Die Klasse ist für Petra. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.zog die Jacke noch einmal aus und das Hemd an. Es war eine Spur zu klein, aber es fiel bestimmt niemandem auf.
Jetzt erst war sie zufrieden, schloß die Mottenkiste wieder ab, lief hinunter. Von Siegfrieds Sachen packte sie, soviel sie fassen konnte, unter den Arm und nahm sie mit. Sie mußten nachher erst einmal in aller Ruhe durchprobiert werden.
Petraklingelte an der Wohnungstür.
Babette öffnete.
„Was willst du denn hier?“ fragte sie mißtrauisch.
Petra begriff, daß Babette sie mit ihren alten Augen im ersten Augenblick nicht erkannt hatte. „Ich möchte zu Herrn Doktor Sartorius“, sagte sie, und es fiel ihr schwer, ein spitzbübisches Lächeln zu unterdrücken.
„Zum Herrn Doktor? Aber der ist doch schon auf der Probe!“ sagte Babette. Dann schlug sie die Hände zusammen: „Petra! Kind! Wie siehst du denn aus? Was hast du bloß gemacht?“
Petra legte den Finger auf den Mund und drängte sich rasch in die Wohnung. „Mach nicht so ein Geschrei, Babette“, sagte sie, „sonst weiß es gleich das ganze Haus. Und es darf niemand wissen, hörst du, niemand!“
„Mein Gott! Wenn dein Vater dich so sieht!“
»Na und? Sehe ich nicht ordentlich aus?“
„Ordentlich? Wie ein Junge!“
„Ich bin auch ein Junge, Babette“, sagte Petra geheimnisvoll, „ab heute bin ich ein Junge, merk dir das, und ich heiße Peter … Peter … vergiß das nicht, ja?“
Babette legte prüfend ihre Hand auf Petras Stirn. „Ist dir nicht gut, Kind?“
„Ich fühle mich wohl wie ein Ferkel auf dem Misthaufen“, sagte Petra, die ihre vorletzten Ferien mit Vater und Mutter auf einem kleinen Dorf verbracht hatte. „Ich bin so gesund wie noch nie!“ Sie öffnete die Tür zu ihrer Kammer, warf Siegfrieds alte Sachen mit einem Schwung auf ihr Bett, rannte ins Badezimmer, um sich von Kopf bis Fuß im Spiegel zu mustern. Sie war enttäuscht. „Doof sehe ich aus“, sagte sie. „Das ist der doofste Anzug, den ich je gesehen habe!“
„Das behauptet Siegfried auch immer“, sagte Babette, die hinter ihr hergekommen war.
„Wirklich? Wahrscheinlich sehen alle Jungens in diesen braven Anzügen doof aus, da kann man nichts machen. Aber ich glaube, für den Direktor ist es gerade das Richtige.“
„Für welchen Direktor?“
„Für den Direktor vom Gymnasium. Hast du denn immer noch nicht kapiert?“
„Du willst in diesem Aufzug ins Gymnasium gehen?“
„Warum nicht?“
„Daß es sich für ein Mädchen nicht gehört, in Jungenkleidung herumzulaufen, davon will ich jetzt mal ganz absehen“, sagte Babette, „aber schau dir bloß mal deine Beine an …“
Petra schielte auf ihre Beine hinunter. „Ach herrje, du hast recht“, sagte sie. „Mit den Slippers kann ich natürlich nicht gehen … meinst du, daß mir auch die Schuhe von Siegfried passen werden?“
„Ganz bestimmt nicht. Es sei denn …“
„Wo sind Siegfrieds alte Schuhe?“ drängte Petra. „Es muß doch ein Paar darunter sein, das mir paßt!“
„Warum ziehst du nicht deine eigenen Sportschuhe an, Petra“, schlug Babette vor. „Oder deine Stiefel, die mit den Haken …“
Petra hatte schon ihren Kleiderschrank aufgerissen und den Kopf tief hineingesteckt, sie fischte mit sicherem Griff ein Paar derbe Halbschuhe heraus. „Ja, die werden gehen“, sagte sie zufrieden, „wenigstens sind sie neutral. Und jetzt noch Kniestrümpfe! Was für Strümpfe trägt man zu so einem blauen Anzug?“
„Weiße!“
„Hurra, weiße Kniestrümpfe habe ich!“
Eins, zwei, drei war Petra aus ihren hellgelben Schuhen mit dem halbhohen Absatz geschlüpft, zog die Kniestrümpfe — sie waren ein bißchen zu kurz — über die Beine und band sich die Halbschuhe zu. „Jetzt noch abbürsten“, sagte sie, „und ich bin ein junger Herr!“
„Petra“, sagte Babette, „willst du dich wirklich in diesem Aufzug im Gymnasium anmelden?“
„Wenn sie keine Mädchen aufnehmen wollen … was bleibt mir denn anderes übrig? Ich finde, es ist eine tolle Idee, einfach als Junge dort aufzukreuzen!“
„Aber du heißt doch Petra, das ist doch ein Mädchenname! Das wird dem Direktor sofort auffallen!“
„I wo denn her, unser alter Klaßlehrer hatte so eine Klaue, da kann kein Mensch entziffern, ob das Petra oder Peter heißt.“
Babette seufzte tief. „Und die Papiere, die du zur Anmeldung brauchst, hast du die?“
„Na klar. Mein Zeugnis habe ich hier in der Schublade.“
„Das Zeugnis allein wird aber nicht genügen. Du brauchst sicher auch deinen Geburtsschein.“
„Meinst du?“ sagte Petra erschrocken.
„Ganz bestimmt.“
„Den hat Vater. Aber ich kann ja mal schauen, vielleicht finde ich ihn …“
„Hör mal, Petra, du weißt, ich mache jeden Spaß mit“, sagte Babette, „aber diese Geschichte geht doch entschieden zu weit. Wie soll ich es vor deinem Vater verantworten, wenn du …“
„Du brauchst ja gar nichts zu verantworten, Babette, das ist doch großer Quatsch. Du sagst einfach, du hast von nichts gewußt. Niemand kann dir beweisen, daß du …“
„Aber ich habe davon gewußt, Petra, und ich bin für dich verantwortlich. Gerade jetzt, wo deine Mutter so weit fort ist. Ich kann nicht zulassen, daß du …“
„Babette! Liebe, gute Babette! Bitte, bitte, bitte, mach du mir nicht jetzt auch noch Schwierigkeiten! Siehst du nicht, daß alles sowieso schon schwierig genug ist? Meinst du denn, es sei ein Spaß für mich, so zu tun, als wenn ich ein Junge wäre? Ich weiß doch auch, daß der Direktor es vielleicht merkt. Und dann bin ich blamiert.“
„Also, dann sei vernünftig und …“
„Ich will aufs Gymnasium, Babette. Ich bin jetzt zwei Jahre auf dem Gymnasium gewesen, und ich sehe gar nicht ein, daß ich, nur weil diese blöde Schule hier …“
„Dann sprich zuerst mit deinem Vater, ob er es erlaubt.“
„Wozu? Es würde ihn doch nur unnötige aufregen, das mußt du doch zugeben. Ich verspreche dir, Babette … ich verspreche es dir hoch und heilig … ich werde mit ihm reden, wenn es geklappt hat. Wenn es nicht geklappt hat, dann braucht Vater es nicht auch noch zu wissen. Ich will nicht, daß er mich auslacht. Verstehst du das denn nicht?“
„Dein Vater würde es dir nie erlauben … und deine Mutter schon gar nicht, das weißt du ganz genau.“
„Aber es ist ungerecht! Es ist … es ist einfach gemein! Ich will doch bloß lernen, weiter nichts. Andere Kinder sind faul in der Schule und müssen sich deshalb von ihren Eltern ausschimpfen lassen …. und von euch versteht keiner, daß ich einfach lernen will. Bitte, bitte, bitte, hilf mir doch, Babette … du bist doch der einzige Mensch, der mich immer verstanden hat. Bitte, bitte, laß mich nicht im Stich!“
Petra stürmte auf Babette zu, und versuchte mit beiden Armen die rundliche Figur zu umfassen.
Babette wurde weich. „Na schön, Kind … also, deine Papiere liegen in Vaters Schreibtischschublade … links oben. Ich habe sie selber dort hineingetan.“
„Danke, Babette, danke!“ jubelte Petra und küßte die alte Haushälterin kräftig auf beide Wangen.
Fünf Minuten später war Petra, äußerlich ein braver Junge, innerlich ein weit weniger braves kleines Mädchen, auf dem Weg