Wer baut die Bahn?. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Wer baut die Bahn? - Rudolf Stratz


Скачать книгу
sehe es euch an: Gospodin Buddenhaus hat euch schon für seine Pläne gewonnen!“ Der Petersburger Kaukasier setzte sich. „Er hat euch überzeugt, dass der Eisenbahnbau der Russischen Studiengesellschaft Glück und Wohlstand durch ganz Vorderasien bringt! Schon seine Worte füllen eure Taschen mit Gold! Nun — möge sich Gott erbarmen und ihn zur Höhe heben!“

      Lamba, der Levantiner, hatte von den fernen Sätzen nur das Wort „Buddenhaus“ verstanden. Er starrte erschrocken hinüber auf die frisch gelaunten, zugleich liebenswürdigen und unheimlich energischen Züge des jungen Mannes, in dessen verbindlichen Handbewegungen beim Sprechen noch eine mitreissende Kraft lag.

      „Das ist doch nicht . . .“

      „Das ist Herr Buddenhaus!“ bestätigte der griechische Botschaftssekretär neben ihm. „Der Vertrauensmann des russisch-französischen Bahnsyndikats!“

      Der junge Diplomat atmete auf. Sein unerwünschter Nachbar, der mit allen Makeln des Mittelmeers behaftete Levantiner, hatte sich plötzlich formlos, fast ohne ein Kopfnicken des Abschieds, erhoben und lief mit der Aufdringlichkeit des Emporkömmlings nach der Tür.

      „Wo bleiben Sie, Eccellenza? Ich warte schon lange!“

      Exzellenz Rhodokanaki, Senator des Osmanischen Reiches, der bedächtig eintrat, war ein milder kleiner Greis mit einem weissen Vollbart um ein braunes Gesicht, aus dem hinter einer goldenen Brille zwei kluge Augen schauten. Er erwiderte vorsichtig und bedächtig die stummen Verbeugungen umher. Er war ein Mann von höchstem Ansehen — der Nachkomme eines jener altgriechischen Fanariotengeschlechter in ihren Palästen am Goldenen Horn, die in früheren Zeiten in Fürstenrang als Statthalter des Sultans die Moldau und die Walachei regierten.

      Er setzte sich mit Lamba, dem Mann von gestern, abseits. Der Levantiner sprudelte leise, aber leidenschaftlich los:

      „Exzellenz! Es muss etwas geschehen! Sonst geht für uns Griechen und Armenier jede Hoffnung auf eine Eisenbahnkonzession in Vorderasien verloren!“

      „Warum die Eile? Wir sind im Orient!“

      „Weil das Petersburg-Pariser Syndikat sich eilt! Soeben erhielt ich durch den zuverlässigsten Geheimagenten, den ich in Pera habe — sein Name tut nichts zur Sache — die Nachricht, dass der Marschall Schükri in Kürze Herrn Buddenhaus in Audienz empfängt!“

      „Das ändert die Lage!“

      „Dort drüben, zwischen den entnervten, opiumrauchenden Haremkönigen, sitzt Russlands starker Mann! Ah — die Russen wussten, was sie taten: sie spannten sich einen Deutschen vor!“

      „Man möchte diesem Mann viel zutrauen!“ sagte der menschenkundige alte osmanische Senator mit einem langen Blick auf Paul Buddenhaus.

      „Sie versprachen uns Ihre Hilfe und die der andern Christen im Senat, Exzellenz! Für eine Bahn in Asien!“

      „Lassen Sie mir Zeit!“

      „Wir christliche Untertanen des Sultans verlangen das Vorrecht vor den Ausländern!“

      „Gebt nur den Inländern ein besseres Beispiel, ihr Levantiner!“

      „Die von Abd ul Hamid ausgeschalteten Paschas des Grosswesirats, die zum Nichtstun verurteilten Efendis der Hohen Pforte sollen uns die Bahnkonzession erteilen und der Palastkamarilla und dem Grossherrn ihre ehemalige Macht zeigen!“

      „Die Stunde für die Obereunuchen und Henker und Pagen und Zwerge im Jildis-Kiosk wird einmal schlagen!“

      „Aber wie! Mit Gewalt und Mord!“ Der Levantiner krümmte sich, halb in Todesangst, halb in blinder Gier nach dem asiatischen Riesengewinn. „Blut wird durch die Gassen fliessen. Die Häuser von Stambul werden rauchen . . . Furchtbares steht bevor, wenn ihr nicht uns, euren Glaubensgenossen, den friedlichen Weg nach Asien bahnt . . .“

      „. . . soweit unter der Herrschaft Abd ul Hamids ein Mensch — sei er Christ oder Moslem oder Jude — noch etwas vermag . . .“ Der Greis erhob sich. Er sprach ganz leise. „Seit Jahrhunderten residiert mein Haus in Stambul. Seit siebzig Jahren kenne ich Stambul. Ich ahne, was ihr jetzt in Stambul plant! Aber — Lob sei der heiligen Dreifaltigkeit — ihr seid Levantiner! Ihr seid Armenier! Ihr seid zu feige!“

      Der Fanariote verabschiedete sich von Lamba.

      „Um Unheil zu verhüten, will ich meinen ganzen Einfluss für euch aufbieten! Geben Sie mir acht Tage Zeit! Dann werden wir wissen, was Gott oder Allah oder Jehova über Stambul bestimmt!“

      10

      Ein Gewirr schmieriger, vielfach kaum mannsbreiter Hohlgassen trennte damals, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, nachtstill, stinkend und stockdunkel, die beiden elegantesten Teile Peras, die obere Hälfte der Grande Rue und die Gegend um den Munizipalgarten, wo das Stadtpalais des Levantiners Lamba stand.

      Für ihn, den Sohn des Mittelmeers und seiner heissen Sonne, gab es sonst eine Fortbewegung nur im Sattel, Wagen oder Kaik. Aber jetzt ging er, von der Angst um die Eisenbahnkonzession gehetzt, in das Bild der Schwimmerin über den Bosporus verglüht, zu Fuss durch das finstere Strassenviertel zwischen der Derwischgasse und der Rue Venedik.

      Er stolperte über ein paar knurrende wilde Hunde. Ihre Augen funkelten grün vor Hunger aus dem strohgelben Pelz. Er stiess an etwas Rauhhaariges, Grosses, Lebendiges und fühlte drüber an den Ohren: da stand im Weg ein schlafender, verlaufener Esel. Kein Treiber dabei. Kein Mensch weit und breit. Doch jetzt hörte, durch Konstantinopels nie endendes, mächtiges, vieltausendfaches Hundegebell fern und nah, der einsame Millionär deutlich hinter sich das wiegende Klatschen blosser Sohlen. Er umkrampfte den Revolvergriff in der Hosentasche und schon sich zitternd rücklings weiter, die Augen auf den unheimlichen Schatten gerichtet.

      „Komme mir nicht nahe oder ich schiesse!“ Dreifach der Sicherheit halber — auf türkisch, griechisch und armenisch — die Drohung aus erstickter Kehle.

      Die Gestalt drüben antwortete nicht. Sie behielt ihren Abstand bei. Lamba atmete auf. Er stand an der Ecke seines eigenen vornehmen Villenviertels geborgen unter dem trübgelben Mond der ersten Öllaterne. Aus dem Kellerschwarz der engen Gasse, bis an die Grenze des Zwielichts, schlich ein Derwisch. Keiner der landläufigen Heuler und Tänzer in kaffeebrauner Kutte und Kegelmütze. Das war einer der „Gesetzlosen“, der wilden heiligen Landstreicher aus Kleinasien und Persien, die sich in zusammengenähte bunte Fetzen aus dem Strassenstaub kleideten und beim Betteln drohend den schuhlangen stählernen Stab mit dem gehörnten Satanskopf schwangen.

      „Schiessen Sie nicht auf mich, Monsieur Lamba!“ Es kam leise auf französisch aus dem verwilderten Bart.

      „Mein Gott . . . Exzellenz . . .“

      „Sie entgehen mir nicht!“

      „Wie sollte ich erkennen, dass Sie es sind? Ich sah Sie heute mittag bei mir draussen am Bosporus als persischen Teppichhändler . . .“

      „Ich wechsle täglich mehrmals meine Verkleidungen! Abd ul Hamid hat tausend Augen!“

      Fuad Pascha, der nach Damaskus verbannte Hofintendant des Sultans, trat etwas näher. Ein Aasgeruch der farbigen Kleiderlappen entströmte seinem Körper. Fanatisch sein Blick:

      „Sie versprachen, mir heute abend Nachricht zu geben! Sie sind ein Levantiner. Also brachen Sie Ihr Wort!“

      Lamba schwieg.

      „Aber wir halten Sie beim Wort, Monsieur Lamba!“

      Den Levantiner erfasste die Wut der Angst. Er beugte sich vor:

      „Wann gelobte ich euch, den Grossherrn erdrosseln zu helfen — he?“

      „Sie gaben mir Hoffnung auf Hilfe!“

      „Mit Abscheu wandte ich mich ab! Bei der heiligen Dreifaltigkeit!“

      Eine Schulterbewegung der Verachtung drüben.

      „So verzichten Sie auf die Eisenbahnkonzession, Monsieur Lamba?“

      „Ich


Скачать книгу