Christiane und die großen Brüder. Lise Gast

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Christiane und die großen Brüder - Lise Gast


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hielt. Als sie alle fünf hereinkamen, war der kleine Laden voll.

      Sie bekamen tatsächlich denselben Stoff. Und Frau Gugele wußte auch, wieviel man brauchte.

      „Aber wer näht es?“ fragte Christiane ein wenig bedenklich, als sie wieder auf dem Marktplatz standen.

      „Mutter. Mutter macht so was in zwei Stunde“, erklärte Gisela und trippelte ungeduldig, „nun kommt schon, los, damit wir nicht die ganze Zeit vertrödele!“

      „Eure Mutter wird gerade darauf warten, daß sie für anderer Leute Kinder Kleider nähen darf“, sagte Christiane bedenklich.

      Gisela aber meinte: „Warum net? Sie freut sich doch bereits auf ihre kleine Tochter. Ein Bett habe wir auch schon geliehe. Paß auf, sie schneidert sofort los!“

      Tatsächlich, Frau Schönherr war von der Idee der Mädel so entzückt, daß sie alles andere stehen und liegen ließ und an Regine Maß nahm. Sie war wie ihre Tochter Gisela: Was geschehen sollte, mußte am besten sofort geschehen.

      Christiane wäre fürs Leben gern geblieben, bis das Kleidchen fertig war, aber sie sagte dann doch vernünftig: „Ich muß heim. Bringt ihr mich noch ein Stück?“

      Es war sonst nicht ihre Art, sich schwatzend ohne Ende hin und her zu begleiten. Heute aber hatte Christiane noch etwas auf dem Herzen.

      „Hört mal“, sagte sie zögernd, als sie ein Stück gegangen waren, „wir fahren ja zu Vaters Bekannten, die ein kleines Haus an der See haben, das sie den Sommer über vermieten, die jetzt aber selbst ein paar Wochen darin hausen. — Wir fahren aber nicht in einem durch dorthin. Das ist zu weit von hier aus, und wir wollen uns ja auch nicht hetzen, sagt Vater. Aber wenn wir da — unterwegs —“

      „Was denn?“

      „Wenn wir da im Hotel übernachten — ich war noch nie in einem Hotel“, sagte Christiane ein wenig zögernd. „Ich weiß nicht, wie man das macht.“

      „Was denn macht?“

      „Nun, alles. Muß man da dem Kellner die Hand geben, und muß man früh die Betten machen? Und —“

      Ja, das wußten Gisela und Sabine auch nicht. Gisela allerdings fand schnell einen Ausweg.

      „Du machst eben alles wie dein Vater! Wenn er die Hand gibt, gibst du sie auch! Fertig.“

      „Ja, aber Betten machen? Das muß doch die Frau!“

      Ich kann Vater das nicht fragen, dachte sie mutlos, überhaupt — ach, alles war so schwierig. Erst hatte sie sich schrecklich gefreut, aber jetzt bekam sie immer mehr Angst. Nicht vor Vater, aber vor dem ausschließlichen Zusammensein mit ihm. Wenn sie ihn nun enttäuschte?

      Mit seiner Tochter nach Italien fahren, wollte er einmal — sicher mit einer sehr schönen und eleganten Tochter, auf die er stolz sein konnte. Mit einer jungen Dame. Oh, sie wünschte so sehr, Vater könnte stolz auf sie sein! Aber — schön war sie bestimmt nicht, vielleicht sogar nicht einmal hübsch? Rainer versicherte ihr ja täglich, daß sie abscheulich aussähe, wie eine Kuh. Mutter tröstete sie immer, Brüder wären nicht anders, man dürfe nicht darauf hören. Aber ob sie hübsch war oder häßlich, das wagte sie selbst nicht zu entscheiden. Man kannte das eigene Gesicht aus dem Spiegel so gut, daß man es gar nicht mehr beurteilen konnte.

      Nachdem Gisela und Sabine sich von ihr verabschiedet hatten, wanderte sie langsam und nachdenklich nach Hause. Zum Glück gab es dort so viel zu tun, daß sie nicht weiter grübeln konnte.

      Vor allem anderen mußten jetzt die beiden Jungen fürs Kinderheim fertiggemacht werden. Da gab es Söckchen zu stopfen und Hemden zu plätten. Im letzten Augenblick mußten noch Schuhe zum Schuster, auf die man gleich warten sollte — nein, nicht warten, sondern unterdes dies und jenes und das besorgen, und tausenderlei sonst noch! Nanna meinte, wenn das immer so ginge, wäre sie schon längst in einer Irrenanstalt gelandet; und Hedi, die nun auch schon vier Jahre hier im Haushalt und also nicht mehr ganz neu und verschüchtert war, lachte hinter ihr her und blinzelte Christiane zu.

      „Eigentlich schade. In solch einem Institut haben es die Insassen doch wunderschön“, sagte sie, „niemand widerspricht ihnen, sie können sagen, was sie wollen. Das heißt, hier widerspricht der Nanna ja auch niemand. Wollen wir sie nicht in einem Kinderheim für Fortgeschrittene anmelden? Das wäre eine Erholung — für uns!“

      Sie entwetzte. Christiane hörte ihr Lachen noch aus dem Kellergang.

      Hedi hatte eine glückliche Natur. Hedi war immer vergnügt, ob die Nanna schalt oder nicht, oder ob sie für Vater dreimal wieder abdecken und das Essen aufwärmen mußte. Hedi sang schon am frühen Morgen, nicht nur an solchen Sommermorgen, wie sie jetzt übers Land segelten, blaugolden und frisch, sondern auch im November, wenn kein Mensch gern aus den Federn schlüpft. Christiane hatte Hedi singen hören, als sie in der Heizung hockte und Koks aufschüttete, so herzensfroh und unbekümmert um alles. Wenn man doch auch so sein könnte!

      Christiane erwog kurz, ob sie nicht Hedi fragen sollte, wie man das unterwegs am besten hinbekam, sagte sich dann aber, daß auch Hedi wahrscheinlich in ihrem Leben noch in keinem Hotel übernachtet hatte. Sonst aber wußte sie niemanden, den sie hätte fragen können. Großmutter, ja, aber ihr zu schreiben, konnte sie sich auch nicht entschließen.

      Schließlich gingen auch die unruhigen Tage der Vorbereitungen vorüber. Eines Spätnachmittags saßen Rainer und Roland wohlverstaut im Wagen — Rainer hinten bei den Koffern, Brüdi vorn neben Vater — und streckten wie auf Kommando Christiane die Zunge heraus, als sie, um sich zu verabschieden, noch einmal an den Wagen trat. Vater sah es und schüttelte den Kopf.

      „Was seid ihr doch für unangenehme Zeitgenossen. Die Tanten, die euch droben auf der Alp bemuttern werden, können mir jetzt schon leid tun.“

      „Die sind auch nicht so wie Christiane“, versicherte Rainer, als kennte er sie schon ganz genau.

      Der Vater aber sagte prompt: „Hoffentlich nicht. Hoffentlich bekommt ihr jeden Morgen Prügelsuppe und abends dasselbe. Das kann euch nur gut bekommen, Übrigens, Christiane, wenn du Lust hast, fahr doch mit, dir kann eine kleine Autotour nur guttun. Ich bin heute abend wieder da. Magst du?“

      Christiane zögerte. „Ob Mutter …“

      „Mutter sagt doch nicht nein, das weißt du doch. Mutter gönnt es dir bestimmt“, drängte Vater.

      „Aber die Nanna?“

      „Die fragen wir erst gar nicht, Dummes!“

      „Gut!“ Christiane lief noch rasch ins Haus, um sich eine Jacke zu holen. Als sie wiederkam, hatte Vater Roland trotz seines Protestes nach hinten verbannt und den schönsten Platz für Christiane freigemacht. Roland wütete, aber es half ihm nichts.

      „Ihr werdet euch anständig benehmen dahinten, hört ihr?“ sagte Vater, und er sagte es so, daß Brüdis Schimpfen sogleich verstummte.

      Der Wagen brummte den blauen Bergen entgegen, die, je näher man kam, desto deutlicher sich in bewaldete Höhenrücken verwandelten. Einmal fuhren sie unter der Autobahn hindurch, und Christiane, die noch nie darauf gefahren war, reckte den Hals.

      „Vater, wie breit ist sie? Geht sie durch ganz Deutschland? Und ganz glatt ist sie, gar nicht holperig und löcherig wie die Landstraßen.“

      Vater antwortete nicht. Er ließ den Wagen ausrollen, schaute über die Schulter zurück und wendete, fuhr dann das letzte Stück zurück. Ein breites Schild: „Auffahrt Richtung Ulm — Augsburg — München.“ Die Jungen waren still geworden und guckten genauso erwartungsvoll und aufmerksam nach vorn wie Christiane.

      Und dann lief der Wagen ganz glatt und ruhig auf der breiten, durch einen weißen Strich geteilten Bahn. Daneben der Grasstreifen, und drüben wieder zwei Bahnen.

      „Wo fahren wir denn jetzt hin, Vater?“ fragte Christiane. Vater schmunzelte.

      „Ich möchte euch nur eine der schönsten Strecken der Autobahn zeigen, die Alpauffahrt bei Wiesenstein. Eine ganze Schlucht


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