Die Klasse ist für Petra. Marie Louise Fischer

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Die Klasse ist für Petra - Marie Louise Fischer


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standen, war wie ausgestorben. Es lag inmitten eines sehr großen Schulhofes, an dessen hinterster Ecke die Aschenbahn und die Sandgrube für Lauf- und Sprungübungen waren. Sonst gab es nichts Besonderes auf dem Schulhof zu sehen, nur ein paar Büsche an der Front zur Straße hin, der ganze Platz wirkte jetzt, ohne Jungens, weit, leer und öde. Die Gitterpforte, die auf den Schulhof führte, war nur angelehnt, aber die große eichene Haupttür war geschlossen.

      Petra drückte mit klopfendem Herzen auf die Klingel. Es kam ihr vor, als wenn sie sehr lange warten mußte, bis die Tür geöffnet wurde. Plötzlich überkam sie heiße Angst. Was sollte sie machen, wenn man sie überhaupt nicht hineinließ? Vielleicht hatte Vater recht, vielleicht mußte man wirklich mit seinen Eltern hierherkommen, um sich anzumelden.

      „He da!“ rief eine tiefe brummige Stimme. „Was gibt’s?“

      Petra fuhr herum. Eine kleine Seitentür war geöffnet worden und der Hausmeister, ein dicker alter Mann mit einem riesigen Hängeschnurrbart, der ihm das Aussehen eines gutmütigen Seehundes gab, hatte sie angesprochen.

      Petra nahm allen Mut zusammen. „Ich will zum Direktor“, sagte sie mit fester Stimme.

      „Da könnte jeder kommen“, brummte der Pedell.

      „Ich muß zum Direktor“, wiederholte Petra.

      „Weshalb, wenn ich bitten darf?“

      „Ich möchte mich anmelden — ich bin ein neuer Schüler!“

      „Ach so. Na, dann komm mal ’rein!“

      „Ist der Direktor da?“ fragte Petra, als sie am Pedell vorbei in das Schulgebäude schlüpfte.

      „Erstens heißt es der Herr Direktor, und zweitens hätte ich dich gar nicht ’reingelassen, wenn er nicht da wäre!“

      „Ach so. Entschuldigen Sie bitte!“

      „Manieren haben die Leute heutzutage“, brummte der Pedell, „zu meiner Zeit …“

      „Ist heute nicht mehr Ihre Zeit?“ fragte Petra.

      „Wieso?“ sagte der Pedell verblüfft.

      „Na, ich meine, Sie leben ja schließlich noch … oder sind Sie ausgestopft?“

      „Du kannst gleich eine fangen“, sagte der Pedell, „dann kannst du selber entscheiden, ob ich noch lebendig bin …“

      Der Pedell packte Petra mit festem Griff in den Nacken, Petra kam sich vor wie ein gefangenes Kaninchen und brüllte laut: „Aua! Lassen Sie mich los! Sie …“

      „Dir werde ich’s schon zeigen!“ sagte der Pedell nicht einmal unfreundlich, und schüttelte sie hin und her.

      Petra zappelte aus Leibeskräften, um loszukommen, und ehe sie selber wußte, wie es geschah, hatte sie ihn sehr kräftig und nachdrücklich gegen das Schienbein getreten.

      Jetzt brüllte der Pedell: „Aua!“ und ließ Petra los.

      Er rieb sich sein Bein, Petra massierte sich ihren Nacken.

      „Du verdammter Bengel, du!“ schimpfte der Pedell. „So einer wie du hat uns hier noch grade gefehlt! Aber warte nur, dich werden wir schon kleinkriegen … du, Lausejunge, du verdammter!“

      Sie hatten beide im Eifer des Gefechts nicht gemerkt, daß sich eine Tür geöffnet hatte und der Herr Direktor persönlich auf den langen Gang hinausgetreten war. Er hatte sich die Brille abgenommen, rieb sich noch einmal die Augen und sagte dann ärgerlich: „Was soll dieses Getöse?“

      „Entschuldigen Sie bitte, Herr Direktor“, sagte der Pedell und richtete sich auf, „aber …“

      „Ich habe den Herrn Pedell getreten, Herr Direktor“, sagte Petra rasch, „aber nicht mit Absicht …. bloß aus Versehen!“

      „Ist das wahr?“ fragte der Direktor.

      „Jawohl, Herr Direktor!“ sagte der Pedell rasch, sichtlich erleichtert, daß Petra die ganze Schuld auf sich genommen hatte.

      „Na schön. Aber das ist, meiner Meinung nach, immer noch kein Grund, ein solches Geschrei zu machen.“ Er wandte sich an Petra. „Was willst du überhaupt hier? Kannst du nicht erwarten, bis die Schulferien zu Ende sind?“

      „Ich bin ein Neuer, Herr Direktor“, sagte Petra, „und möchte mich anmelden.“

      „Gut. Komm herein.“

      Petra trat in das Zimmer des Direktors. Es war ein großer heller Raum mit vielen Aktenschränken, einem riesigen Schreibtisch und einem abgetretenen Teppich auf dem Boden.

      „Hast du deine Papiere mitgebracht?“ fragte der Direktor, der sich schon hinter dem Schreibtisch niedergelassen hatte.

      „Jawohl, Herr Direktor!“ Petra machte eine Verbeugung, die so ungeschickt ausfiel, daß sie beinahe gestolpert wäre.

      Der Herr Direktor nahm keine Notiz davon, er überflog prüfend Petras Zeugnis, das sie ihm mit den anderen Papieren gereicht hatte.

      „Na ja“, sagte er, „ich sehe, ganz ordentlich … Latein sehr gut, erstaunlich. In unserer Schule sind wir etwas zurückhaltender mit solchen Vorzugsnoten. Ich möchte dir raten, dich gleich darauf einzustellen.“

      „Jawohl, Herr Direktor … aber ich hatte im letzten Halbjahr alle Arbeiten bis auf eine mit einer Eins geschrieben.“

      „Donnerwetter! Dann bist du ja wahrhaftig ein Musterschüler.“

      „Beinahe“, sagte Petra.

      „Wo hapert’s denn?“

      „Betragen“, sagte Petra kleinlaut.

      Der Direktor verbarg seinen Mund hinter der Hand, aber Petra merkte an seinen Augen, daß er lächelte. Er legte das Zeugnis beiseite und überflog prüfend ihren Geburtsschein. „Wie heißt du?“ fragte er erstaunt.

      Petra schoß eine Blutwelle in die Stirn. Jetzt hatte er es doch entdeckt! „Peter Sartorius“, sagte sie trotzdem mit zitternder Stimme.

      „Aber hier steht doch … Petra!“

      „Jawohl, Herr Direktor, ich weiß … meine Eltern haben sich damals ein Mädchen gewünscht … aber genannt werde ich Peter.“ Sie biß sich auf die Lippen, versuchte die Tränen herunterzuschlucken, die ihr unwillkürlich in die Augen traten.

      Der Direktor streifte sie mit einem Seitenblick. „Na ja … ich verstehe … nicht gerade angenehm für dich. Du wirst einiges von deinen Mitschülern auszustehen haben, wenn das herauskommt …“

      „Ich weiß, Herr Direktor“, sagte Petra mit schwankender Stimme, „aber … vielleicht … es braucht’s doch niemand zu erfahren!“ Plötzlich kam ihr ein Einfall. „Schließlich kann ich doch nicht auf eine Mädchenschule gehen, nur weil ich Petra getauft worden bin!“

      „Auch wieder richtig“, sagte der Direktor friedfertig.

      „Herr Direktor“, sagte Petra flehend, „Sie werden mich doch aufnehmen, nicht wahr? Ich … ich möchte so gerne weiter aufs Gymnasium gehen, ich habe doch schon zwei Klassen hinter mir … und wirtlich …. ich will mir alle Mühe geben … besonders im Betragen.“

      Der Direktor sah Petra erstaunt an. „Ja, was glaubst du denn? Meinst du etwa, wir würden dich nicht aufnehmen, nur weil du Petra heißt?“

      „Ja, das hatte ich mir gedacht. Mein Vater hat gesagt … die nehmen dich bestimmt nicht.“

      „Was ist denn dein Vater?“

      „Opernsänger — das heißt, er singt auch in Konzerten …“

      „Sartorius? Ist dein Vater etwa der bekannte Bariton Sartorius?“

      „Jawohl, Herr Direktor!“ sagte Petra strahlend.

      „Das ist ja wunderbar! Kannst du selber auch singen?“


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