Pferdeglück. Lise Gast

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Pferdeglück - Lise Gast


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Henner. Hast du dich geärgert, über Peter?“ fragte sie erschrocken.

      „Nein, über dich. Entschuldige. Du hättest ihm eine langen sollen, ganz abgesehen davon, daß ich doch wahrhaftig keinen Bauch habe. Aber eine solche Frechheit einem fremden Herrn gegenüber – –“, er war ernstlich erbittert. „Meine Töchter hätten das nie fertiggebracht. Das verstößt gegen den Takt, den Herzenstakt. Meine Töchter sind –“

      Brigge mußte lachen und fälschte das im letzten Augenblick in ein Niesen um. Es gelang. Sie hörte Henners Erziehungstheorien geduldig und demütig an. Jedenfalls, solange sie noch ihre Lachgrübchen beherrschen mußte. Als sie sie wieder an der Kandare hatte, wurde es ihr zu bunt.

      „Nun laß schon. Jungens sind nun mal so. Flegeljahre. Das kann man nicht ändern.“

      „Erstens“, dozierte Henner, „kommen die Flegeljahre erst später, so zwischen dreizehn und fünfzehn, und zweitens ist das zwar ein bedauerliches Alter, aber es muß von den Erwachsenen nicht hingenommen, sondern pariert werden.“

      „Ach ja. Ich werde es von jetzt an also tun“ sagte Brigge, so friedlich wie möglich, und lehnte sich zurück, „sieh doch den Himmel! Mein Gott, was ist das heute wieder für ein Tag!“

      Sie lag dicht neben ihm, er fühlte ihren Arm an seiner Hand. Ihre Haut brannte vom Baden in der kalten Oerze und war gleichmäßig braun, so braun wie Samt.

      Henner fühlte eine unbestimmte Traurigkeit in sich aufsteigen. Der strahlende Tag unterstrich dieses Gefühl noch. Strahlend, ja, aber nicht mehr für ihn. Nicht für ihn.

      „Du, ich bin so froh, daß du gekommen bist, na, und die Mädchen strahlen nur so. Wir wollen es uns schön machen“, sagte sie leise. „Du wirst viel schlafen, und reiten kannst du, so oft du willst. Und sonst gar nichts, gar nichts tun – sollst mal sehen, wie dir das bekommt.“

      ,Sonst nichts?‘ dachte Henner. Natürlich, sonst nichts. Aber war das nichts, hier in der stillen Heide mit Brigge zu liegen, ganz allein, ganz still, und ihre braune Haut anzusehen, ihre dunkle Stimme zu hören, sich, wie ehemals, darüber zu wundern, wie das Haar hellblond neben dem Ohr ansetzte und sich dann, etwas verdunkelt, in Honigfarbe verwandelte, ganz sanft im Übergang –

      „Brigge?“ fragte er leise. Sie hatte die Augen geschlossen.

      „Mhm?“

      „Hast du denn Zeit für mich?“

      „Natürlich.“

      „Brigge –“

      „Ja –“.

      Da fuhr es aus den Büschen, indianerhaft angetan und mit bunten Federn im Schopf, die Gesichter mit Tuschfarbe angemalt.

      „Hurra hurra! Ihr seid gefangen und kommt jetzt an den Marterpfahl!“

      „Erstens –“, setzte Henner an, „schreien Indianer nicht hurra, und zweitens –“, aber er kam nicht weiter mit seinen Belehrungen. Mit der Ruhe war es jedenfalls vorbei.

      Vorbei? Immerhin, ein noch junger Mann – nun. gerade, dachte Henner und reckte sich, – ein noch junger Mann braucht nicht pausenlos Ruhe. Und mit Kindern wird man am ehesten fertig, wenn man sich gut mit ihnen stellt, sich bei ihnen beliebt macht. Dann gehen sie für einen durchs Feuer. Auch fremde; mit seinen Töchtern war das natürlich ganz etwas anderes. Die hatte er sowieso und sofort gewonnen, das fühlte er. So stand er elastisch auf – Bauch, kein Gedanke, und außerdem kann man ja etwas dagegen tun – rief die beiden Siouxe mit heuchlerisch freundlicher Stimme an seine Seite und begann ihnen zu erzählen. Was er in Amerika gesehen und erlebt hatte, wie er in der Tatra auf Gemsen gegangen war, und daß er seine allererste Kindheit in Afrika verlebte.

      Das war etwas! Peter und Anselm spitzten die Ohren und drängten sich rechts und links neben ihn, Brigge ging hinterher – der Pfad war schmal – und hörte mit halbem Ohr zu. Sie hatte einen Grashalm im Mund und lächelte, ihr ganzes Gesicht war ein einziges Lächeln. Alles in Ordnung, alles in allerschönster Ordnung – – –

      *

      So ganz in Ordnung blieb es nicht. Nicht alles – Brigge entwikkelte zwar eine bewundernswerte Fertigkeit, die Kinder immer wieder anderweitig zu interessieren, denn so ohne weiteres wegschicken ließen sich weder Jungen noch Mädchen. Am besten, man stellte Henner sicher, brachte ihn möglichst außer Sichtweite, das war weniger anstrengend.

      „Wir setzen uns ein bißchen zu mir“, sagte sie also, als sie das Haus erreichten, „die Gäste kann die Omme übernehmen. Komm, ich habe einen Winkel für mich, den ich sehr liebe und auch verteidige, das sogenannte Schreibzimmer. Dort darf man mich nur stören, wenn das Haus abbrennt.“

      Sie traten ein. Das Zimmer war winzig, aber von einer Gemütlichkeit, die jeden sofort umfing. Ein Sofa hinter einem ovalen Tisch, auf dem ein Strauß Dahlien in Rosa, Dunkelrot und Orange glühte, schräg am Fenster ein alter Sekretär. Brigge schloß die heruntergeklappte Platte ein wenig hastig und war sichtlich verlegen. Henner tat, als habe er nichts gesehen. In der mittleren Vertiefung des altmodischen Kirschbaum-Möbels hatten seine scharfen Jägeraugen ein Bild entdeckt, handhoch, silbergerahmt. Wahrscheinlich Brigges Mann. Nun ja. Henner suchte nach seiner Zigarettentasche.

      Brigge nötigte ihn aufs Sofa, was er erst ablehnte, dann aber nicht bereute. Es saß sich wunderbar darin, weit besser als auf einer modernen Couch, zumal Brigge sich auf die Seitenlehne gesetzt hatte, während sie, ein wenig zurückgebeugt, aus einer kleinen Eckvitrine nach Gläsern und einer Flasche angelte. Es war sehr eng hier, aber keineswegs unangenehm.

      „Herein?“

      ,Sicherlich die Jungen!‘ dachte Henner erbittert, obwohl er sich hätte sagen müssen, daß diese bestimmt nicht geklopft hätten. Sie waren es auch nicht. Es war ein sehr großer, schlanker Herr mit schneeweißem, sorgfältig gescheiteltem Haar, das dem schmalen Schädel gut stand. Brigge stellte vor, Henner verstand den Namen nicht, nur daß ein ,von‘ davorstand, hörte er, und das hätte er auch so gemerkt. Brigge nannte den Besucher, Baron’. Sie erzählte einiges von ihm, daß er aus Ostpreußen stammte und hier mit dem Forstmeister gute Freundschaft hielte, so daß er immer ins Revier dürfte.

      „Er wird dich mitnehmen, nicht wahr, Baron?“ fragte sie freundlich. „Henner ist ein großer Nimrod vor dem Herrn, Sie werden sich herrlich mit ihm verstehen –“, sie unterbrach sich und fischte umständlich nach etwas, was seitlich hinter dem Sofa stehen mußte. „Henner kam ganz überraschend, denken Sie, Baron. Ja wir kennen uns von früher, ein alter Freund unseres Hauses.“

      Sie rückte den Strauß ein wenig weg, damit sich alle drei sehen konnten während der Unterhaltung. Dabei plauderte sie weiter. „Meine Mutter ist ganz außer sich vor Freude, daß er kam und daß sie ihn verwöhnen darf. Zehn Jahre ungefähr nicht gesehen, ein Wunder eigentlich, daß man einander noch erkannte –“, sie kniff Henner ein Auge und lachte. Er lachte nicht. Freund des Hauses – diese Art paßte ihm nicht. Hatte er das verdient?

      Brigge füllte die Gläser, und man trank. Erst waren beide etwas reserviert, dann kamen sie auf Jagdliches, und da tauten sie auf. Brigge schwieg. Sie hatte kleine Funken in den Augen.

      „Prost, meine sehr verehrte Schönste!“ sagte der Baron plötzlich, sich unterbrechend, und trank ihr zu, „liebe Frau Brigge –“

      „Kommt jetzt eine Rede?“ fragte Brigge belustigt.

      „Ach nein. Ich kann nicht reden. Ich kann nur handeln. Wir Ostpreußen sind so. Wenn ich mir vorstelle –“

      „Tun Sie es nicht, Baron. Keine Vorstellung, bitte! Ich habe übrigens einen Jägermeister da, einen viel besseren Tropfen als diesen Wacholder.“ Sie ging um den Tisch, öffnete den Sekretär und nahm eine Flasche heraus.

      „Den Jägern zu Ehren angeschafft“, lächelte sie und goß ein. „Prost, Jägermeister.“

      „Gehorsamsten Dank! Ich weiß die Huldigung zu würdigen. Frau Brigge hat eine entzückende Art, jedem das seine zuzuteilen“, sagte der Baron und sah Henner ein wenig mitleidig an. Der


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