Christiane und die großen Brüder. Lise Gast

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Christiane und die großen Brüder - Lise Gast


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Aber es ist besser für dich, glaub mir, Liebes. Wenn ich Praxis halte, ist nie Ruhe. Bei Tag nicht, und nachts auch nicht. Ich dachte, Christiane und ich fahren ein bißchen an die See. Christiane ist jetzt ein solcher Blaßschnabel, der wird die Seeluft guttun. Wenn ihr hier allein seid, drei Frauen und Rolfi, ohne Telefon und Sprechstunde, dann erholt ihr euch allesamt. Und länger als vierzehn Tage bleiben Christiane und ich nicht, wenn du nicht willst. Einverstanden?“

      So schnell aber war Mutter doch mit ihrem Ja nicht zur Hand. Sie war wiedergekommen, ausgeruht und mit vor Schaffenslust blitzenden Augen, aber schon die Wagenfahrt vom Krankenhaus hierher hatte sie sehr angestrengt. Sie behauptete zwar, das käme daher, daß sie wochenlang krumm gelegen habe, da gewöhne man sich die Faulheit an, aber Vater sah sie nur bittend an. Da wurde sie nachgiebig.

      Es hatte ja auch etwas Verlockendes, daheim zu sein und doch Ruhe zu haben — und schließlich würde die Zeit auch herumgehen. Dann aber wollte sie wieder auf dem Posten sein, da gab es keinen Zweifel!

      „Bestimmt. Daran zweifle ich nicht“, lächelte ihr der Vater zärtlich in die Augen, „nun tu mir den Gefallen und sag ja! Christiane und ich, wir wollen doch auch mal zusammen verreisen. Ich habe noch so wenig von meiner Tochter gehabt. Weißt du noch, wie wir uns auf sie freuten und du gern einen Jungen haben wolltest? Ich wollte immer als erstes ein Mädel, um später mit meiner Tochter einmal nach Italien fahren zu können. Wenn‘s auch diesmal noch nicht Italien ist — —“

      Die Eltern lachten beide mit einem seltsam zärtlichen Unterton. Christiane war sehr verlegen — ach, schrecklich verlegen. Es erschien ihr das Unmöglichste von der Welt zu sein, dem Vater jetzt um den Hals zu fallen und »Danke!“ oder „Ich freu‘ mich so!“ zu sagen. Sie hätte es so gern getan — warum nur kann man das mit vierzehn Jahren nicht?

      Sie war ja so dankbar für Vaters Worte, und sie freute sich ganz unglaublich auf die Reise. An die See! Allein mit Vater! Es tat so gut, einmal als vollwertig genommen zu werden. Vater hatte nicht gesagt: Da nehm‘ ich eben Christiane mit! sondern: Christiane und ich, wir wollen auch mal zusammen verreisen.

      Viele Gedanken stürmten zugleich auf sie ein. Ob Mutter daran dachte, daß sie noch ein neues Sommerkleid brauchte, nachdem ihr altes vom vorigen Sommer so kurz geworden war? Und …

      Mutter dachte daran! Und es blieb nicht bei diesem Kleid, sondern es kam noch mehr dazu. Ein schöner kornblumenblauer Bademantel, ein neuer Badeanzug — der alte wäre noch gegangen, aber Christiane strahlte erst recht über den neuen —, ein Paar schneeweiße Strandschuhe und — ja, das war das schönste: ein eigener kleiner, krapproter Koffer mit einem Schild in einem kleinen Lederanhänger, auf dem „Christiane Drebschütz“ stand, wie bei einer erwachsenen Dame.

      Der Koffer stand aufgeschlagen auf der Couch, und sie ging hin und her, suchte unter den Büchern, welche unbedingt mit müßten — ganz ohne Bücher konnte man diese vierzehn Tage nicht sein — und kramte im Wäschefach, als es klopfte. Sie erschrak ein bißchen. Wer konnte jetzt wohl kommen?

      Zaghaft sagte sie: „Herein!“

      Aber es waren nur Gisela und Sabine, und die kamen ihr gerade recht. Sie mußten den Koffer und alles, was sonst noch neu war, bewundern, und sie taten es aufgeregt.

      „Wir wollen uns das Regele holen“, verkündeten sie. Und dann lachten sie, als Christiane ganz erschrocken fragte: „Heute schon?“

      „Ach geh, doch nur zur Probe! Wir wollen‘s mal mitnehme, damit‘s nachher net so fremdelt. Sonst holt es uns deine Mutter am End‘ wieder weg.“

      „Ja, das ist gut“, sagte Christiane. Sie setzten sich alle drei auf die Couch, und Christiane holte ihre bunte Blechbüchse mit den Knusperle hervor, die sie immer für Besuch bereithielt. Eifrig knabberten sie los.

      „Na, du freust dich, was? Aber wir erst! Denk doch mal, zwei fast gleich große Geschwister zu haben — also wir sagen allen Leuten, es wären Zwillinge. Und wir ziehen sie auch immer gleich an, das geht, glaubst du? Dietmar hat von Spielhöschen und Luftanzügen fast immer zwei, weil er so ein Schmutzbartel ist und immerfort umgezogen werden muß, da bekommt jetzt das Regele immer das eine davon. Und wir gehen mit ihnen spazieren. Denk nur, wenn wir zwei gleich angezogen sind und die beiden Kleinen auch!“

      Ja, das konnte sich auch Christiane überwältigend schön vorstellen!

      „Das müßt ihr knipsen, damit wir es aufheben können — aber sehen will ich‘s auch in Wirklichkeit. Habt ihr nicht heute schon das zweite Lufthöschen mit?“

      „Nein, daran hätten wir denken sollen!“ bedauerte Sabine. Gisela aber wußte Rat.

      „Hast du noch viel zu schaffe, oder kannst glei mitkomme? Da bringst du uns das Regele mit hin, und wir tun‘s dort glei einpuppe —“

      „O ja, das tun wir!“

      Christiane packte in Eile weg, was umherstand, während die beiden Schwestern ans Fenster traten.

      „Weißt du noch, Christiane, wie wir das erste Mal bei euch waren und Rainer uns hier vollspritzte? Und deine Mutter kam herauf!“

      „Ja, ich weiß noch.“

      Wann würde Christiane das je vergessen! Dieser Wasserstrahl durchs Fenster, der sie alle drei und noch vielerlei im Zimmer eingeweicht hatte, der hatte erst Schlimmes, dann Gutes im Gefolge gehabt. Christiane hatte damals zum ersten Male in ihrem jungen Leben erfahren, daß manches, was zuerst sehr schlimm und schrecklich aussieht, der Anfang von etwas sehr Gutem sein kann. Freilich, weh tut‘s oft, und wer weiß denn, was nachher kommt …

      Sie packte nachdenklich und dadurch ein wenig trödelnd weg, was umherstand, bis Gisela mahnte:

      „Tu net einschlafe, Christiane, sonst laufe wer ohne dich davon!“

      Gisela war ein Quecksilber und konnte nie warten. Mit Sabine, die besinnlicher war, verstand sich Christiane eigentlich besser, da aber die Schwestern immer und ständig beisammen waren, blieb es beim Dreibund, schon seit Jahren.

      Dietmar, der ein halbes Jahr älter als Regine war, hatte heute seine Lederhose an, eine richtige, krachneue, hellgraue Lederhose mit einem pompösen Brustgeschirr. Darauf war ein in Leder gepreßter Hirsch zu sehen, ein „Hilsch“, wie Dietmar sagte. Er sprach zwar sonst alles ordentlich, konnte aber absolut kein R aussprechen. Die großen Schwestern unterdrückten ihr Lachen, als er Christiane den „Hilsch“ zeigte.

      „Mutter, ich bring‘ Gisela und Sabine noch ein Stück, schon damit Regine gutwillig mitgeht“, sagte Christiane. Sie bummelten durch den Garten und die mittagsheiße Straße hinauf, an der Gartenmauer entlang. Regine und Dietmar liefen vorneweg.

      „Wenn er aber die Lederbux anhat, könnt ihr sie doch nicht gleich anziehen“, sagte Christiane bedauernd und blieb plötzlich stehen.

      „Ich weiß was. Wartet mal einen Augenblick!“ Und schon rannte sie zurück und war hinter der Gartenmauer verschwunden. Die Schwestern sahen ihr lachend nach. Ja, rennen konnte Christiane! Richtig, da bog sie wieder um die Ecke, noch im selben Tempo und dabei kaum außer Atem.

      „Ich hab‘ das Geld geholt, das noch übrig war und für das ich mir eigentlich eine Badetasche kaufen wollte. Aber eine Badetasche ist nicht unbedingt nötig. Man kann den Badeanzug auch gleich unterziehen und so an den Strand laufen, das ist sogar viel praktischer. Und da — wißt ihr, wo ihr den Stoff von Dietmars Hemd herhabt?“

      „Doch, ja, von der Frau Gugele.“ Es war eigentlich müßig, zu fragen, denn Frau Gugele führte das einzige Textilgeschäft des Städtchens.

      „Ob es da noch solchen gibt?“

      „Wir müssen halt mal frage!“

      „Los. Jetzt gleich!“ sagte Christiane entschlossen.

      „Was willst du denn damit?“

      „Der Regine ein Dirndlkleid nähen. Dann könnt ihr die beiden auch als Zwillinge ausgeben, wenn Dietmar Lederhosen anhat“, sagte Christiane eifrig. „Wißt ihr, wieviel Stoff man braucht?“

      Nein,


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