Daniela und der Klassenschreck. Marie Louise Fischer

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Daniela und der Klassenschreck - Marie Louise Fischer


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Beginnen wir lieber!“

      „Er hat verschlafen“, hörte man ein sehr deutliches Flüstern.

      Sabine fuhr herum. Sie hatte die Stimme von Daniela Wilde erkannt. Sicher hatte Dr. Leonhardt es auch gehört. Jetzt würde Daniela was erleben.

      Aber Sabines Erwartungen erfüllten sich nicht.

      Dr. Leonhardt sagte nur — und fast schien es, als ob er dabei ein Schmunzeln unterdrückte —: „Du kannst dir deine Randbemerkungen sparen, Dany! Aber ich verzeihe dir, weil ich weiß, daß es in der menschlichen Natur liegt, von sich auf andere zu schließen.“

      Die Klasse lachte, und Daniela, der der Hieb gegolten hatte, lachte mit.

      „Sie werden’s nicht glauben, Herr Doktor“, sagte sie, „aber ich bin in den Ferien mal um fünf Uhr morgens aufgestanden … großes Ehrenwort!“

      „In den Ferien … das kann ich mir vorstellen!“ sagte Dr. Leonhardt, ohne über den reichlich ungezwungenen Ton, den Daniela anschlug, auch nur eine Sekunde überrascht zu sein.

      Er wandte jetzt sein Augenmerk auf Sabine, die in der Nähe der Tür stehengeblieben war. „Na, was ist mit dir, junge Dame?“ fragte er. „Ich nehme an, du bist die Neue. … Möchtest du nicht den Mantel ausziehen? Oder bist du noch nicht sicher, ob es dir hier bei uns gefällt?“

      Sabine wurde rot, und wieder lachten alle.

      „Ich habe nicht gewußt“, stotterte Sabine, „ich meine … ich dachte …“ Sie ärgerte sich über Dr. Leonhardt, der auf ihre Kosten Witze riß, über das Gelächter der anderen und über ihre eigene Unsicherheit. Hastig zog sie ihren Mantel aus und hängte ihn an einen Haken an der Hinterseite des Klassenzimmers. Sie trug darunter ein Schottenkleid, das einmal sehr schön gewesen, inzwischen aber allzuoft gewaschen und verlängert worden war.

      „Na, wo wollen wir dich denn hinsetzen?“ fragte Dr. Leonhardt nachdenklich und ließ seinen Blick über Tische und Stühle, über blonde, braune und schwarze Köpfe streichen.

      Eine angstvolle Sekunde lang glaubte Sabine, daß er den Platz neben Daniela, die in der letzten Reihe saß, für sie räumen lassen würde.

      Aber Dr. Leonhardt tat nichts dergleichen. „Irene Kubalski“, sagte er zu einem langaufgeschossenen, mageren Mädchen, das ganz vorne saß, „wie wär’s, wenn wir beide das neue Schuljahr mit einem Experiment beginnen würden? Glaubst du, ich kann es wagen, dich von nun an aus den Augen zu lassen?“

      „Bestimmt, Herr Doktor!“ Irene sprang strahlend auf.

      „Hoffen wir’s“, sagte Dr. Leonhardt trocken. „So eine lange Latte wie du gehört wirklich nicht nach vorne.“

      Irene holte ihre Mappe unter dem Tisch vor und verzog sich vergnügt nach hinten.

      „So, da ist von nun an dein Platz, Sabine!“ Dr. Leonhardt warf einen Blick in sein Notizbüchlein und fügte hinzu: „Sabine Kern heißt du doch, nicht wahr?“

      „Ja, Herr Doktor!“

      „Der Herr Direktor hat mir dein Zeugnis gezeigt, Sabine!“ Dr. Leonhardt klappte sein Notizbuch wieder zu, steckte es ein. „Ganz hervorragend. Betragen sehr gut und das meiste andere auch. Ich glaube, einige aus unserer Klasse könnten sich an dir ein Beispiel nehmen!“

      „Hört! Hört!“ rief Daniela halblaut.

      Dr. Leonhardt hob die Augenbrauen. „Wem der Schuh paßt, der zieht ihn an! Ja, gerade an dich habe ich dabei gedacht, Dany! Übrigens würde es mich in diesem Zusammenhang interessieren: Was haben denn deine Eltern zu deinem Zeugnis gesagt?“

      Daniela war nahe daran, verlegen zu werden, obwohl das im allgemeinen nicht ihre Art war. Aber sie faßte sich schnell und schürzte die vollen Lippen. „Och, nichts … Besonderes.“

      „Wirklich nicht?“

      „Na, gefreut haben sie sich gerade nicht“, gab Daniela zögernd, aber doch ehrlich zu. Sie sah Dr. Leonhardt aus ihren großen blauen Augen treuherzig an. „Ich habe versprochen, daß ich mich bessern werde!“

      „Na, da lassen wir uns mal überraschen!“

      „Überhaupt“, sagte Daniela, die gern das letzte Wort hatte, rasch, „im Turnen, Singen, Zeichnen und in Handarbeit … bin ich doch prima!“

      „Zweifellos. Weil das die Fächer sind, die dir leichtfallen und die dir Freude machen! Aber lernen heißt, sich Mühe geben. Schreib dir das hinter die Ohren.“

      Daniela hatte schon den Mund geöffnet, um entgegenzureden. Aber sie kam nicht mehr dazu.

      Dr. Leonhardt sagte energisch: „Setz dich jetzt, Dany. Genug davon.“ Er ging zum Lehrertisch, nahm Platz, faltete die Hände und überblickte die Klasse.

      Ein Teil der Mädchen hatte die Nasen gesenkt, die anderen blickten ihn aufmerksam und mit betonter Bravheit an. Alle hatten begriffen, daß das, was er Daniela gesagt hatte, auch für sie selber galt.

      Nur Sabines Augen hinter der Brille leuchteten. Sie mußte die Lippen zusammenpressen, um ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken. Aber sie hatte sich zu früh gefreut.

      „Sabine, da ist übrigens noch etwas, über das ich mit dir sprechen möchte“, sagte Dr. Leonhardt. „In deinem Zeugnis steht, daß du vom Turnen befreit bist.“

      Sabine schnellte empor. „Ja, Herr Doktor“, sagte sie strahlend, „ich habe ein schwaches Herz. Das Attest …“

      „Stimmt. Trotzdem … Wie wär’s, wenn du dich noch mal untersuchen lassen würdest?“

      „Aber … aber warum denn?“ sagte Sabine fassungslos. „Das Attest … es gilt doch für zwei Jahre!“

      „Weiß ich. Aber immerhin, es besteht doch die Möglichkeit, daß sich dein …“ Dr. Leonhardt räusperte sich, „Gesundheitszustand inzwischen überraschend gebessert hat, nicht wahr?“

      „Nein, das glaube ich nicht!“ sagte Sabine entsetzt.

      „Wer weiß. Eine Untersuchung beim Amtsarzt kann jedenfalls nicht schaden.“

      Sabine war den Tränen nahe. Sie haßte die Turnstunde, sie hatte sie seit jeher gehaßt. Sie konnte nicht turnen, und sie wollte nicht turnen. Sie war so glücklich gewesen, ein Attest vorweisen zu können. Sie hatte geglaubt, die Turnerei überstanden zu haben, und jetzt sollte alles vergeblich gewesen sein?

      „Herr Doktor, ich …“, stammelte sie, „aber ich weiß doch genau, daß es mir noch nicht besser geht!“

      „Meine liebe Sabine“, sagte Dr. Leonhardt ernsthaft, „ich muß mich über dich wundern! Mir scheint fast, du empfindest deine Krankheit als etwas Wünschenswertes. Du klammerst dich geradezu daran. Wirklich sonderbar. Das bringt mich auf einen Gedanken. Ich werde euch ein zweites Aufsatzthema geben.“ Er stand auf, trat zur Wandtafel und nahm ein Stück Kreide in die Hand. Das erste lautete wie jedes Jahr „Ferien“ — er schrieb das Wort in großen, deutlichen Buchstaben auf die Tafel. „Das ist ein reines Erlebnisthema und wird den meisten von euch sicher gut liegen. Für die anderen aber möchte ich vorschlagen, daß sie sich mal mit folgendem Problem beschäftigen: ,Gesundheit und Krankheit’!“ Er fuhr mit der Kreide über die Tafel, dann legte er das Stück weg, wischte sich die Hände an seinem Taschentuch sauber. „So, das wär’s!“ Er trat ans Lehrerpult. „Wir werden uns in diesem Jahr mit dem Drama ,Wilhelm Tell’ von Friedrich von Schiller beschäftigen. Ich habe euch den Text mitgebracht. Bitte, Susanne, verteil die Texte.“

      Ein rundliches Mädchen mit einem dicken roten Zopf, das seinen Platz neben Sabine in der ersten Reihe hatte, sprang auf und nahm den Stapel kleiner Bücher vom Tisch.

      „Heute wollen wir uns erst einmal mit dem Leben und der Persönlichkeit des Dichters befassen. Ich nehme nicht an, daß eine von euch … ja, Dany?“

      „Schiller hatte Gedichte geschrieben und Theaterstücke“, sagte Daniela. „Er


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