Pferdeglück. Lise Gast

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Pferdeglück - Lise Gast


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zu haben schienen. Dabei ärgerte er sich, daß es nichts zu ärgern gab; sein junger Mitarbeiter und Kompagnon schien sich gut zu bewähren. Also keinerlei Anlaß, als vielbeschäftigter Gechäftsmann mit bedauerndem Achselzucken abreisen zu müssen. Manchmal war es doch verteufelt dumm, daß das Leben einem freie Bahn gab, statt einen in eine neue Richtung zu zwingen.

      Er ging ein bißchen verloren umher und landete an der Reitbahn, wie zufällig, im Grunde natürlich, weil es ihn zu den Pferden zog, wenn ihn die Menschen enttäuschten. Zwei der weiblichen Gäste ritten. Er kannte sie noch nicht. Schimmel war dabei, sie hing sich sofort zutraulich bei Vati ein und fragte ihn aus. Henner antwortete. Wie von selbst ergab es sich, daß er den beiden Reitenden kleine Ratschläge und Anweisungen gab. Er fühlte, wie Schimmel vor Stolz glühte, als er das ruhig und sachgemäß tat. Die eine der Reiterinnen, eine schlanke, auf die Entfernung recht ansehnlich wirkende Person, ließ sich von ihm nach einer Weile die Bügel kürzer schnallen. Sie hatte dunkle Augen und ein bräunliches, gutgeschnittenes Gesicht. Nach einer Weile saß sie ab und ließ Schimmel reiten, die nur darauf gelauert hatte. Dann aber wollte sie den Prinz wiederhaben und springen, weil die andere Reiterin auch sprang. Das sah leicht und selbstverständlich aus, und sie sagte, sie wäre als Kind auch gesprungen, sogar ohne Sattel und Bügel.

      Schimmel saß gehorsam ab und legte das Rick niedriger. Es war klar, daß man dies sozusagen als ersten Versuch werten mußte, was hieß schon ,als Kind‘. Die andere Reiterin brachte die Mausi gut und flüssig hinüber. Fräulein Wiegand, wie Schimmel sie nannte, brannte darauf, es ihr auf Prinz nachzutun. Schimmel umspannte Vatis Handgelenk.

      „Er tut es manchmal nicht“, flüsterte sie, „er merkt genau, bei wem er es sich leisten kann, zu verweigern. Die kann doch nicht reiten, das sieht man doch!“

      „Wollen Sie wirklich? Vielleicht kennen Sie das Pferd noch nicht gut genug?“ fragte Henner vorsichtig.

      „Ach was, ich stamme aus Westfalen. Da kommt man sozusagen zu Pferd auf die Welt“, sagte sie, sich selbst überredend. „Und was liegt daran, wenn ich mir den Hals breche, um mich weint niemand, Angst jedenfalls hab’ ich nicht“, lächelte sie zu Henner hin, „heißt es nicht: Wirf dein Herz voran und spring nach?“

      Sie galoppierte an. Henner hatte ihr genau gesagt, daß sie erst treiben und kurz vor dem Sprung Luft geben und wie sie es nach dem Sprung wieder aufnehmen solle. Der Prinz kam gut aus und sprang. Fräulein Wiegand strahlte. Und Henner fiel ein Stein vom Herzen, denn er hatte sich ernstlich Sorgen gemacht.

      „Jetzt ich, Vati!“ bettelte Schimmel. Henner fühlte ein wenig Angst um sie, mochte es sich aber nicht anmerken lassen. ,Wenn sie ein Junge wäre, würde ich es auch erlauben. Außerdem tut sie es zweifellos auch, wenn keiner zusieht‘, dachte er. Ein Vater darf nicht ängstlich sein.

      Schimmel sprang. Sie sprang ganz anders als Fräulein Wiegand, das war natürlich nicht verwunderlich. Sie kannte das Pferd und saß nicht drauf, sondern war mit ihm verbunden, man sah das vor allem nach dem Sprung, als sie wie angesaugt in den Sitz glitt.

      „Darf ich mal ohne Sattel?“ fragte sie mit blinkenden Augen. Henner nickte. Sie nahmen den Sattel herunter, und Schimmel sprang, ohne seine Hilfe zu benötigen, auf den Pferderücken. Ihre nackten Beine schmiegten sich an das Fell.

      „Los, Prinz, nun wollen wir mal!“

      Es war eine Wonne, das zu sehen. Federleicht, mit kurzem Oberkörper und langen Beinen, das werden die besten Reiter. Henners Mund zog sich von einem Ohr zum andern vor Stolz. Und nun wollte er auch springen.

      Er sattelte wieder, ließ Prinz ein paar Runden im Schritt gehen, sprach mit ihm, bekam ihn gut an den Zügel. Dann rief er: „Leg auf! Einen Meter.“

      Schimmel und Fräulein Wiegand liefen und gehorchten. Sie blieben neben dem Rick stehen. Henner ließ den Prinz darübergehen. Der tat, als wären es höchstens siebzig. Aus den Augenwinkeln sah Henner, daß die Jungen auch, von irgendeinem Instikt angezogen, dastanden und ihn bewunderten. Sein Herz dehnte sich. Ach ja, das höchste Glück der Erde!

      Der Tag war doch nicht so schlecht. Während Schimmel und Peter die Pferde noch ein wenig im Schritt ritten, spazierte er mit Fräulein Wiegand ein Stück in den lockeren Wald. Sie machten einen kleinen Umweg und trafen gemeinsam hinter dem Haus auf Brigge. Henner erzählte, wie gut Fräulein Wiegand gesprungen sei, und Brigge freute sich und gratulierte. Trotzdem sagte sie noch: „Der Prinz verweigert manchmal ohne Grund. Er ist nicht zuverlässig. Kein Wunder, immerzu sitzen andere Leute auf ihm und oft Anfänger. Er denkt, dann kann er es sich leisten.“

      „Bei mir nicht“, strahlte Fräulein Wiegand, und Henner sekundierte ihr.

      An diesem Abend kam es nicht dazu, daß Henner und Brigge sich ins Schreibzimmer setzten. Es war einfach nicht möglich, mitunter ist das so. Fräulein Wiegand hatte ihr Schifferklavier dabei und spielte, auf der Bank vor dem Haus. Sie trug einen langhosigen, bunten Strandanzug, der über und über voller Blumen war, und es war, als blühte sie daraus auf, schmal und ein wenig fremd. Das Haar trug sie in halblangen Locken, die sich im Nacken teilten, wenn sie sich vorbeugte, während die große Ziehharmonika auf ihren schmalen Knien auseinander- und zusammenging. Sie spielte erst ein paar Volkslieder, bei denen auch die Kinder mitsangen, und dann andere, und plötzlich war sie in dem uralten, geheimnisvoll sentimentalen Walzer, der unter ihren braunen Fingern einen neuen, erregenden Charme bekam: Parlez moi d’amour.

      „Sie spielen wunderbar“, sagte Henner, als sie geendet hatte.

      Gisela sagte:

      „Fräulein Wiegand komponiert selbst. Und macht auch die Texte. Bitte, singen Sie doch mal eins von Ihren eigenen Liedern!“ Ihre Stimme klang klar und hell und jung neben der ein wenig verbrauchten, aber trotzdem oder gerade deshalb so reizvollen der älteren. Henner sah einen Augenblick zu ihr hin, dann blickte er wieder Fräulein Wiegand an.

      Sie lächelte. „Ach –“

      „Doch, bitte! Das Sie neulich in der Laube sangen!“

      Schimmel sekundierte. Fräulein Wiegand spielte eine kurze Einleitung und setzte dann ein, nebenbei und wie ungewollt, beim Kehrreim:

      „Drum denke und träume und bilde dir ein – –

      doch so, wie es war, wird es nie wieder sein – –“

      Sie sang drei Verse. Beim dritten hatten alle den Refrain begriffen und sangen ihn mit. Es war ein halb spöttisches, halb wehmütiges Lied.

      „Schön“, sagte Henner, aber weiter nichts. Der Text hatte ihn getroffen. War es Zufall, daß sie dies sang?

      „Und jetzt das lustige von dem Mann, der sich nie entscheiden kann!“ verlangte Schimmel stürmisch. „Bitte, Fräulein Wiegand!“

      Es wurde ein langer Abend. Längst war es dunkel, Sterne standen über dem Garten. Als sie aufbrachen, merkten sie, daß Brigge schon fort war. Henner bedauerte das.

      „Sie hat die Jungen vorhin abserviert“, sagte Gisela und legte die Decke des kleinen Tischchens zusammen, um sie mit hineinzunehmen. „Sicher ist sie noch wach.“

      Aber das Schreibzimmer war leer.

      „Mutter muß frühzeitig raus“, sagte Schimmel und gähnte herzerfrischend lang und laut. „Nacht, Vati.“

      Er fühlte einen weichen und frischen Kuß auf seiner Wange. Der Kuß und die junge Stimme gingen mit ihm in sein Zimmer und ließen sein Herz ein wenig zittern, zärtlich und weich. ,Die Töchter‘, dachte er, ,Schimmel, Gisela.‘ Ach nein, er blieb. Wann würde er wohl wieder einmal Gelegenheit haben, diese jungen Menschen ein wenig um sich zu haben? Schade, daß Brigge – aber diese Dame hatte doch eine sehr schöne und eigenartige Art zu singen. Was hier für Gäste herkamen! Drum denke und träume und bilde dir ein – –

      Er schloß rasch das Fenster.

      *

      „Wenn du mir schwörst, daß du es niemandem sagst, niemandem, dann zeige ich dir was!“

      „Ich halte doch den Mund, das weißt du!“

      „Nein,


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