Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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zu Ströppchens Stand hinübertrottete, „beim Reiten wird immer mehr von einem verlangt, als man kann.“

      „So ist es“, sagte Dagmar zu ihrer Verblüffung halblaut neben ihr. Es war, als hätte sie Anjas Gedanken erraten, „man muß immer zwanzig Zentimeter höher als das Hindernis springen, in Wirklichkeit und im übertragenen Sinne. Das ist die allererste Erkenntnis, die einem beim Reiten aufgeht. Bei dir kommt sie zeitig.“

      „Und was für Erkenntnisse kommen noch?“ fragte Anja schüchtern und sah zu Dagmar auf.

      „Daß man auf dem Pferd sehr allein ist. Daß es da auf einen selbst ankommt“, sagte Dagmar in ihrer ruhigen Art. „Jedenfalls, sobald man dem Führzügel und der Longe entwachsen ist. Das sind Hilfsmittel, die nur ganz zu Anfang angewendet werden. Später – sehr bald also, du reitest ja auch schon ohne Führzügel – kommt es auf dich an und auf sonst gar nichts.“

      „Und das dritte? Meistens sind es doch drei Weisheiten, jedenfalls in den Märchen“, fragte Anja und hob Ströppchen den Hinterhuf auf, um ihn zu säubern. „Steh, steh. Na?“

      „Du bist ein kluges Kind. Die dritte Weisheit stammt von einem Berliner Wachtmeister, einem alten Pferdemann, den nichts außer Pferden interessierte. Dem sie alles waren, Lebensinhalt und Glück und Aufgabe, und der sie kannte wie kaum ein anderer. Von dem stammt der Spruch: ‚Reiten lernt man bloß vons Reiten.‘ Grammatikalisch nicht einwandfrei, aber gut berlinerisch. Und wahr! Auf also, und wenn man mit einem Pferd klarkommt, sobald es geht, aufs nächste. Und wenn man achtzig wird, im Sattel lernt man doch immer was dazu.“

      „Wirklich?“ fragte Anja leise.

      „Wirklich. Es gibt natürlich auch Bücher, die einem weiterhelfen, gute Anleitungen, gewiß. Dadurch lernt man sicherlich was dazu, auch durch gute Lehrer, die einem die Fehler sagen, und durch das Beobachten von guten Reitern. Das alles aber bringt einen nur dazu, etwas besser zu reiten. Richtig reiten lernt man nur vom Reiten.“

      Anja schwieg. Dann fragte sie: „Wie lange reitest du denn schon? Steh doch, Ströppchen. Ja, ist ja gut. Wann hast du angefangen?“

      „Sehr zeitig. Weil wir schon immer Pferde hatten. Mein Vater hat mich mit zwei Jahren schon drauf gesetzt. Ja, aber Reiten hab’ ich natürlich erst später gelernt, als ich es wollte, richtig wollte. Daß jemand als Reiter geboren wird, das gibt es nicht. Davon träumen so viele, vor allem kleine Mädchen, aber auch größere. Sie hängen sich Pferdepostkarten übers Bett und lesen Pferdebücher und seufzen: Ich könnte reiten! Ich bin ein Pferdenarr. Mir fehlt nur das eigene Pferd, und mein Vater kauft mir keins. – Solche gibt’s massenhaft“, fuhr Dagmar nach einer kleinen Weile fort, „und wenn sie dann was tun sollen – ich meine, wir haben manchmal welche zu uns eingeladen, die sehr darum bettelten –, dann war ihnen schon beim zweitenmal der Eimer zu schwer und der Mist ekelhaft und die Karre zu groß. Das Pferd war ,so gemein‘, wenn es sie absetzte – nein, solche Pferdenarren, vielen Dank.“

      „So bin ich aber nicht!“ rief Anja sofort. Dagmar lachte.

      „Nein, du nicht. Nun komm, bring Ströppchen raus, es geht gleich los. Wollen mal sehen, wie dieser Heiner sitzt.“

      Der Reitplatz war ein ziemlich großes, von Stangen eingefriedetes Rechteck, mit Sand gefüllt, den man jetzt nicht sah, weil alles verschneit war.

      „Sand gefriert nicht, da kann man auch bei Frost reiten“, erklärte Dagmar, „und im Sommer auch bei Regen. Er wird nicht glatt und rutschig wie Grasnarbe. Nun los, ihr drei Hübschen, führt eure Rösser hinein und stellt euch mit ihnen auf, ihr wißt ja vom Reitverein her, wie.“

      „Was bedeuten denn die Schilder?“ fragte Anja. In der Mitte der langen und kurzen Seiten des Rechtecks hingen weiße Schilder mit roten Buchstaben, an den langen Seiten auch noch an anderen Stellen.

      „Das sind Abwendepunkte, die erklär’ ich euch später“, sagte Dagmar. „Jetzt ist die Hauptsache, daß ihr ‚ganze Bahn‘ reitet, also ringsherum, oder ‚auf dem Zirkel‘, das ist ein Kreis an einem Ende der ganzen Bahn. Petra nimmt die Tete, die kennt die Hufschlagfiguren ja hoffentlich!“

      Sie stellten sich nebeneinander auf, die Pferde an ihrer rechten Seite, Petra mit Pußta, Heiner mit Lotte, Anja mit Ströppchen.

      „So. Ehe ihr aufsitzt, kontrolliert noch einmal die Gurte“, sagte Dagmar. „Später wird vom Sattel aus noch mal nachgegurtet, die Pferde blasen sich ja auf, das wißt ihr. Und bei den ersten Schritten lassen sie dann die Luft ab. Nun – Abteilung aufgesessen!“

      Für Anja war es das erste Mal, daß sie aufsitzen sollte, ohne daß jemand ihr das Pferd hielt. Sie angelte mit dem linken Fuß nach dem Bügel, der ihr himmelhoch hängend vorkam, bekam aber den Fuß nicht hinein. Petra saß schon oben, aber Heiner wollte es mit Lotte auch nicht recht gelingen. Dagmar trat zu ihm und gab ihm ein paar Anweisungen. In der Zeit hatte Anja endlich den Fuß im Bügel, zog sich am Sattel hoch – und war oben. Gottlob! Und Ströppchen hatte stillgehalten, der Gute!

      „Im Schritt anreiten, auf die linke Hand gehen.“ Petra machte es vor, und die anderen folgten. Dagmar korrigierte einiges am Sitz des einen und anderen, und Anja hielt sich an den kleinen Trick, den Petra ihr einmal verraten hatte: Wenn der Lehrer an einem anderen Schüler etwas aussetzt, etwa, Hacken tiefer!‘ oder, Hände aufrecht!‘ sagt, dann denk, er meint dich, und richte dich danach aus. Daran hielt sie sich auch jetzt. Sie trabten dann an, alles ging glatt. Ströppchen, hinter Pußta, war etwas faul, und Dagmar rief ein paarmal: „Anja, treiben! Von selbst läuft er nicht!“ Und sie hatte Angst gehabt, er würde ihr unter der Hand weggehen!

      Heiner hielt sich wacker. Lotte machte ihm keine Schwierigkeiten, aber neu war sie für ihn doch. Dagmar lobte ihn ein paarmal, und da wurde er rot vor Verlegenheit. Einmal, als sie auf dem Zirkel ritten, machte Ströppchen in der Ecke Terror, stemmte erst die Vorderbeine ein und fing dann an zu bockeln, und Anja hatte ihre liebe Not, oben zu bleiben. Aber sie schaffte es. Und dann ließ Dagmar noch kurz angaloppieren: „Eine runde ganze Bahn!“, und siehe da, alle drei Pferde taten es willig, sie kannten ja das Kommando, und alle drei Reiter blieben oben.

      „Noch einmal – durch die ganze Bahn wechseln“, befahl Dagmar, als sie wieder im Schritt ritten, und dann durften sie noch mal auf der rechten Hand galoppieren. Auch das ging gut.

      „So, und nun: Zügel lang, Pferde loben und im Schritt durcheinanderreiten, damit die Pferde abdampfen“, sagte Dagmar abschließend. Sie war selbst froh und erleichtert, daß alles gutgegangen war.

      Als sie später in der Küche saßen und Zitronentee tranken – Reiten macht durstig –, lobte Dagmar noch einmal alle drei. „Manchmal geht es besser, als man denkt. Du bist schon oft geritten, Heiner, oder?“

      „Ziemlich!“ Heiner strahlte. Sein Gesicht war ganz verändert, offen und glücklich. „Aber eine Reitstunde hatte ich noch nie.“

      „Kinder, der Papagei. Habt ihr ihn schon gefüttert?“ rief Petra.

      „Ich hol’ ihn“, erbot sich Heiner. „Er soll doch nicht den ganzen Tag unter dem Korb sitzen.“

      „Aber paß auf!“ Petra und Anja rannten mit, als er hinaufging. Wirklich, es gelang Heiner, den Papagei aus dem Korb zu nehmen, ohne daß er wegflatterte. Er ging mit ihm in die Küche hinunter, und dort legten sie ihm Futter vor, das er aufpickte. Er schien sich in Heiners behutsamen Händen sehr wohl zu fühlen.

      „Daß du so mit ihm umgehen kannst!“ bewunderte ihn Anja. „Mir wäre er unheimlich.“

      „Weil er spricht?“ fragte Heiner und lachte. „Sag mal was, du!“

      Der Papagei sah ihn an, dann ruckte er den Kopf wieder herum. Und dann schnarrte er ein paar Worte vor sich hin.

      „Da! Habt ihr verstanden? Er sagte –“

      „Was denn? Sag noch mal, Lora! Laß ihn noch mal sprechen!“ drängte Anja fasziniert.

      Heiner schüttelte ihn ein wenig.

      „Na? Komm schon, antworte.“

      „Rararara“,


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