Pferdeglück. Lise Gast

Читать онлайн книгу.

Pferdeglück - Lise Gast


Скачать книгу
–“, sie rief sich zurück. „Alles Nebensache. Woher kommst du?“

      „Heute von Hannover. Ich habe dort manchmal zu tun. Und ich weiß ja, daß ihr hier wohnt. Immer wollte ich dich mal besuchen“, sagte Henner und ging neben ihr her, dem Hause zu. Er bohrte bei jedem Schritt die Absätze nachdenklich in den Sand und sah auf seine Schuhe. „Aber jetzt –“

      „Jetzt?“

      „Das wußte ich nicht, und die Mädchen haben auch nichts davon gesagt“, sagte er leise, und es klang so, daß es ihr Herz schlagen ließ. Sie wußte genau, was er meinte. Trotzdem fragte sie natürlich:

      „Was denn, Henner?“

      „Daß du – daß du wieder geheiratet hast. Der andere ist doch auch deiner, der andere Junge, nicht wahr? Der dunklere? Er sagte vorhin: ,Mutter reitet.‘ Als er nach dir rief, rief er allerdings ,Brigge‘.

      „Ja, die Bande! Sie nennen mich fast immer so, eine zuchtlose Jugend, aber da kannst du nichts machen, heutzutage. Fast alle Kinder nennen ihre Eltern jetzt beim Vornamen – oder bei Spitznamen, die manchmal auch nicht schmeichelhaft sind. Zu meiner Mutter sagen sie ,Omme‘, und ich hab’ mir das wahrhaftig auch schon angewöhnt. Und die Mädchen haben dich gleich erkannt?“

      „Ich hab’ sie erkannt.“ Er glaubte, sich das schuldig zu sein. „Dein Mann, Brigge? Wo ist er? Ist er hier?“ Er fragte es mit Überwindung, sie merkte es genau. Und da packte sie der Einfall, ließ sie nicht wieder los. So ging es ihr manchmal. Sie konnte dann nicht anders und mußte ihm folgen, so verrückt er war. Heute war er sehr verrückt.

      „Mein Mann braucht dich nicht zu kümmern“, sagte sie und schwieg dann. Auf diese Weise mußte er weitersprechen, und sie gewann Zeit, sich ihre Rolle zurechtzulegen.

      „Dann fahre ich lieber wieder“, sagte er verhalten, „ich wußte das nicht, und ich verstehe nicht, daß der Rechtsanwalt mir das nicht mitgeteilt hat. Aber sei dem, wie ihm sei –“

      „Du wirst ihm nicht begegnen“, sagte Brigge schnell, „nein, Henner, jetzt wieder ausrücken, das kommt nicht in Frage. Du mußt doch Omme begrüßen – sie ist noch ganz die alte mit ihren Zitaten und Aussprüchen –, nun, und die Mädchen sind sicherlich auch selig, daß du da bist. Du warst lange im Ausland, habe ich gehört? Hast du denn ein bißchen Zeit?“

      „Ich habe mir welche genommen. Leicht war es nicht, eingespannt wie ich bin –“, das mußte er sagen, er war immer ein Wichtigmacher gewesen. „Aber einmal muß jeder Mensch ausspannen.“

      „Sehr vernünftig.“ Brigge brachte es fertig, nicht zu lächeln.

      „Und da erholst du dich in der Reiterpension Heidehof. Wunderbar. Ein Zimmer ist bestimmt für dich frei, wenn nicht, wird eins frei gemacht. Und du kannst reiten, deshalb kommst du vermutlich auch, jedenfalls mit deshalb? Zwei Pferde ist ja vorderhand nicht viel, aber vielleicht kannst du mir sogar raten; ob ich das dritte kaufen soll, ich hab’ eins in Aussicht, bin mir nur noch nicht darüber klar, soll ich oder soll ich nicht. Sag nur den Kindern nichts, die würden natürlich Hurra schreien. Es ist eine Stute, tragend – wir kaufen damit also praktisch zwei Pferde. Nur – ja, es wäre schon gut, einen Fachmann dabei zu haben – weil –“, sie fing an, sich in Einzelheiten zu verlieren, eifrig und lebhaft. So war sie immer gewesen.

      Sie war überhaupt ganz die alte, fand er, völlig, – unsachlich, spontan, von Nebensachen erfüllt, wenn es um Hauptsachen ging. Da verbreitete sie sich über die Fesseln und die möglicherweise zu wenig schräge Schulter eines Pferdes, das sie vielleicht nie kaufen würde, und er ging neben ihr her, völlig erschlagen von dem , was er soeben erfahren hatte: daß sie wieder verheiratet war. Längst. Und zwei Söhne besaß.

      „Entschuldige, Brigge, aber ich hab’ es mir überlegt, aber ich kann nicht hierbleiben, es geht nicht. Ich habe mich gefreut, dich und die Mädchen wiederzusehen, darum kam ich. Vielleicht paßt es ein andermal“, sagte er, als sie am Haus angekommen waren. Er sagte es rasch und wenig überzeugend. Brigge wischte es weg.

      „Kommt nicht in Frage. Jetzt trinken wir erstmal einen ordentlichen Brummer, der wird dir guttun und Kopf und Herz freimachen.“

      ,Brummer‘, so hatte sie immer gesagt, wenn sie sich einen heimlichen Kaffee außer der Zeit gebraut hatten und ihren damals recht anspruchsvollen Töchtern entronnen waren. Die besaßen entschieden das Temperament der Mutter, und Henner entsann sich noch leicht schaudernd ihrer drei- und vierjährigen Lebhaftigkeit. Trotzdem ging ganz leicht und schnell ein Lächeln über sein Gesicht und machte es jung, weich und zärtlich.

      Brigge wußte, daß sie gewonnen hatte.

      „So, grüß Gott, tritt ein, bring Vorschuß rein“, sagte sie, ihn ins Haus ziehend. „Oder denkst du, in unserer erstklassigen Pension wird hinterher bezahlt? Nein, vorher und bar auf den Tisch des Hauses, wie in England. Nur du nicht, nein, du nicht“, sagte sie und lachte leise mit einem zärtlichen Unterton, der sein Herz anrührte … „Ich werde doch meinen – früheren – Mann nicht ungeatzt und ungetränkt wieder davongehen lassen. Kennst du mich denn gar nicht mehr?“

      „Ich habe mir eingebildet, dich sehr gut zu kennen“, sagte er. Es klang ein wenig theatralisch, er merkte es selbst. Deshalb fügte er schnell hinzu:

      „Du hast dich gar nicht verändert, Brigge.“

      „Danke. Zehn Jahre jünger geworden, meine Gnädigste, würde ein Wiener jetzt sagen. Meintest du doch auch.“ Sie hatte ihn in die kleine Küche dirigiert, die ein wenig dunkel, aber sehr behaglich war, und schob den Kessel auf die Feuerstelle. Wahrhaftig, einen Herd gab es hier noch, der mit Holz – vielleicht auch mit Briketts – jedenfalls aber geheizt wurde, der eine richtige Feuerstelle hatte, aus der es rauchig roch, unsagbar anheimelnd, nach Holzrauch, und zwischen dessen Herdringen es rot hervorglühte. Der Kessel begann sogleich zu singen. Henner sah hin und erkannte ihn wieder – wahrhaftig, es war noch der alte! Der alte Kessel voller Erinnerungen.

      „Ja, der Kater Murr! Der ist uns treu geblieben“, sagte Brigge, die seinen Blick sofort verstanden hatte, „er hat alle Veränderungen mit uns überlebt. Und nun sag du: wie geht’s dir? Du hast noch gar nichts erzählt.“

      „Gut soweit.“ Das klang einsilbig. „Ich bin halt viel allein.“ Wieder eine Pause. Und dann, wie widerwillig hervorgestoßen, ganz etwas anderes: „Vertragen sich denn die beiden, ich meine, Gisela und Schimmel, mit ihren kleinen – nun, Stiefbrüdern? Ich möchte nicht, daß meine Töchter etwa auf Kosten dieser Söhne zu kurz kommen.“

      „Ach, keine Sorge. Die Mädchen setzen sich durch, sind ja auch einiges älter. Manchmal kabbeln sie sich natürlich“, sagte Brigge und nahm zwei blaue Tassen vom Bord, stellte sie auf das weißgescheuerte Brett, schnitt ein paar Streifen Sonntagskuchen, der noch frisch auf dem Blech lag, herunter und gab Henner die Kaffekanne zu tragen.

      „Wir setzen uns in den Garten, komm. Wenn wir Glück haben, sind wir noch ein Weilchen unter uns.“

      Während der Kaffee zog, lief sie noch einmal ins Haus zurück und kam mit einem Stapel Fotos zurück.

      „Die können wir uns inzwischen begucken. Da, das ist Gisela mit zwölf, süß, nicht? Eine richtige kleine Eva. Sie wird größer als ich, schlägt nach dir. Nur, daß sie dunkle Augen hat.“

      „Und was für schöne Haare!“ sagte er schwach. Brigge lachte stolz. „Die pflegen wir auch. Nur das Offentragen ist doch sehr unpraktisch. Lang bis zum Gürtel und dann offen –“

      „Ich finde, mit siebzehn sollte ein Mädchen die Frisur tragen dürfen, die ihm selbst gefällt“, sagte Henner heftig. „Gewiß gibt es praktische Gesichtspunkte, aber –“

      „Na, findest du es etwa schön, wenn die Haare das halbe Gesicht verdecken?“ Sie selbst trug noch die alte Frisur, eine höchst unzeitgemäße Zopfschnecke im Nacken. Es paßte zu ihrem Typ, aber sie fühlte sich kritisiert.

      „Die jungen Mädchen tragen es aber heute so. Du machst ihr da hoffentlich keine Schwierigkeiten!“

      „Doch. Ich verlange


Скачать книгу