Daniela und der Klassenschreck. Marie Louise Fischer

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Daniela und der Klassenschreck - Marie Louise Fischer


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auch vom Turnen befreit!“ platzte sie heraus.

      „Was du nicht sagst!“ Dr. Leonhardt schmunzelte. „Soll das etwa heißen, daß du dich für einen kleinen Schiller in der Westentasche hältst?“

      „Nein“, sagte Sabine, „das natürlich nicht. Aber … ich bin überzeugt, daß Turnen für geistige Menschen nicht wichtig ist.“ Sie warf den Kopf zurück und sah sich herausfordernd in der Klasse um.

      Ein paar Mädchen kicherten unterdrückt. Daniela starrte Sabine verblüfft mit offenem Mund an.

      „Zu diesem Thema ließe sich allerhand sagen“, erklärte Dr. Leonhardt ruhig, „aber ich möchte dir jetzt nur eine einzige Frage stellen: Wann ist Schiller gestorben?“

      „1805“, sagte Sabine wie aus der Pistole geschossen.

      „Er ist also, wie du dir selber ausrechnen kannst, nicht älter als sechsundvierzig Jahre geworden. Euch scheint das vielleicht ziemlich alt, in Wirklichkeit ist es sehr jung. Er wurde nur ein paar Jahre älter, als ich es heute bin. Viele Jahre seines Lebens ist er krank gewesen, er ist sozusagen von einer Krankheit in die andere gefallen. Die meisten seiner Dramen sind unter unendlichen Anstrengungen und Schmerzen entstanden. Glaubst du allen Ernstes, Sabine, daß Schiller selber seine Krankheit als etwas Gutes empfunden hat?“

      „Das nicht, aber …“

      „Grade wenn man keine sehr gesunde körperliche Verfassung hat, meine liebe Sabine, muß man etwas für sich tun. Dany zum Beispiel könnte man ruhig vom Turnen befreien, ohne daß es ihr etwas schaden würde. Sie würde auch ohne Turnunterricht genügend Gelegenheit zum Laufen, Springen, Klettern und Tanzen finden, aber bei dir ist das etwas anderes.“

      „Ja, aber ich kann es nicht!“ rief Sabine mit zitternder Stimme. „Ich bekomme so furchtbares Herzklopfen nach der kleinsten Anstrengung. Wirklich, Herr Doktor, Sie müssen mir glauben!“

      „Ich bin kein Arzt, meine liebe Dame. Mit mir brauchst du darüber nicht weiterzureden. Geh gleich heute nachmittag zum Amtsarzt. Das Gesundheitsamt ist in der Breiten Straße; Sprechstunde, glaube ich, ab vierzehn Uhr. Dann werden wir’s ja erfahren. Und nun wieder zu unserem Dichter!“

      Nichts als Ärger

      Als Sabine mittags aus der Schule kam und die fünf Treppen zu der kleinen Mansardenwohnung emporgestiegen war, wurde sie von ihrer Mutter fröhlich begrüßt.

      „Na, meine Große, wie war’s in der Schule?“ fragte sie und strich sich mit dem Handrücken eine Locke ihres dunklen Haares aus der Stirn. „Stell dir vor, was für ein Glück …“ Aber dann sah sie Sabines Gesicht. „Was hast du?“ fragte sie erschrocken. „Ist etwas passiert?“

      „Gar nichts!“ Sabine sah ihre Mutter nicht an. Sie setzte ihre Mappe zu Boden, zog sich den Regenmantel aus.

      „Aber Sabine, mir kannst du doch nichts vormachen. Hat es Ärger gegeben?“

      „Nein“, sagte Sabine; aber sie konnte nicht verhindern, daß ihre Stimme bebte.

      „Doch, natürlich. Mich kannst du nicht täuschen.“ Frau Kern zog die Tür zur Wohnküche ins Schloß, denn drinnen saßen die beiden Buben, die nicht alles mit anhören sollten. „Erzähl mir’s!“

      „Da gibt’s nichts zu erzählen!“ Sabine zuckte die Achseln. „Sie waren gemein zu mir … alle.“

      „Das kann doch nicht sein!“

      „Wenn du mir nicht glaubst, was hat es denn dann für einen Sinn, dir etwas zu erzählen?“

      „Bitte, Sabine, sei vernünftig. Du bist noch fremd in der Klasse, da ist es doch selbstverständlich, daß … daß es eben eine Weile dauert, bis sie dich in ihren Kreis aufnehmen, die anderen Mädchen, meine ich. Ach herrje, hättest du bloß auf mich gehört! In diesem alten Kleid konntest du auch keinen guten Eindruck machen. Warum hast du es nicht zugelassen, daß ich dir etwas Neues, Schickes nähe?“

      „Weil es hinausgeworfenes Geld gewesen wäre“, sagte Sabine mürrisch. „Wie oft soll ich dir das noch erklären. Du hast grade genug zu tun gehabt mit dem Umzug.“

      „Ja, das stimmt.“ Frau Kerns Augen strahlten schon wieder. „Aber es hat sich gelohnt, Sabine, ich habe recht gehabt. Nicht nur, daß unsere neue Wohnung viel billiger ist, ich habe schon Kundschaft. Was sagst du jetzt? Frau Müller vom zweiten Stock hat sich ein Kleid bei mir bestellt. Was ganz Tolles, ein Cocktailkleid. Wir ziehen heute nachmittag zusammen los und kaufen einen Stoff ein.“

      „Gratuliere!“ sagte Sabine. Ihre Stimme klang freudlos.

      Frau Kern nahm ihre kleine Tochter in die Arme. „Mach doch nicht so ein Gesicht, Liebling! Sei doch ein bißchen vergnügt! Ich weiß, es war alles sehr schwer für dich … Vaters Tod, und daß es uns jetzt nicht mehr so gut geht wie früher. Aber es hat doch keinen Zweck, dauernd darüber nachzugrübeln. Das hilft nichts, wir müssen uns abfinden. Oder glaubst du, daß Vater sich freuen würde, wenn du so schlecht gelaunt bist?“

      „Ich bin nicht schlecht gelaunt“, sagte Sabine.

      „Um so besser. Dann komm jetzt rein. Es gibt Erbsensuppe und hinterher eine Überraschung. Schokoladenpudding!“ Frau Kern öffnete die Tür und ging voraus in die Wohnküche. Sabines Brüder, der neunjährige Kaspar und der siebenjährige Hannes, saßen am Tisch und machten Schularbeiten.

      „He, Sabine“, sagte Kaspar, „gut, daß du kommst. Ich habe heute was schrecklich Verzwicktes aufbekommen! Bitte erklär mir doch mal …“

      „Ich denke nicht daran!“

      „Na hör mal, Sabine, du könntest doch wirklich …“, sagte Frau Kern.

      „Warum soll ich? Kaspar kann ruhig seinen Kopf selber anstrengen. Mir hilft auch niemand.“

      Kaspar sprang auf. „Na so was! Und wer putzt dir die Schuhe, und wer …“

      „Bitte, Kaspar, schrei nicht so!“ sagte die Mutter. „Sabine hat Ärger in der Schule gehabt, deshalb ist sie jetzt schlechter Laune. Nach dem Essen wird sie dir auch bei deinen Schularbeiten helfen. Und jetzt macht den Tisch frei, damit wir essen können!“

      Die Buben räumten ihre Schulsachen weg. Behutsam verteilte Kaspar die Teller auf dem Tisch, Sabine das Besteck und Hannes, der Jüngste, die Servietten, wie sie es seit langem gewohnt waren.

      „Ich habe heute nachmittag keine Zeit“, sagte Sabine, „erstens habe ich selber ’ne Menge auf, und zweitens muß ich in die Stadt.“

      „Aber wieso denn?“ sagte Kaspar. „In die Stadt! Wenn ich das schon höre! Das ist doch alles bloß Wichtigmacherei!“

      „Denk, was du willst!“ Sabine setzte ihr hochmütigstes Gesicht auf.

      „Bitte, Sabine, sag schon!“ bettelte Hannes. „Was willst du in der Stadt? Willst du vielleicht was einkaufen? Eine Überraschung?“

      „Ach was. Auf so etwas kannst auch nur du kommen!“

      „Was willst du dann in der Stadt?“ Die Mutter verteilte Erbsensuppe in die Teller aus einer großen Terrine. „Nun red schon, Sabine!“ mahnte sie. „Du weißt, Geheimnistuerei kann ich nicht leiden!“

      „Ich muß zum Amtsarzt.“

      „Schon wieder? Du warst doch erst vor ein paar Monaten. Ich dachte, dein Attest gelte für zwei Jahre!“

      „Aber unser Klassenlehrer will es nicht anerkennen!“

      „Quatsch!“ sagte Kaspar. „Das muß er doch. Wenn jemand ein Attest hat …“

      „Er tut’s eben nicht. Wenn du so übergescheit bist, mein lieber Bruder, ich stelle dir frei, mal zu ihm zu gehen und mit ihm zu sprechen.“

      „Ach, wie ärgerlich für dich, Sabine“, sagte Frau Kern mitfühlend, aber dann hellte sich ihr Gesicht sogleich wieder auf. „Wer weiß, vielleicht


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