Pferdeglück. Lise Gast

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Pferdeglück - Lise Gast


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die grüne Heide weiß,

      geht die Mutter gar nichts an,

      niemand weiß es außer mir

      und dem jungen Jägersmann …“

      Jung. Zweiunddreißig oder dreißig – war das ein solcher Unterschied? Fred oder Jo – dieses Problem war wichtiger. Am besten, man entschied sich zunächst mal gar nicht und behielt beide im Auge – – –

      *

      Brigge hatte viel zu tun. Die Wäsche, die Einkäufe, laufende Schreibereien, die Pferde. Die sollten eigentlich die beiden Mädchen ganz allein versorgen, aber Brigge tat gerade diese Arbeit so gern, daß sie die Töchter meist etwas später weckte und sagte: „Lauft nur, daß ihr den Bus kriegt. Ich mach’ den Stall schon.“ Brigge stand gern früh auf. Henner hörte ihre Stimme durch den Garten klingen, sie war fröhlich und in sich ruhend, irgendwie in Ordnung, während er sich noch im Bett streckte. Wenn sie sich seinem Fenster näherte, wurde sie leiser – nun ja, man mußte auf seine Gäste Rücksicht nehmen. Ob der Betrieb hier auch im Winter weiterlief?

      Henner hatte nicht viel mitgekriegt von den wirtschaftlichen Verhältnissen dieser kleinen „Reiterpension Heidehof“. Er mochte nicht fragen. Es kam ihm indiskret und ihm nicht zustehend vor. Dabei – Herrgott, man war einmal miteinander verheiratet gewesen, durfte man da nicht Interesse zeigen? Henner fand das empörend und bedauerte nur, keinen zu haben, gegen den sich diese Empörung richten könnte.

      Außerdem fand er nach wie vor, daß die Jungen an einer viel zu langen Longe liefen. Der Mutter parierten sie ja soweit – was man hier Parieren nannte – aber … nun, es mußte wohl am Vater liegen, der zu selten da war. Einmal brachte Henner die Rede auf ihn, als er mit Omme allein war, irgendwie mußte doch etwas über den Vater der Buben zu erfahren sein.

      Aber da erfuhr er nicht viel. Omme war eine vertrackte Person, die auch heute noch mit einem Mann machte, was sie wollte – wenn sie wollte. Sie hatte gleichzeitig Charme und Persönlichkeit, und dazu war sie verteufelt gescheit.

      Eine nicht einfache Mischung, in der Tat. Henner war nachher so klug wie vorher.

      Es hatte in der Nacht geregnet, nun war es wieder warm und sonnig.

      „Pilzwetter“, sagte Schimmel und kam am Nachmittag mit ihrem bunten Halstüchlein voller Pfifferlinge heim. „Nur so, in zehn Minuten. Es gibt massig.“ Sie liebte vor allem Pfifferlinge, hatte als Kind ein Bilderbuch besessen, in dem es hieß:

      „Die kleinen Pfifferlinge

      sind immer guter Dinge,

      sind immer froh und heiter,

      und wachsen lustig weiter.“

      „Danke dir, die kriegt Vati. Er ist ein großer Pilzfreund wie eigentlich alle Jäger“, sagte Brigge und nahm ihr den goldbraunen Segen ab. Gerade guckte Henner in die Küche.

      „Wie schön – wir wollen eben ein Stück gehen, Fräulein Wiegand und ich. Sollen wir Pilze mitbringen?“

      „Natürlich! Jede Menge!“

      Henner erbat sich ein Netz. Brigge wollte ihm ein Körbchen geben, aber er wies es zurück.

      „Geben Sie es mir, ich will mit“, sagte Fräulein Wiegand.

      Brigge lachte.

      „Die Jungen können mitgehen, sie wissen die besten Plätze.“

      Die Jungen – na, auch gut. Sie konnten ja die Beute dann tragen. Peter hopste mit seinem verbundenen Fuß aufgeregt vorneweg, Anselm folgte dem Kleineren. Henner ging neben Fräulein Wiegand.

      „Hübsche Bengel, nicht?“ fragte sie und deutete mit dem Kinn auf die Jungen.

      „Ja, besonders der ältere. Er erinnert mich an jemanden, ich komme nur nicht drauf, an wen. Kennen Sie das Gefühl? Es kann einen wahnsinnig machen.“ In diesem Augenblick erreichte Brigge ihn, um ihm ein zweites Netz mitzugeben. Das erste sei zu weitmaschig, kleine Pilze würden durchfallen.

      „Hier! Nimm das. Ihr findet sicher viele. Aber nur die guten nehmen, verstanden?“

      „Ja, danke. Du, Brigge, ich sagte eben zu Fräulein Wiegand, daß Anselm mich so stark an jemanden erinnert. Kannst du mir nicht helfen, an wen? Es liegt mir auf der Zunge.“

      „Nein, da kann ich dir nicht helfen“, sagte Brigge und lachte. Sie lachte, daß ihre Augen zu schmalen Schlitzen wurden über den festen braunen Wangen. Henner fand, daß eigentlich kein Grund zur Heiterkeit vorhanden sei.

      Sie merkte es und versuchte, ernsthaft auszusehen.

      „Entschuldige. Aber nun los. Und viel Vergnügen!“

      Sie stand und winkte ihnen nach, trocknete sich dann mit dem Zipfel ihres Kopftuchs die Augen. Henner fühlte sich durch ihren Lachausbruch etwas gestört. Ihm wäre wohler gewesen, wenn sie ihnen nicht nachgewinkt und nicht so unbändig – er dachte ,zügellos‘ – gelacht hätte. Na ja, Frauen, unberechenbar und schwer zu verstehen.

      Mit Fräulein Wiegand war es leichter, auszukommen. Sie hatte eine merkwürdig lässige Art, das Leben zu nehmen oder wenigstens darüber zu sprechen. Nicht snobistisch, aber beinahe, nicht negierend, aber manchmal etwas wegwerfend. Nichts ernst zu nehmen, weder sich noch ihre Arbeit, weder die einzelnen noch die Ideale der Menschheit. So ähnlich waren auch die Texte der Lieder, die sie selbst schrieb und selbst vertonte. Henner, mit seiner zur Zeit so bedauerlich zwiegeteilten Seele, empfand das als angenehm, ja, als heilsam. So ähnlich, wie Jod auf einer offenen Wunde brennt, aber man fühlt, daß es gut tut. Warum war eigentlich seine Seele so halbiert?

      Unsinn, darüber zu grübeln. Er gab sich einen Stoß und war zwanzig Minuten lang der bezauberndste Plauderer, den man sich denken konnte; das lag ihm, wenn er eine gute Zuhörerin hatte. Dann aber fanden sie Pilze, und er brauchte seine geistigen Reserven nicht weiter anzugreifen.

      Fräulein Wiegand war übrigens hier, wie es schien, Kennerin. Sie schnitt jedenfalls ab, was ihr unters Messer kam und was ihm, der doch wahrhaftig den Wald und seine Erzeugnisse kannte, Abschaum und Teufelei dünkte. Perlpilze, Hallimasch, Totentrompete – sein Haar sträubte sich allein schon beim Anblick dieses Pilzes, vielmehr noch, als er den Namen hörte. Aber Fräulein Wiegand lachte nur und hatte so satanisch rote Lippen, freilich gemalte, aber gut gemalte, und solch eine Sicherheit, daß die seine zu wackeln begann. Wußte sie es wirklich besser? Die Jungen schwärmten vor und hinter ihnen durch den Wald, machten jeden Weg dreimal wie Hündchen und kündigten ihr Nahen immer durch aufgeregtes Schreien an. Radau im Wald geht jedoch jedem Waidmann auf die Nerven und ihm der Lärm der Bengel besonders. So war Henner, als das Netz gefüllt war, etwas erschöpft, teils von der Pilzernte, teils von den Jungen. Zu Hause ging der Kampf dann erst recht los. Brigge weigerte sich rundweg „das Zeug“ in die Küche zu nehmen, sie hielt sich an Rotkappen und feucht lackierte Butterpilze, die ihre Söhne brachten, und natürlich Stein- und Semmelpilze. Alles andere – „ohne mich!“, sagte sie.

      Das fand Henner nun wieder übertrieben. Sicher, bis zu einem gewissen Grade war er ihrer Meinung, aber man brauchte ja das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Dazu hatte Brigge immer geneigt. Und Fräulein Wiegands verblüffende Sicherheit machte ihn stutzig. Er kam dazu, als sie ihre Beute selbst putzte und schmorte, und sie machte es trotz der roten Tigerkrallen äußerst appetitlich. Es wurde ein tüchtiges Pfännchen voll, und sie war Eva genug, Henner mit dem harmlosesten Gesicht der Welt einzuladen, ob er nicht mitessen wollte.

      O Schlange! Vorhin hatte er ihr, Brigge gegenüber, beigestanden, konnte er nun kneifen? Ritterlichkeit gegen Vergiftungsangst, Rechthaberei, Schadenfreude und Rachegelüste – Herrgott, wer findet da noch durch! Kurz und schlecht, Henner aß, und schon am Abend war ihm hundsmiserabel.

      „So, das kommt davon“, sagte Brigge, der er sich – ganz kleiner Junge mit Bauchweh – anvertraut hatte, und das mußte sie sagen, sonst wäre sie unweigerlich in Atome zersprungen. Sonst aber war sie freundlich und hilfsbereit, bezweifelte nun ihrerseits eine Vergiftung, zumal sie sah, wie fidel und munter Fräulein Wiegand herumspazierte,


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