Zwei Jahre Ferien. Jules Verne

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Zwei Jahre Ferien - Jules Verne


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mein­te Gor­don, »und doch müs­sen wir vor ei­nem Aus­zug nach dem In­nern wis­sen, wo­hin wir ge­hen.«

      Gor­d­ons Ein­wür­fe er­schie­nen so be­rech­tigt, dass Do­ni­phan sich ih­nen wohl oder übel fü­gen muss­te.

      »Ich bin be­reit, auf Kund­schaft aus­zu­zie­hen«, mel­de­te sich Bri­ant.

      »Ich eben­falls«, schloss sich Do­ni­phan an.

      »Wir alle sind ge­wiss dazu be­reit«, mein­te Gor­don; »es wäre je­doch sehr un­klug, auch die Klei­nen bei ei­nem sol­chen mög­li­cher­wei­se lan­gen und be­schwer­li­chen Zuge mit­zu­neh­men; zwei bis drei von uns wer­den, denk’ ich, ge­nug sein?«

      »Es ist sehr be­dau­er­lich«, äu­ßer­te Bri­ant, »dass sich hier kei­ne be­trächt­li­che­re An­hö­he fin­det, von de­ren Gip­fel aus man Um­schau hal­ten könn­te. Lei­der be­fin­den wir uns auf ziem­lich nied­ri­gem Land, und auch von der See­sei­te her hab’ ich, selbst am Ho­ri­zont, kei­nen Berg ent­de­cken kön­nen. Hier schei­nen an­de­re Hö­hen, als das schroff an­stei­gen­de Ufer im Hin­ter­grund des Stran­des, ganz zu feh­len. Jen­seits des letz­te­ren be­fin­den sich si­cher­lich Wäl­der, Ebe­nen und Sümp­fe, durch wel­che der Rio sich hin­schlän­gelt, des­sen Aus­mün­dung wir be­sich­tigt ha­ben.«

      »Und doch wäre es von Nut­zen, die­se Ge­gend ein­mal in Au­gen­schein zu neh­men«, warf Gor­don ein, »ehe wir das Steilufer wei­ter un­ter­su­chen, in dem ich mit Bri­ant ver­geb­lich nach ei­ner Höh­le ge­sucht habe.«

      »Nun, warum sol­len wir uns dann nicht nach dem Nor­den der Bai be­ge­ben?« sag­te Bri­ant. »Er­stei­gen wir das dor­ti­ge Vor­ge­bir­ge, so müss­ten wir, wie mir scheint, weit­hin se­hen kön­nen …«

      »Eben dar­an dach­te ich auch«, ant­wor­te­te Gor­don. »Ja, je­nes Kap, wel­ches zwei- bis drei­hun­dert Fuß hoch sein mag, muss das Steilufer über­ra­gen.«

      »Ich er­bie­te mich, da­hin zu ge­hen …« er­klär­te Bri­ant.

      »Wozu aber?« warf Do­ni­phan ein. »Was wäre von da oben zu se­hen?«

      »Ich mei­ne, den Ver­such ist es je­den­falls wert«, er­wi­der­te Bri­ant.

      In der Tat er­hob sich am Ende der Bai eine An­häu­fung von Fel­sen, eine Art Hü­gel, der auf der einen Sei­te mit schrof­fer Wand ins Meer ab­fiel und auf der an­de­ren in das lan­ge Steilufer über­zu­ge­hen schi­en. Vom »Sloug­hi« aus maß die Ent­fer­nung da­hin längs der Win­dun­gen des Stran­des höchs­tens sie­ben bis acht (eng­li­sche) Mei­len, und nur fünf bis sechs in der Luft­li­nie. Gor­don täusch­te sich auch wohl nicht, wenn er die Höhe des Vor­ge­bir­ges über dem Mee­re auf drei­hun­dert Fuß ab­schätz­te.

      Ob die­se Höhe aus­rei­chend war, einen grö­ße­ren Teil des Hin­ter­lan­des zu über­se­hen? Oder wur­de der Aus­blick nach Os­ten hin durch ir­gend­ein Hin­der­nis be­schränkt? Je­den­falls war von dort aus zu er­ken­nen, was jen­seits des Vor­ge­bir­ges lag und ob die Küs­te sich nach Nor­den hin un­be­grenzt fort­setz­te oder ob sich da­hin­ter schon wie­der der Ozean aus­brei­te­te. Es emp­fahl sich also, nach dem Ende der Bai zu ge­hen und die An­hö­he da­selbst zu er­stei­gen. Lag nach Os­ten zu ebe­ne­res Land, so muss­te man es von je­nem Punk­te aus auf meh­re­re Mei­len hin über­bli­cken kön­nen.

      Es wur­de also be­schlos­sen, die­sen Plan aus­zu­füh­ren. Woll­te Do­ni­phan auch des­sen Nut­zen nicht an­er­ken­nen — ohne Zwei­fel, weil die An­re­gung dazu von Bri­ant und nicht von ihm her­rühr­te —, so war der­sel­be doch nicht min­der ge­eig­net, ein wert­vol­les Er­geb­nis zu lie­fern.

      Gleich­zei­tig wur­de be­stimmt, und nach reif­li­cher Er­wä­gung fest­ge­stellt, den »Sloug­hi« nicht eher zu ver­las­sen, als bis man mit Si­cher­heit wis­se, ob die­ser auf der Küs­te ei­nes Fest­lan­des ge­schei­tert sei oder nicht — und die­ses Fest­land konn­te kein an­de­res als Ame­ri­ka sein.

      Nichts­de­sto­we­ni­ger konn­te je­ner Aus­flug wäh­rend der fünf fol­gen­den Tage nicht aus­ge­führt wer­den. Das Wet­ter war duns­tig ge­wor­den, und zu­wei­len rie­sel­te ein fei­ner Re­gen her­ab. Zeig­te der Wind kei­ne Nei­gung zum Auf­fri­schen, so muss­ten die den Ho­ri­zont ver­hül­len­den Dunst­mas­sen je­den Aus­blick ver­hin­dern.

      Die­se Tage wa­ren des­halb je­doch nicht als ver­lo­ren an­zu­se­hen. Man be­nütz­te sie zu ver­schie­de­nen Ar­bei­ten. Bri­ant be­schäf­tig­te sich mit den klei­nen Kin­dern, wel­che er un­abläs­sig über­wach­te, als wäre es ihm ein na­tür­li­ches Be­dürf­nis, ih­nen eine Art vä­ter­li­cher Lie­be an­ge­dei­hen zu las­sen. Stets hielt er da­bei im Auge, dass die­sel­ben, so gut die Um­stän­de es er­laub­ten, mit al­lem ver­sorgt wur­den. So nö­tig­te er sie, da die Tem­pe­ra­tur zu sin­ken schi­en, wär­me­re Klei­der an­zu­le­gen, wo­bei er ih­nen die­je­ni­gen pas­send zu­recht­mach­te, wel­che sich in den Kis­ten der Ma­tro­sen vor­fan­den. Das war eine Schnei­der­ar­beit, bei der die Sche­re mehr zu tun hat­te als die Na­del, und bei wel­che Moko, der et­was nä­hen konn­te, wie ja ein Schiffs­jun­ge in al­lem be­wan­dert sein muss, sich sehr an­stel­lig er­wies. Man hät­te frei­lich nicht sa­gen kön­nen, dass Co­star, Dole, Jen­kins und Iver­son sich be­son­ders ele­gant aus­nah­men in die­sen für sie zu großen Bein­klei­dern und Woll­ja­cken, von de­nen nur Bei­ne und Är­mel pas­send ge­schnit­ten wa­ren; doch dar­auf kam nicht viel an. Sie muss­ten sich schon da­mit be­hel­fen su­chen und fan­den sich bald in die­se neue Aus­staf­fie­rung hin­ein.

      Üb­ri­gens ließ man sie nicht mü­ßig ge­hen. Un­ter Füh­rung Gar­netts oder Bax­ters zo­gen sie öf­ters hin­aus, um Mu­scheln zu sam­meln oder mit Schnü­ren oder Net­zen im Bett des Rios zu fi­schen. Das war für sie ein Ver­gnü­gen und für alle ein Vor­teil. In die­ser Wei­se mit ei­ner Ar­beit be­schäf­tigt, wel­che sie be­lus­tig­te, dach­ten sie gar nicht an ihre Lage, de­ren Ernst über ihr Be­griffs­ver­mö­gen hin­aus­ging. Je­den­falls be­trüb­te sie die Erin­ne­rung an ihre El­tern, eben­so wie die­se den üb­ri­gen schwer auf den Her­zen lag. Der Ge­dan­ke je­doch, dass sie die­se nie­mals wie­der­se­hen wür­den, konn­te ih­nen gar nicht kom­men.

      Was Gor­don und Bri­ant an­ging, so ver­lie­ßen die­se kaum je­mals den »Sloug­hi«, des­sen In­stand­hal­tung sie über­nom­men hat­ten. Ser­vice blieb dann manch­mal bei ih­nen und mach­te sich, bei sei­ner gu­ten Lau­ne, im­mer recht nütz­lich. Er lieb­te Bri­ant und schloss sich nie­mals den­je­ni­gen sei­ner Ka­me­ra­den an, wel­che mit Do­ni­phan in ein Horn blie­sen. Auch Bri­ant emp­fand für ihn eine aus­ge­spro­che­ne Zu­nei­gung.

      »Seh ei­ner, das macht sich …!« rief Ser­vice gern. »Wahr­haf­tig, un­ser ›Sloug­hi‹ ist sehr zu ge­le­ge­ner Zeit von ei­ner ge­fäl­li­gen Wel­le auf den Strand ge­wor­fen, und nicht ein­mal gar zu sehr be­schä­digt wor­den! — Das ist ein Vor­zug, den we­der Ro­bin­son Cru­soe noch der Schwei­zer Ro­bin­son auf ih­ren er­dich­te­ten In­seln ge­nos­sen ha­ben!«

      Und Jac­ques Bri­ant? Nun, wenn Jac­ques zu­wei­len sei­nem Bru­der bei den ver­schie­de­nen Be­schäf­ti­gun­gen an Bord zu Hil­fe kam, so ant­wor­te­te er doch kaum auf die an ihn ge­rich­te­ten Fra­gen und wen­de­te al­le­mal schnell die Au­gen ab, wenn ihm je­mand ins Ge­sicht sah.

      Bri­ant emp­fand eine rech­te Be­sorg­nis über die­ses Be­neh­men Jac­ques’.


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