Pferdeglück. Lise Gast

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Pferdeglück - Lise Gast


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behielt recht. Henner war wieder da.

      Am anderen Morgen war alles im Lot. Die Töchter, die vor seiner Zimmertür lauerten, durften kurz zu ihm hinein, und ihre Gegenwart tat ein übriges.

      Brigge beobachtete die drei und fand voller Erstaunen und Hochachtung, die sie allerdings verbarg, daß Henner etwas konnte, was die wenigsten Männer vermögen: Er konnte verlieren, und zwar mit Haltung. Ja, mit Humor. Er machte sich über sich selbst lustig. Die Mädchen lachten Tränen, als der Vater ihnen seine Bockigkeit und die darauffolgende Angst schilderte. Brigge empfand ein deutlich schlechtes Gewissen. In dem dunklen Drange, ihm etwas Gutes anzutun – ach, er war doch in Wahrheit ein netter Kerl! –, ging sie in den Garten und schnitt einen großen Strauß Dahlien. Gerade kam der Pastor, bei dem Schimmel Konfirmandenstunde hatte, vorbei. Er bewunderte die Blumen so sehr, daß Brigge sich gedrängt fühlte, ihm den Strauß zu schenken. Sie sah ihm wehmütig nach, wie er mit der bunten Pracht verschwand.

      Nun hätte sie ja einen zweiten Strauß schneiden, hätte zu Henner hineingehen, ihn beim Kopf nehmen und ihm sagen können …

      Auf einmal erschien ihr das ganze dumm und gefährlich. Henner war ein Mann, ein richtiger, ganzer Kerl, trotz seiner kleinen Schwächen. Vielleicht verletzte sie ihn ernsthaft, ja, tödlich, vielleicht war diese törichte Spielerei das, was ihn endgültig von ihr schied? Sie lief in plötzlicher Hast ins Haus, die Treppe hinauf, erreichte atemlos die Tür, klopfte. Kein Herein. Als sie vorsichtig öffnete, sah das Zimmer ihr leer und höhnisch entgegen.

      „Vati? Vati ist vorhin mit Fräulein Wiegand weggegangen. Nein, nicht reiten. Sie sagten etwas von einem langen Spaziergang“, berichtete Gisela von ihren Schularbeiten aus, die sie in der Laube hinterm Haus zu machen vorgab. In Wirklichkeit aß sie Birnen, die der alte Baum über ihr in verschwenderischer Fülle abgab, und bastelte an zwei Antwortbriefen. Der eine betraf Herrn Instermann, den sie in Gedanken längst Fred nannte und sich deshalb diesbezüglich immer wieder verschrieb, so daß der Brief sehr lange brauchte, bis er fertig war, der andere an Benno. Benno ganz abzuhängen, weil Fred aufgetaucht war, widerstrebte Giselas Gerechtigkeitsgefühl. Außerdem war Benno in ihrer Klasse, also in Celle, während Fred – nun, wer wußte, wann ein tyrannischer Vater ihn wieder zu sich und von dieser schönen kleinen Stadt fortbefahl? Ein Mitschüler in der Hand ist besser als ein „richtiger“ Mann mit Kamera und Beziehungen zu großen Zeitschriften auf dem Dach …

      Gisela wußte, daß Benno sie liebte, und sie besaß den untrüglichen weiblichen Instinkt, daß man solche Männer, auch wenn man sie nicht widerliebt, gut behandeln muß. Natürlich nicht zu gut, aber beileibe nicht ruppig. Ein Quentchen Ironie, viel herablassende Freundlichkeit und ein Schuß Versprechen, das man nie halten würde. Gisela war siebzehn Jahre alt und völlig unerfahren, aber durchaus richtig ausgerichtet, was das Verhalten Männern gegenüber betraf. Kein Wunder, hübsch wie sie war.

      Sie war also sehr mit ihren Angelegenheiten beschäftigt und merkte nicht, daß Brigge nach ihrer Antwort hin nachdenklich und in durchaus gemäßigtem Tempo den Garten durchquerte. Jeder Mensch ist von seinen eigenen Sorgen ausgefüllt.

      Es war ein traumhaft schöner Tag. Der Himmel hoch und klar, wie er es nur im Herbst sein kann, die Luft durchsichtig und so leicht zu atmen, daß sich einem die Brust weitete. Brigge liebte den Herbst; immer erst lebte sie richtig auf, wenn diese kristallenen Tage kamen. Dennoch oder gerade deshalb war sie unruhig. Unruhig, sehnsüchtig und ein wenig schwach. Bisher war sie frechvergnügt und ihrer Sache sicher gewesen. Nein, sie konnte jetzt unmöglich in die Brombeeren gehen, am Ende traf sie die beiden, und das hätte nach Absicht ausgesehen. Kurzentschlossen nahm sie das Fahrrad und fuhr an die Oerze, also in genau entgegengesetzter Richtung. Gisela hatte ihr gesagt, wohin die beiden sich gewandt hatten.

      Das kalte Wasser tat gut. Brigge tauchte und prustete und schwamm stromab, lief am Ufer zurück. Schließlich saß sie am Rande des kleinen Sandbruchs, der hier zwischen Kiefern lag und vor jeder Sicht so schön gedeckt war, die nackten Beine hineinhängend, das Haar, das natürlich naß geworden war, um die Schultern gebreitet. Es war doch recht lästig; es kurz zu tragen, hatte bestimmt viele Vorteile. So, wie Fräulein Wiegand es trug – ach, da war sie glücklich wieder in Gedanken dort, wo sie nicht sein wollte. Gut, daß jemand dazwischenkam, zwischen sie selbst und diese Gedanken, wenn es auch nur der Baron war.

      Sein bewundernder Blick tat ihrem wunden Herzen wohl. Trotzdem war es ihr peinlich, wie er sie hier traf, barfuß und mit offenem Haar. Er setzte sich ihr gegenüber, sagte erst nichts, stopfte seine Pfeife. Und dann fragte er geradezu:

      „Wer ist das eigentlich – ich meine, der Herr, mit dem wir neulich zusammensaßen? Er wohnt wohl auch bei Ihnen, so sagte man mir im Ort …“

      „Mein früherer Mann“, sagte Brigge trotzig und sah ihn an. Der Baron warf auf, wie der Waidmann zu sagen pflegt.

      „Ja. Er kam überraschend, er ist sehr nett zu den Mädchen. Sie hängen an ihm wie die Kletten. Natürlich wohnt er bei uns, warum denn nicht? Alle Gäste finden ihn nett.“ Sie schwieg. Dann, als auch er schwieg, setzte sie herausfordernd hinzu: „Und Sie? Finden Sie ihn nicht auch nett?“

      „Das ist ein wenig viel verlangt“, sagte der Baron langsam. Er war mit seiner Pfeife fertig, zündete sie aber nicht an, sondern legte sie weg. Sah Brigge an – seine Zähne waren sehr weiß und die Augen dunkel. Brigge fühlte sich vor ihm seltsam schuldbewußt, wollte das aber nicht wahrhaben. Konnte sie nicht in ihrer Pension aufnehmen, wer ihr paßte?

      Sie sagte das, aber es klang unsicher. Überhaupt hatte sie heute das Gefühl, immerzu alles falsch zu machen; es gibt solche Tage.

      „Wir wollen lieber gehen“, sagte sie und stand auf – er schwieg und erhob sich auch. Als sie heimkam – der Baron hatte ihr Rad geschoben und sich an der Gartentür verabschiedet –, saß Henner vor dem Hause. Fräulein Wiegand war nicht zu sehen. Brigge schlenderte mit einem leicht beklommenen, aber möglichst freundlichen Gruß an ihm vorbei. Sie suchte die Mädchen. Erst mußte sie mit ihnen sprechen, ehe sie Henner sagen konnte, was endlich gesagt werden mußte –

      Wie das meist ist, fand sie sie nicht. Gisela hatte Flötenstunde, wurde ihr später gesagt, und Schimmel war mit einem der Gäste ausgeritten. Bei Tisch – Henner aß heute an der allgemeinen Tafel mit – ließ sie wie von ungefähr fallen, sie habe noch im Schreibzimmer zu tun. So ging sie, nachdem sie alles Nötige erledigt hatte, dorthin. Mit den Töchtern zu sprechen hatte sich nicht ergeben – nun, so sprach sie eben erst mit Henner.

      Sie wartete lange. Der frühe Abend war schon da, sie hatte kein Licht gemacht. Henner mußte ihren Wink verstanden haben, warum kam er nicht? Wie sie es ihm sagen würde, war ihr noch unklar, sie saß an ihrem Sekretär und dachte an ihn, versuchte, ihn mit aller Kraft ihres Herzens herzuzwingen. Gedanken sind magisch, Gedanken vermögen viel, Wünsche noch mehr.

      Sie dachte auch an damals, als sie und Henner einander kennenlernten. Es war nun so viele Jahre her, achtzehn Jahre, fast zwei Jahrzehnte. Aber es war ihr alles wieder so lebendig und gegenwärtig, als wäre sie noch die Brigge von damals.

      Sankt Peter, Geruch von Meer und Salz, Tang und Teer, und Pferde! Hufe, die lautlos im lockeren Sand aufsetzten oder platschend ins seichte Wasser tauchten. Weiche, schnuppernde Pferdenasen, die den Handteller nach Zucker abtasteten, blanke Hälse, die man tätschelte, Hufe, die ausgekratzt, Trensen, die ins Maul geschmeichelt wurden. Brigge saß mit geschlossenen Augen und fühlte die Atmosphäre jener Tage wieder erstehen, als seien nicht einmal achtzehn Tage seit damals vergangen.

      Und dann war Henner gekommen. Sehr schneidig, sehr überlegen, sehr sicher – er saß schon damals zu Pferde wie gemalt. Sie hatte sich mächtig über ihn geärgert, wie er dastand und ihr zusah, während sie sich auf dem Zirkel abquälte. Sie hatte den „Wirbel“, ein Pferd, mit dem sie trotz unsäglicher Mühe einfach nicht einig wurde. Und das Schlimmste: Henner trug ein Einglas. Er sah wahrhaftig aus wie die lebendig gewordene Angabe.

      „Sie stehen ja in den Bügeln“, sagte er einmal zu ihr, „wollen Sie Jockey werden? Man muß im Sattel kleben, den Sattel auswischen, auch im Galopp, gerade im Galopp. Mit dem Pferd gehen in der Bewegung, jeden Galoppsprung herausdrücken –“, Brigge war gerade auf dem Punkt angekommen,


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