Wer baut die Bahn?. Rudolf Stratz

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Wer baut die Bahn? - Rudolf Stratz


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Die bejahrte Südfranzösin trug zwei schwarze Schnurrbartfliegen an den Mundwinkeln. Sie legte eine Patience und antwortete nicht.

      „Was macht die Seidenfabrik da draussen, meine Alte?“ Die Froidure trennte sich nun auch von ihrer weissen Bluse und stand in knappem Korsett.

      „Ich habe die Griechinnen und Armenierinnen jetzt links gesetzt!“ Die alte Dame grübelte, die Brille auf der Nase, über dem Pikbuben. „Und die Türkenmädchen rechts. Sie fischen die Kokons langsamer heraus, wegen der Schleier vor der Nase! Ah — man spinnt keine Seide dabei, mein Hühnchen!“

      Die kleine, zierliche Froidure lachte nur und liess ihren Rock zu Boden gleiten. Sie wusste: die strenge Matrone im gelben Lampenlicht verdankte diese Pfründe draussen am Marmarameer, diese einträgliche Fabrik voll Mädchen, Maden und Maulbeerblätter, der Gnade Abd ul Hamids als eine der gewiegtesten Spioninnen des Jildis-Kiosk, dem ja auch Claire Froidures Brotherr Schükri Pascha und sein ganzer Konak mit Leib und Seele dienten.

      „Man wird dich noch einmal in einem Sack im Bosporus ersäufen, teure Dicke!“ sagte sie kindlich. Sie hatte ihre Stiefelchen aufgeknöpft und trat in weissem Negligé vor den Schrankspiegel und betrachtete sich wohlgefällig, die Hände in den Hüften.

      Dann öffnete sie das Spind und kramte hinter der offenen Tür herum. Als sie wieder zum Vorschein kam, stand da ein schmalschultriger, schmächtiger, kaum mittelgrosser junger türkischer Stutzer von modernem Schlag, in der europäischen Tracht eines Stambul-Efendi, in langem, schwarzem, bis zum Kinn zugeknöpftem Rock, langen schwarzen Hosen, Lackstiefeln, einen hohen purpurnen Tarbusch auf dem dunkeln Pariser Kopf. Die Alte betrachtete sie missbilligend.

      „Läufst du wieder zu deinem Geliebten?“

      „Ja — glaubst du, ich will so beten gehen?“

      „Was hat nur dieser Mensch für eine Macht über dich?“

      Die Froidure, als Jungtürke, ein Bambusstöckchen in der Hand, sah traurig vor sich hin.

      „Ich muss ja wohl!“ sagte sie langsam, in Gedanken. Und dann, erschrocken: „Mein Gott: Ich muss mich eilen!“

      Sie lief davon. Die Kartenlegerin liess den Pikbuben fallen. Sie schaute ihr über die Brille nach.

      „Und das alles wegen eines Kellners!“ schrie sie empört. „Wegen eines Kellners aus Marseille! Wegen eines Oberkellners im Restaurant Lebon!“

      Die Froidure hörte es nicht mehr. Sie war schon draussen in Galatas krummen und steilen Gassengeheimnissen. Sie klomm auf glitschigen Treppenstufen, zwischen schwärzlichen Schlammbächen und strohgelb winselnden Pflasternestern junger wilder Hunde, über Gemüsestrünke, Hühnerfedern, Milchziegenmist, empor zur Höhe Peras, des Frankenviertels.

      Der schmächtige Stambul-Efendi schritt, zierlich die Lackschuhspitzen auswärts setzend, mit dem Stöckchen wippend, durch die Grosse Strasse Peras. Hier begann Europa. Hier lagen inmitten von Gärten die Paläste der fremden Diplomaten mit den Gesandtschaftskirchen und den Postämtern der einzelnen Nationen. Selten im Gewimmel der roten Fesse und Strohhüte ein Turban. Alle hundert Schritte nur einmal zwischen den farblosen Röcken und Hosen des Abendlandes die weiss watschelnde Stoffglocke einer verschleierten Frau.

      An den paar europäischen Gasthäusern wandelte der kleine bartlose Efendi vorbei — dem „Byzantiner Hof“, dem „Hotel England“. An dem vornehmen Restaurant Lebon. Die „Grosse“ — zum Teil beängstigend enge — Strasse von Pera nahm kein Ende. Zwei hellstrahlende Portale lagen da einander gegenüber — links der Kristallpalast, rechts die „Concordia“.

      Die Froidure trat in den Tingeltangel zur Linken. Die roten Tarbusche der Peraer Lebewelt leuchteten hundertfach an den enggedrängten Tischen des grossen, schmierigen Saals. Durch das Stimmengewirr in zehn Sprachen schmetterte und fiedelte eine böhmische Damenkapelle in ungarisch-mährischer Phantasietracht. Eine nicht mehr junge Person mit feurigen Augen in dem weissgepuderten, fanierten Gesicht schwang schmissig, mit der Verve so mancher Jahre, den Taktstock durch den bläulichen Rauch.

      Der schmalschultrige Stambul-Efendi drängte sich ortskundig zwischen den Stühlen durch den Saal, nickte an dessen Rückwand ein paar dort vor einer Tür Posten stehenden Galgenvögeln vertraulich zu und stieg eine Treppe zu den Kellerräumen hinab. Hier umhockte und umstand, drei Mann tief, die Levante die wackligen Holztische, auf denen die Harken zwischen schwärzlichen Fingernägeln die weissen Medschidjes, die türkischen Pfundstücke, die goldenen Fransiz und Ingliz Liras Frankreichs und Englands von abgegriffenen Kartenblättern rafften oder zu ihnen hinschoben.

      Die kleine Gouvernante in Hosen begrüsste an dem Tisch der grossen Spieler mit einem flüchtigen Handwink den Bankhalter, den wollköpfigen Griechen Diamandis, einen der tüchtigsten Spitzel Hafis Paschas, des Generaldirektors der Polizei. Sie sah suchend durch die Reihen von Charakterköpfen rechts und links von ihm. Sie kannte viele von ihnen: Jon Stonescu, in fleckigem weissen Sommeranzug, den Fes nachlässig im Genick, als Taschendieb immer flott bei Kasse; Kumani, den schnurrbärtigen, breitschultrigen Stiefelputzer und russischen Geheimagenten; Sidi Omar alla Franca, den kokett nach europäischer Mode gekleideten syrischen Falschspieler.

      Jossip Ferencz Prucha stand da, der österreichische Fremdenführer, im heimlichen Sold des Jildis-Kiosk, blond, rundlich, vertrauenetweckend, mit einem Franz-Joseph-Backenbart. Und Dr. Vasile Profirisco, mit blossen behaarten Beinen aus zerrissenen Segeltuchstiefeln unter einem ganz kurzen, hellgelben, englischen Turfpaletot, der haschichsüchtige, heruntergekommene Hautarzt von Galata.

      Und zwischen beiden der einzige wirkliche Kavalier in diesem Kehricht der Levante — gross — schlank — in elegantem Frackanzug und tadelloser weisser Hemdbrust und Binde, ein gepflegter Schnurrbart in dem distinguierten Klubgesicht. Der weibliche Stambul-Efendi trat zu Alphonse Brigolaud, dem Oberkellner in dem Luxusrestaurant Lebon nebenan in der Grande Rue, und reichte ihm hastig die Hand.

      „Da bin ich“

      „Und was bringst du?“ Er zog sie beiseite. Niemand kümmerte sich um sie. Alles starrte, Betrug witternd, dem Croupier Diamandis auf die zweifelhaften Finger.

      „Du hast mir doch eingeschärft“, sie stotterte angstvoll, „ keine Zeit zu verlieren . . .“

      „Schnell! Schnell! Ich habe auch keine Zeit! Ich bin nur auf einen Sprung vom Service bei Lebon herüber!“

      „. . . sondern dir gleich zu melden, wenn ich etwas über die Eisenbahnkonzession erfahre! Was dich das interessiert, weiss ich ja auch nicht!“

      „Ist auch ganz gleich!“ Ungeduldig, herrisch seine Stimme. Willenlos drüben das schmale, bräunliche Pariser Gesichtchen mit den klugen dunklen Augen unter dem roten Fes.

      „Also der Marschall wird diesen Russen oder Deutschrussen — ah! — diese barbarischen Namen zerbrechen mir die Zunge . . .“

      „Budden’aus!“

      „Ja.“

      „Paul Budden’aus!“

      „Die Türken brauchen ja zu allem eine Woche Zeit. Aber in einer Woche — das ist beschlossen — wird ihn Schükri Pascha empfangen. Die Chancen des französisch-russischen Syndikats steigen gewaltig, mein Freund!“

      „Äh!“

      „Es handelt sich ja um unsere Landsleute, die Franzosen! Aber ich weiss doch nicht, ob es recht ist, dass ich dir alle Geheimnisse des Konak Schükri verrate. Dafür hat man mich nicht aus Paris dorthin geschickt!“

      „Du tust, was ich dir befehle! Verstanden?“ Der Oberkellner zündete sich eine Zigarette an.

      „Denn ich weiss ja nicht, was du damit anfängst . . .“

      „Nur, was uns beiden nutzt! Spiele nicht die Grille, meine Kleine, sondern die Ameise! Sammle in diesem verfluchten Lande mit Nägeln und Zähnen Geld wie ich!“

      „Das tu’ ich! Man schreibt mir Geld in Fülle beim Crédit Lyonnais gut — dafür, dass ich hier zwischen diesen Paschas und Eunuchen und Odalisken für Frankreich leide!“

      „.


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