Pferdeglück. Lise Gast

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Pferdeglück - Lise Gast


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Faust, Zeile eintausendeinhundertundelf. Nun laß es gut sein und gib Ruhe, wir freuen uns doch, daß du da bist. Schlecht siehst du übrigens aus, wir werden dich herausfüttern. Und ausruhen sollst du dich –“

      „Ich will –“

      „Er hat sich Urlaub genommen und kann eine Weile bleiben. Schön, Mutter, ja? Komm, wir machen ihm gleich das Zimmer zurecht. Dein Gepäck? Anselm kann es hinauftragen, wenn du es aus dem Wagen holst.“ Sie pfiff durch die Finger, konnte das noch wie früher. Anselm erschien mit einer erschreckenden Plötzlichkeit.

      „Ja, meine Söhne parieren. Wär’ schlimm, wenn’s nicht so wäre. Trag die Koffer rauf, Junge, der Herr – Onkel Henner könnt ihr zu ihm sagen, du hast doch nichts dagegen, Henner? – gibt sie dir. Ich geh’ inzwischen –“

      Es gelang ihr, Omme ins Haus zu ziehen, ohne daß Henner mitkam. Brigge drängte sie in die Küche und zog die Tür hinter sich zu. „Mutter, du mußt –“

      Es gab ein langes Hin und Her. Aber Brigge siegte. Wenn sie wirklich etwas wollte, siegte sie immer, ob die Töchter, die Söhne, die Mutter gegen sie standen. Sie sprach und sprach, lachte und weinte. Ja, sie weinte auch ein bißchen. Nachher ging sie strahlend vergnügt hinaus und feuerte den Waschkessel an. Nun hieß es nur noch, die Mädchen und die Gäste zu informieren – es waren lauter herzlich befreundete, andere gab es im Hause nicht – und sich dann auf sein gutes Glück zu verlassen.

      Es gelang. Die Mädchen freuten sich diebisch an dem Spaß, den ihre Mutter sich da ausgedacht hatte, und versprachen, eisern dicht zu halten. Brigge ging erleichtert und im Vollgefühl ihres Sieges zu Bett. Hauptsache, Henner blieb. Sie streckte sich genüßlich aus.

      Bis ihr kurz vor dem Einschlafen einfiel, daß sie ja vergessen hatte, mit den Jungen über diese schreckliche Geschichte zu sprechen, die sie in der Illustrierten gelesen hatte. Und von diesem Mann, den sie an der Oerze getroffen hatte und der sein Gesicht so auffallend verbarg. Sie mußte es morgen sofort nachholen, durfte es nicht vergessen. Sonst aber – ach ja, das Leben war doch schön. Und Henner trotz seiner Widerborstigkeit und Streitsucht ein wirklich netter Kerl, ein wirklich – netter – Sie schlief.

      Gisela und Schimmel hingegen schliefen noch nicht. Allzu aufregend war, was sie heute erlebt hatten: endlich einen Vater zu haben, der da war und mit dessen Person man sich auseinandersetzen konnte. Brigge hatte sie zwar zu Bett geschickt, aber schlafen konnten sie nicht.

      Sie besaßen zwei winzige Dachkämmerchen im Giebel des Hauses, nebeneinander gelegen, in der Mitte die Trennwand senkrecht, die seitlichen Wände schräg. Eine Verbindungstür gab es nicht, so hatten sie sich in die Trennwand, die aus einer Preßplatte bestand, ein etwa zwei Hände großes Loch herausgesägt, in der Höhe ihrer Gesichter, wenn sie in ihren Betten lagen. Durch das konnten sie sich unterhalten, wenn sie schlafengegangen waren. Wollten sie nichts voneinander wissen, so zogen sie die Vorhänge zu, die sie sich aus demselben Stoff aus dem ihr Bettzeug bestand, zurechtgemacht hatten; Giselas war rotkariert, Schimmels blau. Heute waren beide Vorhänge zurückgezogen.

      „Ich finde Vati prima, für sein Alter jedenfalls, bin nur gespannt, wie er reitet“, sagte Schimmel und angelte nach einem Kaugummi, den sie unter ihr Beistelltischen geklebt hatte, „jedenfalls gegen die Väter von denen aus meiner Klasse kann er sich sehen lassen.“

      „Gegen die ja,“ sagte Gisela von drüben. Sie hatte sich schon mit ihrem Einschlafbuch auf die Seite gerollt und blätterte. „Übrigens – ich hab’ morgen keine Schule. Das heißt, ich hab’, aber nur Zeichnen, die andern Stunden fallen aus, weil die Meyern krank ist. Wegen Zeichnen fahr’ ich nicht. Brigge schreibt mir sicher eine Entschuldigung.“

      „Du bist gemein“, rief Schimmel empört. „Nur wegen Vati. Ich weiß schon. Damit du dich bei ihm lieb Kind machen kannst, und ich bin nicht da.“

      „Lieb Kind nicht, aber – natürlich wegen Vati. Ich bin gespannt –“

      „Ich will auch – immer willst du –“, Schimmel kam gegen die Schwester nicht auf. Sie wußte nicht, ob deren Klassenlehrerin, also die Meyern, wirklich krank war, jedenfalls aber konnte sie nicht auch schwänzen. Hätte sie doch eher drangedacht!

      „Brigge schreibt dir keine Entschuldigung. Letztesmal, als das Turnier in Bispingen war und wir hin wollten –“

      „Da hat sie auch“, sagte Gisela, und man hörte richtig, wie sie grinste.

      „Eben! Aber sie hat auch gesagt: Das ist das letztemal!“

      „Das hat sie schon oft gesagt.“ Gisela lachte jetzt richtig schadenfroh und laut. Schimmel riß wütend den Vorhang vor. Aber was nützte das. Gisela würde morgen einen ganzen wunderbaren langen Tag mit Vati haben, und sie, Schimmel, mußte in die Schule. Es war so ungerecht auf der Welt und Gisela so gemein! Schimmel tastete sich lautlos aus dem Bett, schlich in den Bodenraum hinaus, wo hinter einem durchsichtigen Vorhang eine primitive Duschgelegenheit eingebaut war, und suchte. Einen Lappen, richtig naßgemacht, damit an Giselas Tür –

      Aber als sie die aufmachen wollte, war sie verschlossen. Gisela hatte vorgesorgt. Schimmel bewegte die Klinke wütend auf und ab, und Gisela drin lachte triumphierend. Schimmel schmiß, klatsch, den Lappen auf die Erde und kroch in ihr Bett, zerfallen mit der Welt. Gegen ältere Schwestern ist nun einmal kein Kraut gewachsen.

      *

      Brigge, Frühaufsteher von Natur und auch durch lebenslanges Training, war zeitig am Morgen schon putzmunter. Henner war ein Langschläfer, der bis Mittag liegen bleiben konnte, was ihr unmöglich gewesen wäre, und seine Leistungsspitze erst nachmittags erreichte. Dann allerdings wurde er unternehmend und hielt lange durch. Das wußte sie natürlich alles noch genau.

      Sie wußte auch, daß Henner, sobald er wach wurde, ans Weiterfahren denken würde. Dem mußte man zuvorkommen, und das tat man am besten mit einem solchen Frühstück.

      So werkelte sie also in der Küche und war ganz einverstanden, als Gisela hereinschlenderte und verkündete, sie habe heute keine Schule.

      „Gut, dann geh und deck den Tisch für die Gäste“, sagte Brigge zerstreut. „Jaja, ist schon gut, bekommst du. Nein, für Vati nicht mit, er frühstückt im Bett.“

      „Ätsch! Ich krieg’ die Entschuldigung!“ rief Gisela Schimmel noch zu, die gerade das Haus verließ, um zum Schulbus zu rennen. Schimmel tat, als habe sie es nicht gehört. Das aber war ein schwacher Trost.

      In der Küche sprühte Brigge sozusagen Funken vor Eifer. Es mußte ein Frühstück werden, wie es Henner seit Jahren nicht bekommen haben mochte, einfach unwiderstehlich, und so reichhaltig, daß es alle Lust aufzustehen einfach niederschlug. Ein internationales Frühstück – Grapefruitsaft, das war amerikanisch, und er war doch drüben gewesen. Dann Tee, Spiegeleier auf Speck und Toast, das war englisch, und schließlich zur Auswahl auch Kaffee wie in Deutschland, Schwarzbrot, Landbutter, weiches Ei. Vorzüglich. Niemand konnte nach solch einem Frühstück im Bett aufstehen, zumal die Zeitung dabeilag, was Henner sehr schätzte, vom Wegfahren sprechen. Es wäre stillos gewesen, und Henner hielt auf Stil.

      „Du wirst sehen, Vati bleibt!“ sagte Brigge, während sie alles zurechtstellte. „Wir bringen es ihm gemeinsam, du und ich, müssen nur lauern, wann er aufwacht. Wecken tun wir ihn nicht. Seid nur nett zu ihm, verstanden?“

      „Klar sind wir nett.“ Gisela lachte. Daß Erwachsene es doch nicht lassen konnten, einem immer wieder zu sagen, was sich von selbst verstand. Na ja, wahrscheinlich hing das mit der Verkalkung des Alters zusammen.

      Nun hieß es, den Zeitpunkt zu erwischen, an dem Henner erwachte. Es gelang Brigge. Auf ihren Wink hin ergriff Gisela das beladene Tablett und sie selbst die beiden Kannen, Kaffee und Tee. Zwei schöne Frauen, schweres Geschütz für einen noch verschlafenen Mann. Henner blinzelte, vermochte aber nicht zu knurren.

      „Wir gehen gleich wieder. Du kannst ganz in Ruhe frühstükken“, verhieß Brigge und stellte alles gefällig zurecht. Henner war ein Morgenschweiger (,Morgenmuffel’, hatte sie oft gedacht, es aber nicht ausgesprochen). „So, alles da? Gut, gut. Komm Gisela –“

      Sie


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