zeit vergeht? Könnt ihr Schreibspiele?“

      „O ja! Wir spielen Stadt – Land – Fluß!“ schlug Petra vor, „und dann kenne ich noch eins, das ist furchtbar lustig.“

      „Na wunderbar, da kann man ja noch was lernen“, sagte Dagmar. „Seid ihr satt? Dann los, Tisch leer gemacht, abgewischt und Stifte her. Papier liegt da drüben.“ Sie verstaute Teller und Reste. „Und Stifte –“

      „Sind nur zwei da“, meldete Petra.

      „Dann hol doch deinen, Anja“, sagte Dagmar, „du hast doch gestern einen gekauft, nicht wahr?“

      Anja lief hoch. Nach ein paar Minuten kam sie wieder, kreidebleich, ohne Stift.

      „Was hast du denn?“ fragte Dagmar und sah sie verwundert an.

      „Ach nichts. Ich – ich finde meinen Stift nicht –“

      „Na, das ist ja nicht so schlimm. Wir suchen einen anderen.“ Dagmar zog die Tischschublade auf und kramte darin. „Siehst du, hier ist einer. Mutter hat meistens in der Küche einen Stift in Reichweite, sie hört immer Radio beim Kochen und schreibt sich dann allerhand auf, Buchtitel oder Rezepte oder die Kontonummer von jemandem, dem man helfen soll. Es kommen doch immer mal solche Dinge im Radio.“

      Inzwischen hatte Anja Zeit gehabt, sich zu fassen. Sie nahm den Stift, den Dagmar ihr herübergab, und legte ein Stück Papier vor sich hin. Dann begannen sie zu spielen. Petra wartete, bis Dagmar einmal aufstand – sie ließ Zessi hinaus, die gequiekt hatte –, beugte sich über den Tisch und fragte halblaut: „Was war denn vorhin? Sag! Hast du –“

      „Laß. Später. Da war was –“

      „Oben?“

      „Ja. Als ich wegen dem Stift hoch ging. Es rannte vor mir weg.“

      „Du bildest dir was ein. Die Geschichte mit dem Müller hat dir angst gemacht, weiter nichts.“

      „Aber ich hab’ es doch gehört, ganz deutlich.“ Anja weinte fast. „Ganz nahe – und du willst es mir nicht glauben!“

      „Ganz nahe? Ein Mensch?“

      „Ich weiß nicht. Es rannte. Ja, es rannte, es huschte nicht. Ein Gespenst müßte doch eigentlich huschen.“

      „Weiß man‘s? So was lernt man ja nicht in der Schule. Leider. Das wär’ doch endlich mal was Interessantes. In so einer Stunde würde ich direkt aufpassen.“

      „Du glaubst es ja immer noch nicht“, sagte Anja kläglich, „und ich soll nachher – ich geh’ nicht wieder rauf!“ Das letzte klang entschlossen. Petra wollte eben antworten, da kam Dagmar wieder herein.

      „Kinder, draußen ist so herrlicher Schnee, es ist eine Schande, hier zu sitzen. Kommt, wir gehen noch mal rodeln.“

      „In dieser Finsternis?“ fragte Petra. Dagmar aber lachte.

      „Ist gar nicht finster. Der Schnee leuchtet. Kommt, am Haselberg sind schon viele aus dem Dorf, die rodeln. Wer weiß, wie lange der Schnee bleibt.“

      „O ja, wir gehen rodeln!“ sagte Anja erleichtert. „Wir gehen raus. Wir rodeln im Mondschein!“ Ihr war vor allem wichtig, aus dem Haus zu kommen, das ihr angst machte. Petra mußte sich entschließen mitzukommen.

      „Na schön, von mir aus. Und ich fand es gerade so gemütlich hier.“ Sie seufzte.

      „Gemütlich sein kannst


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