Wer baut die Bahn?. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.aufgeworfenen, roten Lippen und dichten, weissen Zähnen der kleine Mund. Unter langen dunkeln Wimpern schliefen zwei anscheinend teilnahmslose, auffallend kluge, braune Augen.
Sie stand unbeachtet, die kleinen Mädchen an der Hand, als ginge sie das Getümmel um den Erbprinzen nichts an, und hörte dabei in ihrem Ohr die gedämpfte Stimme des dicken Pariser Grossfinanzmannes mit dem roten Bändchen der Ehrenlegion.
„Wie steht’s, Mademoiselle Froidure?“
„Ich tu’, was ich kann!“ ebenso leise.
„Der Marschall zaudert immer noch mit der Eisenbahnkonzession!“
„Ich arbeite den ganzen Tag!“ Sie sah scheinbar leer an dem bläulich rasierten, zynisch glatten Feistling der Boulevards vorbei. „Ich habe die Prinzessin schon ganz auf unserer Seite. Ich mache dem ganzen Harem den Kopf heiss und damit dem Pascha selber!“
„Vergessen Sie nicht, dass wir Sie von Paris aus in dieses Haus hier gebracht haben . . .“
„Sorgen Sie nur, dass niemand hier im Hause etwas davon erfährt!“
„. . . und dass wir Sie zahlen! Gut zahlen!“
„Ich habe meine Augen überall! Die Prinzessin erzählt mir alles!“
„. . . und Sie sofort . . . verstehen Sie . . . sofort uns!“
„Ich höre täglich, im Nebenzimmer bei den Kindern, was der Marschall mit ihr spricht. Er spricht ja immer französisch. Er liebt Frankreich. Er liebt Paris, in der Erinnerung. Deswegen spricht er auch oft mit mir von Paris!“
„Benutzen Sie diese kostbaren Gelegenheiten, Mademoiselle Froidure! Beeinflussen Sie den Marschall, wie Sie können. Dehnen Sie Ihre Herrschaft im Konak immer weiter aus! Sie sind des Dankes Frankreichs sicher . . . Ah . . . Seine Hoheit muss schnell ins Haus!“ Die Fuchsaugen des Parisers blinzelten dem Paschasprössling nach, der plötzlich sein gravitätisches Däumlingtum vergessen hatte und ohne Abschied von den verachteten Europäern in den Konak lief.
Und für den dicken Pariser Mann im Morgenland war dagegen plötzlich wieder nach türkischer Etikette die Weiblichkeit — die Erzieherin und die drei Mädchen in Höschen — Luft. Er ging, ohne einen Blick auf sie, mit seinen Landsleuten und den Russen durch den Hof. Der grimme, rot-silberne Albaneser Häuptling geleitete sie bis zu ihren Landauern.
7
Die roten Fesse der Kutscher, die schwarzen Zylinder der Franken verschwammen im grauen Staubgewirbel. Iskander Beg trat in den Hof zu seinen Arnauten zurück.
Die drei kleinen Mädchen in Pluderhöschen und Pantöffelchen trippelten nach dem Konak, um die mitten im Weg stehenden riesigen Bergsöhne herum. Keinem dieser Bekenner Allahs wäre es eingefallen, einem weiblichen Wesen — ob alt oder jung — Platz zu machen — und wenn es die Töchter der Prinzessin Münireh Sultaneh selbst da drinnen waren.
Aber Mademoiselle Froidure, die Begleiterin, blieb, dicht hinter den Kindern, stehen und sah die Albanesen vor ihr kaltblütig an. Widerwillig schoben sich die weissen, schwarz benähten, mit Pistolen, Handscharen und Dolchen gespickten Riesenkerle beiseite.
Die französische Erzieherin ging schnurstracks an ihnen vorbei, sie vorsichtig von der Seite anblinzelnd, wie eine Katze an grossen Dorfhunden. Heisse Blicke des Hasses gegen die Christin, noch heissere zu der einzigen unverschleierten Frau im Hause folgten ihr.
Drinnen im Konak flohen die bedienenden Knaben in flatternden weissen Hemden voll Schrecken beim Anblick der kleinen, leichtfüssigen Gouvernante. Wehe, was dieser Frauenmund aus Frankenland dem Müschir selber, dem Marschall Schükri, melden mochte . . .
Die Froidure schritt durch den langen Flur, der die Empfangssäle von dem Harem, den eigentlichen Wohnräumen, schied. Die hohen Absätze ihrer Stiefelchen klappten in raschem Takt. Sie hatte einen wiegenden Gang. Aber in dessen flüchtiger Festigkeit schallte die europäische Energie durch die orientalische Ruhe des Konak.
„Staub und Spinnweb wieder über deiner Pforte, Aga!“ sagte sie streng zu dem Obereunuchen, der beschaulich mit gekreuzten Beinen auf einem Diwan vor dem Eingang zu den Frauengemächern sass. Sie durfte als Gouvernante kein anderes Wort als Französisch sprechen. Aber aus dem weissen Vollbart um das verrunzelte, steinalte Affengesicht des schwarzen afrikanischen Haushofmeisters drüben meckerte zur Not ein zahnloses Kauderwelsch der Levante.
Sie setzte sich kameradschaftlich neben ihn auf die Kissen und schwatzte. Die Zeiten, da der türkische Meergreis das Tor verschlossen hielt, wenn sie ausgehen wollte, oder sie bei ihrem späten Nachhausekommen draussen stehen liess, waren vorbei. Der Eunuch kuschte vor ihr mit einem feigen und väterlichen Grinsen. Das Schälchen Kaffee, das er ihr durch einen Knaben bot, nahm sie allerdings nicht. Sie kannte die langsamen Gifte des Orients. Auch für die Zigaretten dankte sie. Es konnte zuviel Opium in ihnen stecken. Sie raffte, mit dem instinktiven koketten Handgriff der Pariserin, ihren Rock, sprang auf und fuhr mit den Stiefelchen in ein paar mächtige zitronengelbe Lederschlappen. Zwei Negersklaven schlugen stumm die Vorhänge des Harems vor ihr zurück.
Junge Dienerinnen in langen Hosen und bunten, hinter einer grossen Flügelschleife geknoteten Leibschärpen rannten wie die gescheuchten Hühner vor Mademoiselle, dem Schrecken des Konaks. Vor ihr öffnete sich der Wohnsaal der Prinzessin Münireh Sultaneh, der einzigen und rechtmässigen Gattin des Marschalls Schükri. Was da noch in den Hinterräumen des Hauses an „zum Zimmer Gehörigen“ herumwimmelte — diese Georgierin, diese mohammedanische Inselgriechin, diese Nebenweiber und ihre Brut — zählte nicht mit.
Geflochtene arabische Strohmatten deckten den Marmorboden des Saals. Diwane von verschiedener Grösse, je nach dem Rang der Besucher, zogen sich an seinen Wänden hin. In Zedernholzkassetten dunkelte, schwarz vor Alter, die Decke. Durch die Holzgitter der hohen Fenster grünte der Park von Tschiragan und blaute der Bosporus.
In der Ecke stand ein Bechsteinflügel mit geöffneten Tasten. Eine Partitur des „Rheingold“ lag darauf. Richard Wagners Götterwelt war zur Zeit bei den hohen Haremsdamen die grosse Mode.
Zwei von ihnen sassen auf europäischen Sesseln bei der Prinzessin zu Besuch. Die eine, das Grauhaar noch in den vielen kleinen Zöpfchen von einst und, nach der Sitte der Altvorderen, in einen Mantel von weissem, handgesticktem Damast mit langer Schleppe gehüllt, glich in dem Zwielicht einem beleibten Gespenst. Nach neuester Pariser Mode, mit Rüschen, Bändern, Spitzen, flirrte und flimmerte die Jüngere.
Die Prinzessin Münireh selber trug einen einfachen Perkalmantel über einem schlichten weissen europäischen Sommerkleid. Nicht das geringste Schmuckstück. Das überliess die grosse, beinahe weisse Dame ihren farbigen Sklavinnen. Die jungen Nubierinnen aus Assuan, die in Haremstracht, mit bunten Taschentüchern auf den Scheiteln, hin und her huschten, funkelten von kostbaren Perlen und Edelsteinen.
Schükri Paschas einzige Gattin war eine noch junge, blasse, etwas müde Frau. Schmal der dunkle, eiförmige, ganz europäische Kopf auf langem, dünnem Hals, schmal die Nase, schmal die Lippen. Träumerisch die grossen Mandeln der Augen unter den mit Hennaerde glänzend schwarz gefärbten Brauen.
Sie und die jüngere Besucherin warfen ihre Zigaretten weg, deren Würzgeruch mit dem durchdringenden, schwülen Jasmin- und Heliotropparfüm ihrer Kleider und Körper kämpfte. Die ältere Hanum trennte sich von ihrem kostbaren altväterischen Tschibuk aus rubinbeschlagenem Ambra. Man setzte sich mit den Kindern zu Tisch.
Zwischen dem kleinen Volk sass Mademoiselle Claire Froidure. Nur zur Überwachung. Sie selber speiste erst später allein auf ihrem Zimmer. Die vornehmen Türkinnen streiften die weissseidenen Handschuhe von den rotnägligen Fingern der Rechten und griffen in lebhaftem französischen Geplauder mit der Hand in die Schüsseln voll Kaviar, Oliven, rotgepfefferten Marmarafischen, und in die Reispyramide, von deren Tuchumwicklung, in der sie aus der Küche kam, der Obereunuch feierlich den Knoten löste.
Vor allen Frauen wurde der kleine Erbprinz bedient. Während er sich mit der Hand zusammengeballte Pilawkugeln in das Mäulchen stopfte, erzählte Mademoiselle Froidure ihren Zöglingen wie immer halblaut von Paris.
„Ah