Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast

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Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast


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waren auch Dagmar und Anja herangekommen. Sie blieben neben Petra stehen, ohne zunächst etwas zu sagen. Der Junge guckte mit scheuem Blick, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, von einer zur anderen.

      „Was machst du denn hier?“ fragte Dagmar dann langsam. Ihr ging ein Licht auf. Das Poltern, das Huschen, das Wegrennen, die ausgetrunkene Schlagsahne aus dem Kühlschrank … „Wie lange bist du denn schon hier?“

      „Seit vorgestern.“ Er senkte den Blick. „Seit – na, seit einer Weile halt.“

      „Und gehört dir der Papagei?“

      „Aber wo, den hab’ ich hier zum erstenmal gesehen. Wo –“ Er brach ab, gerade flatterte etwas um die Ecke, und nun sahen sie alle vier, wie der Papagei die Kurve nahm, auf die Luke zusteuerte und, als er sie verschlossen fand, auf der Schrankecke landete.

      „Da kriegen wir ihn! Wartet.“ Der Junge schlich sich – er war sowieso in Strümpfen – an der Wand entlang bis zum Schrank, reckte sich und griff mit beiden Händen zu.

      „Bitte!“ Er hatte den Papagei wirklich erwischt. Sein Gesicht war wie verwandelt, strahlend hielt er ihn den drei Mädchen hin.

      „Toll!“ sagte Petra anerkennend. „Großartig! Wie du das kannst! Mit dem ersten Griff hast du ihn erwischt!“

      „Wir haben zu Hause viele Vögel, kleinere natürlich, einheimische – auch ein paar Exoten. Da muß man immer mal einen herausgreifen, wenn er beringt werden soll oder eine Wunde hat oder so was“, erklärte er. „Ja, mein Guter, keiner tut dir weh. Du mußt keine Angst haben. Wohin soll er?“

      „Ich weiß –“ Dagmar war davongerannt, die Treppe hinunter. Unten im Milchgewölbe hörte man es poltern, dann die Tür schlagen, und schon erschien Dagmar wieder mit einem Drahtkorb, der ziemlich groß war, an sich dafür bestimmt, Rüben oder Kartoffeln zu transportieren. Den stellte sie verkehrt herum auf die Erde, schob noch ein Fußbänkchen hinein – “damit er was zum Sitzen hat“ – und hob dann den Korb etwas an.

      „So, dahinein. Da kannst du erst mal wohnen“, sagte sie und machte dem Jungen ein Zeichen, den Papagei hineinzusetzen.

      Der tat es, und Dagmar beschwerte den Korb mit einem dicken Buch.

      „Großartig. Siehst du, jetzt fühlst du dich schon ganz zu Hause.“ Der Papagei war auf das Fußbänkchen gehüpft und hielt den Kopf schief. Dann sagte er wieder etwas.

      „Ja, ja, du hast recht“, sagte Petra in beruhigendem Ton, „ganz recht hast du.“ Endlich kamen sie alle zu Atem und konnten sich dem anderen Fremdling im Haus, dem Jungen, zuwenden.

      „Komm mit runter in die Küche, wir wollen noch mal frühstücken“, sagte Dagmar, „so was am hellen Morgen geht einem ja an die Nerven. Das Jahr fängt gut an.“

      Sie hockten sich in der Küche um den Tisch, und Dagmar wärmte wieder einmal Milch. Der Junge war in die Bankecke gerutscht. Sie stellte einen Becher vor ihn hin und schnitt dann ein Stück Weihnachtsstollen für ihn ab.

      „Hier, iß. Und dann erzähl.“

      Er gehorchte, jedenfalls was das Essen betraf. Die anderen futterten auch. Ihnen war, als hätten sie eine dreitägige Elefantenjagd hinter sich, so hungrig waren sie schon wieder. Und beim Essen kam so langsam eins nach dem andern aus dem Jungen heraus.

      Er hieß Heiner, war zwölf Jahre alt wie Petra und ging ins Gymnasium einer kleinen Stadt, etwa dreißig Kilometer entfernt. Dagmar kannte sie. Seine Eltern wohnten etwas außerhalb, der Vater hatte dort eine kleine Fabrik. Geschwister besaß er nicht.

      Soviel erzählte er. Dann kam nichts mehr. Petra wollte fragen, aber Dagmar trat ihr auf den Fuß.

      Laß! hieß das. Petra verstand. Sie schob ein riesiges Stück Weihnachtsstollen in den Mund und sagte dann während des Kauens – es klang undeutlich und sehr gleichmütig: „Na, dann wollen wir mal in den Stall. Jetzt sind wir alle munter. Schade, daß ihr nur drei Pferde habt, Dagmar.“

      „Ja, schade. Schlimmstenfalls können wir uns ja eins dazuborgen. Es gibt hier im Dorf noch mehr. Erst wird aber ausgemistet, daß ihr’s wißt. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“

      Alle waren einverstanden. Zu viert trottete man dem Stall zu.

      Eine Reitstunde. Heiner erzählt

      „Dagmar?“

      „Nein!“

      „Wo bist du?“

      „Weg!“

      „Kommst du?“

      „Nein!“

      Petra probierte an der Klinke der Wohnungstür. Verschlossen. Sie verstand die Welt nicht mehr.

      Bis vor fünf Minuten hatten sie „Mensch ärgere dich nicht“ in der Küche gespielt, alle vier, und schrecklich dabei gelacht, wenn einer herausflog. Dann hatte Dagmar auf die Uhr gesehen, war aufgestanden und hinausgegangen und nicht wiedergekommen. Sie hatten anfangs eine Weile gewartet, dann war Petra losgegangen, und nun stand sie hier vor der verschlossenen Tür, und Dagmar antwortete derart idiotisch. Petra biß sich auf den Knöchel des Zeigefingers, während sie dastand und nachdachte. Dann ging sie langsam zur Küche zurück.

      „Wir sollen weiterspielen, ohne sie“, sagte sie und setzte sich. Heiner ließ den Würfel fallen.

      „Sechs“, schrie er. Anja hatte gesehen, daß es nur eine Vier war.

      „Du mogelst!“ rief sie aufgebracht. Heiner riß den Würfel an sich.

      „Es war aber eine Sechs!“

      „Dann hättest du sie ja liegenlassen können. Petra, sag du mal –“

      „Was recht ist, kommt wieder. Würfle noch mal, Heiner“, sagte Petra. Heiner würfelte. Eine Eins. „Siehst du! Das ist die Strafe!“

      „Wofür denn Strafe, möcht’ ich wissen –“

      „Weil du geschwindelt hast –“

      „Es war aber eine Sechs –“

      „Das kann man jetzt nicht mehr beweisen –“

      Gerade ging die Tür.

      „Was ist denn hier los? Warum habt ihr euch denn in den Haaren?“ fragte Dagmar. „Ich finde überhaupt, wir sollten raus, nicht hier in der Stube hocken. Das ist doch Blödsinn. Keine Lust zum Reiten?“

      „Dumme Frage!“

      „Natürlich haben wir Lust!“

      „Aber leider nur drei Rösser –“

      Sie hatten vorhin beim Nachbarn angefragt, ob sie sich dort eins seiner Pferde leihen könnten. Er war sehr freundlich, Dagmar hatte das schon manchmal tun dürfen, aber heute wäre sein eigener Sohn mit Freunden unterwegs, morgen könnten sie eins haben. Sie sollten aber noch mal nachfragen.

      „Dann reitet eben ihr drei. Auf dem Platz“, sagte Dagmar. „Wir haben doch Gott sei Dank seit zwei Jahren einen Reitplatz. Ich mach’ den Lehrer. Bist du schon mal geritten, Heiner?“

      „Ja, öfter. Ich hab’ einen Freund mit zwei Ponys.“

      „Reitverein?“

      „Noch nicht, aber –“

      „Na, wir werden ja sehen. Los, vorwärts, umgezogen, angezogen. Wer hat ein Paar Stiefel für Heiner?“

      Petra schrie: „Ich!“ Sie besaß ein Paar richtige Reitstiefel, geerbt von ihrer größeren Schwester, und ein Paar aus Gummi, auch Reitstiefelform, wie man sie vielfach bei schlechtem Wetter trägt. Er quälte sich hinein, seine Jeans in die engen Röhren stopfend, und Petra hänselte ihn mit seinen dicken Beinen. Nun ging es darum, wer welches Pferd bekam.

      „Heiner sollte Lotte nehmen, für den Anfang“, sagte Dagmar. „Lotte ist das problemloseste Pferd. Anja,


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