Pferdeglück. Lise Gast

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Pferdeglück - Lise Gast


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ein dutzendmal geknipst hatte. Er schüttelte den Kopf.

      „Leider nein. Aber ich arbeite für eine bekannte Zeitschrift, die Sie sicherlich auch schon oft gelesen haben –“, er nannte den Titel, und Gisela strahlte auf.

      „Komm ich da rein?“

      „Moment mal.“ Er hatte den Apparat schon wieder im Anschlag. Es war einer von denen, die man in Augenhöhe hält und deshalb seine eigene Haltung dauernd vom Kniebeugen bis zum Zehengang wechseln muß, ein äußerst gesunder Apparat also, wenn man ihn vom Standpunkt der Leibesübung aus betrachtete. Diesmal wollte der Besitzer dieses Zauberkästleins Giselas Gesichtsausdruck festhalten, der zum erstenmal, seit er ihn ins Auge gefaßt hatte, unbefangen, mit rund aufgerissenen Augen, kindlich und zugleich sehr weiblich war, mit einem Wort, bezaubernd. Das Gesicht des Knipsenden strahlte auch entsprechend, als es diesmal wieder dahinter zum Vorschein kam.

      „Tausend Dank, herrlich, das ist ein Aufhänger, so wahr ich Fred Instermann heiße.“

      „Was heißt Aufhänger?“ fragte Gisela mißtrauisch. Es klang nicht gerade schmeichelhaft, fand sie. Er erklärte eifrig, und dann sagte er:

      „Wollen wir – oder haben Sie keine Zeit? Ich muß unbedingt etwas essen. Kann man hier nicht irgendwo hübsch draußen sitzen, Sie kennen die Stadt doch?“

      Oh, Gisela wußte schon, wo man hübsch sitzen konnte! Und sie hatte auch Lust dazu …

      „Ich muß aber zum Bus“, sagte sie so wohlerzogen, daß er lachen mußte.

      „Geht nicht auch ein späterer?“ fragte er und wartete auf keine Antwort. Gisela verstand es ausgezeichnet, Dinge zu sagen, ohne sie auszusprechen.

      Sie aßen, nicht großartig, aber nett und gepflegt im Vorgarten eines kleinen Lokals, wo die einzelnen Tische von Efeuwänden abgeteilt waren und man Herbstsonne und Vorübergehende und das ganze, wunderschöne und junge Leben so richtig genießen konnte. Dabei erzählten sie. Gisela war sparsam mit Mitteilungen – so erwähnte sie beispielsweise nicht, daß sie drei Geschwister hatte. Hier machte es sich viel besser, man wirkte als einzige Tochter. Dagegen sprach sie von den eigenen Pferden und vom Reiten so nebenbei, wie das nur ganz vornehme Leute tun. In der Pferdestadt Celle konnte man von vornherein damit rechnen, daß dafür Antenne da war.

      Es war.

      „Ich möchte Sie sehr gern mal zu Pferde haben“, sagte er und vergaß vor lauter Eifer das Essen, „aber nicht in Lack und Claque, o nein. In Jeans, in denen, die Sie jetzt tragen, barfuß, ohne Bügel, Rollkragenpulli, dahinter große weiße Wolken. Wissen Sie, so halb nach oben gegen den Himmel aufgenommen, und Sie verträumt und versonnen –“, er stieß die Worchester-Sauce um, während er mit den Händen das Bild formte. „Hoppla, na – verstehen Sie? – Fühlen Sie, was ich meine?“

      Gisela verstand und fühlte.

      „Wir wohnen aber nicht hier. Wir wohnen – in Hermannsburg“, – so, heraus mußte es.

      „Das ist doch nicht weit von hier?“ Er sah sie beschwörend an.

      „Solch ein fotogenes Gesicht – Sie müssen wissen, ich bin eigentlich noch gar nicht, was ich sein möchte. Ich meine, ich soll Kaufmann werden, meines Vaters Geschäft übernehmen, aber ich möchte – ich will –“

      ,Er ist viel ehrlicher als ich‘, dachte Gisela und schämte sich drei Sekunden lang – und das war schon viel. ,Man müßte ebenso ehrlich sein –‘

      „Oh, ich verstehe Sie“, hörte sie sich sagen, „mir geht es ja ähnlich. Ich soll – mein Vater ist auch Kaufmann – wie gut, daß man das wußte und daß es diesen Vater seit kurzem wieder sehr konkret gab – „ich soll auf die Handelsschule und sobald als möglich seine rechte Hand werden. Dabei möchte ich lieber in eine Schauspielschule –“, nicht zum Film, das wollten alle. Schauspielunterricht, das zeigte, wie heilig ernst einem die Sache war. „Wenn Sie ahnten, wie ich Kleist liebe –“, sie machte große, feuchte Augen. Das kann man. Jedenfalls konnte Gisela es.

      Darüber läßt sich eine Weile reden, wenn man Kleist in der Schule durchgekaut hat. Alle Rollen sind einem gegenwärtig und Jos Auffassung des Stücks konnte man ja getrost als die eigene servieren. Er horchte lange und intensiv zu.

      „Wie nahe man sich kommen kann, wenn man ein ähnliches Geschick trägt“, murmelte er, ehe er aufstand, um zu bezahlen. Dann setzte er sich wieder, faltete die Hände auf dem Tischtuch, während er die Arme weit ausgebreitet darauf liegen hatte, und beugte sich über den Tisch zu ihr hinüber. Sie sah, daß er wunderschöne, hellbraune Augen hatte mit goldenen Tupfen darin. Sein Gesicht war so aufgetan und gut, daß es ihr beinah leid tat, so geschwindelt zu haben.

      „Darf ich Sie Wiedersehen?“ fragte er, gleichzeitig bescheiden und dringlich, „darf ich – es liegt mir so viel dran! Ich könnte Ihnen natürlich auch Abzüge schicken und meinen Namen draufschreiben nebst Adresse und Sie bitten, mir zu antworten, wie Ihnen die Bilder gefallen. Sie kennen ja die Masche. Aber ich möchte – ich möchte –“

      Er schwieg eine Weile und sah auf das Tischtuch herunter. Dann fuhr er fort, hastig, als wollte er es schnell hinter sich haben: „Ich bin nicht mehr jung, ich meine – wenn Sie das nicht stören würde –“

      „Wie alt denn?“ fragte Gisela kindlich. Sie fand, hier müßte man von vornherein klaren Wein einschenken.

      Er murmelte beschämt: „Zweiunddreißig.“

      Zweiunddreißig. Fünfzehn Jahre älter als sie. Fünfzehn – zwei Jahre älter als Jo. Und den fanden viele aus der Klasse schon verkalkt, besonders die Jungen. Aber er sah jung aus, der Mann ihr gegenüber, er hatte gar keine Falten in den Augenwinkeln und noch alle Haare, überhaupt keine Geheimratsecken. Vielleicht konnte er sogar noch schwimmen und skilaufen, von reiten und radeln gar nicht zu reden. Reiten taten manche bis sechzig, Dressur jedenfalls. Aber wenn er ritte, hätte er vorhin anders reagiert, das hatte sie sicher im Gefühl.

      „Machen Sie sich nichts draus“, sagte sie deshalb rasch entschlossen und herzhaft, „es gibt auch nette ältere Leute. Ja, wirklich, wir haben einen Lehrer – er ist allerdings etwas jünger als Sie, aber soweit ganz prima –“

      Um seinen Mund zuckte es, er verbarg es mit Mühe.

      „Wie schön, daß Sie so denken“, sagte er erleichtert, „und wie ist es mit einem Wiedersehen? Wann? Und wo? Ich werde den Film sofort entwickeln und kann Ihnen die Bilder spätestens – spätestens –“, er rechnete. Sie wartete. Dann verabredeten sie das Nötige, und er brachte sie an den Bus. Darin traf sie tatsächlich Irmgard, die in Bergen, also auf halbem Wege, wohnte und mit der sie gewöhnlich fuhr. Wie kam es, daß diese heute auch den späteren Bus genommen hatte?

      „Bin ich dir Rechenschaft schuldig?“ fragte Irmgard schnippisch, als sie losgefahren waren und Gisela sie darüber zur Rede stellte. „Wer war übrigens dieser Scheich, der dich da mit den Augen fraß?“

      „Scheich? Ein sehr netter junger Mann.“ Ganz wenig hatte sie vor „junger“ gezögert, kaum merklich. Irmgard war das nicht ganz entgangen.

      „Ja, jung“, sagte sie gedehnt und merklich geringschätzig, so daß Gisela rot vor Zorn wurde.

      „Denk bloß nicht, daß – übrigens finde ich schon lange, daß dieses grüne Gemüse mir zum Hals heraushängt, Benno und Konsorten. Ist nichts, kann nichts, weiß nichts und hat die große Klappe. Übrigens ist dieser Fotograf, ätsch. Hat mindestens fünf Filme von mir geknipst, übermorgen krieg’ ich die Bilder. Und er arbeitet für ,Film und Frau‘ –“

      So, da hatte es Irmgard. Sie zeigte sich auch beeindruckt, ja, kleinlaut. Ihre Antwort war nur ein schwaches Rückzugsgefecht. „Trotzdem, ich weiß nicht –“, murmelte sie. „Bei unseren Jungen weiß man doch, woran man ist.“

      Gisela stieß verächtlich die Luft durch die Nase. Da kam schon Bergen, und Irmgard stieg aus. Gisela fühlte sich als Siegerin. Sie fuhr weiter, im Stehen, die Hand in eine der Lederschlaufen am Dach des Busses gehängt und den Kopf an den Arm geschmiegt. Dabei


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