Die Klasse ist für Petra. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.nicht … aber was soll es nutzen?“
„Wenn dich deine Mutter so sähe!“
„Ach, Mammi … sie sieht’s ja nicht, die ist doch jetzt, ich weiß nicht, wo!“
„Aber ich. Sie tritt heute abend in Buenos Aires auf!“
„Hat sie dir das geschrieben?“
„Klar …ich werde dir nachher ihren Brief vorlesen …“
„Und die Marken?“
„Bekommst du!“
„Prima. Es hat doch was für sich, wenn man eine Mutter hat, die in der Welt herumgondelt.“
„Wenn ich deiner Mutter schreiben würde, wie du hier herumläufst …“
„In langen Hosen, bitte! Das ist, lässig‘!“
„In einer Bluse, an der drei Knöpfe abgerissen sind“, sagte der Vater, „mit Händen … nein, zeig nur her, Verstecken gilt nicht!“ Er hatte ihre kleine Hand gepackt und hielt sie mit eisernem Griff. „Mit dreckigen Pfoten, Trauerrändern unter den Nägeln! Also weißt du, Petra, Umzug hin und her … die Hände hättest du dir ja schon vor dem Essen waschen können!“
„Vergessen“, sagte Petra rasch und war froh, als sie ihre Hand endlich zurückziehen konnte.
„Weißt du überhaupt, wie du aussiehst?“ fragte der Vater und sah sie prüfend an.
„Ich kann nichts dafür, daß ich keine Schönheit bin!“ sagte sie trotzig und stopfte sich einen großen Bissen Apfelstrudel in ihren Mund, der so breit war, daß Siegfried behauptet hatte, sie könnte den Spargel quer essen.
„Wie ein Junge!“ sagte der Vater.
„Au fein!“ schrie Petra mit vollem Mund.
„Wie ein Gassenjunge! Du darfst dich wirklich nicht beklagen, wenn deine Mutter nicht mit dir zufrieden ist.“
„Na, jetzt ist sie ja weg“, sagte Petra ungerührt.
„Aber sie kommt wieder. Wenn sie dich so verwahrlost vorfindet, dann können wir uns auf einiges gefaßt machen.“
„Hast du Angst vor Mammi?“ fragte Petra ernsthaft.
„Nein, aber ich wünschte, du hättest etwas mehr Angst vor mir.“
„Angst ist aber nichts Gutes“, sagte Petra und wischte sich mit dem Handrücken ihren Milchbart ab. „Nur Feiglinge haben Angst. Ich hab’ dich lieb.“
„Dann, bitte, mach mir die Freude und benimm dich wie ein anständiger Mensch. Wie ein Mädchen. Lauf nicht ’rum wie ein Hottentotte, wasch dir die Hände vor dem Essen, laß dir die Haare schneiden — das ist wohl das wenigste, was man von seiner Tochter verlangen kann.“
Plötzlich stiegen Petra die Tränen in die Augen. „Ach“, sagte sie kläglich.
„Habe ich dich gekränkt?“ fragte der Vater.
„Ja, das hast du. Da habe ich mir nun mit allem so viel Mühe gegeben, und du … und du … du hast bloß wieder was an mir auszusetzen. Man kann tun, was man will, immer bringe ich gute Zeugnisse mit nach Hause, nie bin ich krank, nie mach’ ich euch Sorgen, und bloß, weil ich nicht ’rumlaufen will wie eine Zierpuppe …“
„Also, Petra, nun mach aber mal einen Punkt. Niemand verlangt von dir, daß du wie eine Zierpuppe ’rumläufst. Was ich erwarte, ist einfach, daß du dich anständig anziehst und anständig wäschst. Hast du mich verstanden?“
„Ja, Pappi“, sagte Petra kleinlaut.
Babette ergriff ihre Partei. „Petra hat mir wirklich sehr tüchtig beim Umzug geholfen, Herr Doktor — alles, was recht ist. Und wenn jemanden die Schuld trifft, daß das Kind so unordentlich herumläuft …“
„Dann sind Sie es nicht, Babette! Versuchen Sie jetzt bloß nicht, Petra in Schutz zu nehmen. Ich kenne meine Tochter genausogut wie Sie. Ich weiß, daß sie sich in der Schule sehr viel Mühe gibt …“
„Hast du mich eigentlich angemeldet, Pappi?“ unterbrach Petra ihn.
„Wo?“
„Im Gymnasium natürlich.“
Der Vater faltete seine Serviette zusammen. „Gut, daß du mich daran erinnerst, Petra. Also, paß auf … mit dem Gymnasium wird es leider nichts …“
„Was!?“
„Starr mich nicht so an, es ist nicht meine Schuld. Hier in Narheim gibt es kein Mädchengymnasium …“
„Ich weiß doch, Pappi! Aber wir hatten doch besprochen …“
„Bitte, laß mich erst mal ausreden. Auf das hiesige Gymnasium gehen nur Jungens, dort werden Mädchen überhaupt nicht aufgenommen. Es wird uns also nichts anderes übrigbleiben …“
„Aber, Pappi, das geht doch gar nicht! Ich habe doch auf einem Gymnasium angefangen, da kann ich doch nicht einfach …“
„Der Mensch kann alles, wenn er muß. Ein Realgymnasium für Mädchen ist hier, und dort werden wir dich anmelden!“
„Ich will nicht auf ein Mädchenrealgymnasium gehen, ich … ich bin Gymnasiastin. Das ist ein himmelhoher Unterschied. Begreifst du das denn nicht, Pappi? Ich kann doch nicht einfach was ganz anderes lernen, nur weil es in diesem blöden Nest kein Gymnasium für Mädchen gibt!“
„Also erst einmal ist Narheim kein blödes Nest, sondern eine sehr kultivierte Stadt, und zweitens wird dir gar nichts anderes übrigbleiben, als auf das Realgymnasium für Mädchen zu gehen.“
„Hast du mit dem Direktor gesprochen?“
„Nein.“
„Siehst du! Wenn du mit ihm sprichst …“
„Petra! Ich habe dir gesagt, es geht nicht. Du kannst es mir schon glauben. Sie nehmen hier auf dem Gymnasium kein Mädchen auf. Das weiß ich mit absoluter Sicherheit. Es hat also gar keinen Zweck …“
„Das glaube ich nicht. Aber ich glaube, wenn man hingeht …“
„Also, bitte. Wenn du wieder einmal alles besser weißt … geh hin. Erkundige dich selber, melde dich an, du wirst ja sehen, was dabei herauskommt.“
„Und du … du kommst nicht mit mir?“
„Nein. Von mir aus mach deine Dummheiten, aber mach sie allein. Renn dir nur deinen Dickkopf ein. Wenn du gescheiter geworden bist, bin ich immer noch gerne bereit, dich in der Mädchenschule anzumelden!“
„Verdammt noch mal!“ sagte Petra laut und deutlich, aber sie sagte es lieber erst, als der Vater in sein Zimmer gegangen war.
Eine tolle Idee
Petra war wütend. Sie war so wütend, daß sie an diesem Abend, obwohl sie sehr müde war, einfach nicht einschlafen konnte. Daß sie in Narheim nicht auf das Gymnasium gehen konnte, war eine Katastrophe. Sie wollte doch unbedingt Griechisch lernen, erstens, weil der Vater es konnte, und zweitens — das war fast noch wichtiger —, weil Siegfried es nicht lernte. Sie hatte all ihren alten Freundinnen und Mitschülerinnen schon erzählt, daß sie auf eine Jungenschule kommen würde. Die würden schön feixen, wenn sie erfuhren, daß sie erst gar nicht aufgenommen worden war. So eine Blamage!
Am meisten aber war Petra wütend auf sich selber. Wenn der Vater sagte, es ging nicht, dann hatte er bestimmt recht. Warum hatte sie sich bloß so bockig angestellt? Hätte der Vater ihr eine geklebt, wäre ihr jetzt wahrscheinlich besser. Aber leider tat Vater so etwas nicht. „Renn dir nur deinen Dickschädel ein“, hatte er gesagt. Natürlich wußte er, daß sie allein ihre Aufnahme ins Gymnasium nie erreichen könnte. So eine Gemeinheit. Als wenn sie nicht mindestens so gut lernen würde wie jeder Junge! Und turnen konnte sie auch, das stand außer Frage.