Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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kein rechtes Vertrauen ein. Er folgte ihm wortlos, während Claude von den Méhudins sprach. Es waren Fischhändlerinnen; die Ältere war prächtig; die Jüngere, die Süßwasserfische verkaufte, glich unter ihren Karpfen und Aalen einer blonden Madonna von Murillo. Dabei ereiferte er sich und rief, Murillo male wie ein Halunke. Dann blieb er plötzlich in der Straße stehen: Aber wohin wollen Sie eigentlich?

      Ich will nirgends hin, sagte Florent traurig. Gehen wir, wohin Sie wollen.

      Als sie die Pirouette-Straße verließen, ward Claude von jemandem gerufen. Die Stimme kam aus dem Laden eines Weinhändlers an der Straßenecke. Claude trat ein und zog Florent mit sich. Es war nur ein Flügel des Fensters geöffnet. In der noch schläfrigstillen Trinkstube brannte eine Gasflamme; ein vergessener Wischlappen und die Spielkarten von gestern lagen noch auf den Tischen umher; der zur offenen Türe eindringende Luftzug brachte einige Frische in den dumpfen, warmen Weingeruch. Der Besitzer, Herr Lebigre, bediente seine Kunden in einer Ärmelweste; sein Rundbart war noch wirr, sein breites, regelmäßiges Gesicht ganz verschlafen. Vor dem Schanktische standen Männer in Gruppen und tranken hustend, speiend, mit schlaftrunkenen Augen, durch einen Schluck Weißwein oder Schnaps sich völlig erweckend. Florent erkannte Lacaille, dessen Sack jetzt bis an den Rand mit Gemüsen angefüllt war. Er trank jetzt sein drittes Glas in Gesellschaft eines Kameraden, der ihm lang und breit den Ankauf eines Korbes Kartoffeln erzählte. Als er sein Glas geleert hatte, zog er sich mit Herrn Lebigre in eine anstoßende, noch nicht beleuchtete Stube zurück, um mit ihm von Geschäften zu reden.

      Was wollen Sie haben? fragte Claude Florent.

      Beim Eintritt in die Weinstube hatte er dem Manne, der ihn gerufen, die Hand gereicht. Es war ein kräftiger, schöner Junge von höchstens zweiundzwanzig Jahren, rasiert, nur mit einem kleinen Schnurrbart, mit heiterer Miene, bekleidet mit einem ärmellosen Wams über einer blauleinenen Jacke und einem breiten, weißen Hute. Claude nannte ihn Alexander, schlug ihn kräftig auf den Arm und fragte ihn, wann sie nach Charentonneau gehen wollten. Sie sprachen von einer großen Kahnpartie, die sie zusammen auf der Marne gemacht hatten. Am Abend hatten sie einen Kaninchenbraten gegessen.

      Was wollen Sie? wiederholte Claude.

      Florent betrachtete verlegen den Schanktisch. An seinem Ende standen Kesselchen voll Punsch und Glühwein, umzüngelt von den blauen und rosigen Flammen eines Gasofens. Er gestand endlich, daß er gern etwas Warmes nehmen werde. Herr Lebigre füllte drei Gläser mit Punsch. Neben den Teekesseln stand ein Körbchen voll ganz frischer, noch warmer Buttersemmeln. Aber weil die anderen nicht davon nahmen, begnügte sich auch Florent, sein Glas Punsch zu trinken; das Getränk rann wie geschmolzenes Blei in seinen leeren Magen. Alexander zahlte die Zeche.

      Ein guter Junge, dieser Alexander, sagte Claude, als die beiden wieder auf dem Fußweg der Rambuteau-Straße waren. Er ist sehr unterhaltend auf dem Lande; er macht die schönsten Kunststücke. Dabei ein hübscher, strammer Bursche. Ich habe ihn nackt gesehen; oh, wenn er mir im Freien Modell stehen wollte! ... Und jetzt, wenn's beliebt, wollen wir einen Gang durch die Hallen machen.

      Florent folgte ihm, überließ sich ihm. In der Tiefe der Rambuteau-Straße war es hell, der Tag kündigte sich an. Die laute Stimme der Hallen wurde vernehmlich; von Zeit zu Zeit zerschnitten Glockenklänge aus einem entfernten Pavillon dieses rollende, immer mehr anwachsende Geräusch. Sie betraten einen der gedeckten Gänge zwischen dem Pavillon für Seefische und dem Pavillon für geschlachtetes Geflügel. Florent erhob die Blicke und betrachtete das hohe Gewölbe, dessen inneres Holzgerüste zwischen dem schwarzen Spitzenwerk der gußeisernen Tragbalken schimmerte. Als er den großen Mittelgang erreichte, glaubte er eine seltsame Stadt vor sich zu haben mit ihren deutlich abgegrenzten Vierteln, ihren Vorstädten, Dörfern, Spazierwegen und Straßen, mit ihren Plätzen und Wegkreuzungen, eine Stadt, die irgendeine Riesenlaune an einem Regentage unter ein Dach gestellt hat. Der Schatten, der in den Höhlungen des Dachwerkes schlummerte, vervielfachte diesen Wald von Pfeilern, breitete ins Unendliche die zarten Rippen, die abgesonderten Galerien und Fensterreihen aus; und über dieser Stadt entfaltete sich bis in die Tiefe des Dunkels dort oben ein weites Wachsen, ein ungeheuerliches Sprießen und Entfalten von Metall, dessen Stengel, die in Bündeln emporstrebten, dessen Zweige, die sich krümmten und durcheinander schlangen, eine ganze Welt bedeckten mit ihrem leichten Laubwerk eines hundertjährigen Hochwaldes. Ganze Viertel schliefen noch hinter ihren verschlossenen Torgittern. Die Pavillons für Butter und Geflügel dehnten ihre kleinen vergitterten Verkaufsstände, ihre noch menschenleeren Gänge unter den Reihen von Gaslichtern dahin. Der Pavillon für Seefische war eben geöffnet worden; Frauen kamen und gingen über die blanken Steine des Pflasters, auf das da und dort ein vergessener Korb oder ein vergessenes Linnen seinen Schatten warf. In den Abteilungen für schwere Gemüse, Blumen und Früchte ward das Geräusch immer lauter; immer mehr erwachte das Leben in dieser Stadt, angefangen von dem volkreichen Viertel der Kohlköpfe, die schon um vier Uhr sich anhäufen, bis zu dem trägen und reichen Viertel, das erst um acht Uhr seine Häuser mit Fasanen und Truthühnern behängt.

      In den großen, bedeckten Gängen ward es immer lebendiger. Längs der Fußwege an den beiden Rändern legten noch immer Küchengärtner, kleine Landwirte aus der Umgebung von Paris, auf Körben ihre Ernte vom gestrigen Abend zum Verkauf aus, einige Bunde Gemüse, einige Handvoll Obst. Inmitten des unaufhörlichen Kommens und Gehens der Menge fuhren Wagen unter den Gewölben ein und verlangsamten den widerhallenden Trab ihrer Pferde. Zwei dieser Wagen, die man in die Quere gestellt und so gelassen hatte, versperrten den Weg. Um vorbeizukommen, mußte Florent sich auf einen der grauen Säcke stützen, die Kohlensäcken glichen und unter deren ungeheuerer Last die Achsen sich bogen. Diese feuchten Säcke hatten einen Geruch von frischem Seegras; der eine war an einem Ende geplatzt, ihm entquoll ein Häuflein schwarzer Miesmuscheln. Sie mußten jetzt bei jedem Schritte stille stehen. Die Seefische kamen an; die Rollwagen folgten einander und führten hohe Holzkäfige herbei, voll mit Körben, welche die Eisenbahnen schwer beladen vom Meere herbefördert hatten. Vor den immer dichter eintreffenden Seefischkarren flüchteten sie unter die Räder der Butter, Eier und Käse führenden Wagen, große, gelbe, vierspännige Fuhrwerke mit farbigen Laternen; kräftige Arme hoben die Eierkisten, die mit Butter und Käse bepackten Körbe ab und trugen sie nach dem Ausrufpavillon, wo Beamte in Dienstkappen die anlangenden Waren bei dem Gaslichte in kleinen Heften verzeichneten. Claude war entzückt über diesen Lärm; bei einer neuen Lichtwirkung, bei einer Gruppe von Trägern, bei dem Abladen eines Karrens konnte er längere Zeit verweilen. Endlich rissen sie sich los. Da sie noch immer den großen Mittelweg entlang schritten, gingen sie inmitten eines köstlichen Duftes, der sie umschwebte und ihnen zu folgen schien. Sie befanden sich auf dem Blumenmarkte. Auf den Quadern rechts und links saßen Frauen mit viereckigen Körben, die mit Rosen-, Veilchen-, Dahlien- und Maßliebchensträußen gefüllt waren. Die roten Rosen dunkelten wie Blutflecke, die weißen schimmerten in zartem Silbergrau. Neben einem dieser Körbe war eine Kerze angezündet, die auf all das Schwarze ringsumher helle Töne warf, die bunten Farben der Vergißmeinnichte, das Blutrot der Dahlien, das Blau der Veilchen, die helle Fleischfarbe der Rosen. Man konnte sich nichts Lieblicheres, nichts Lenzhafteres denken, als das Zarte dieses Duftes, dem man auf einem Fußweg begegnete, nach den scharfen Gerüchen der Seefische und dem Mißduft der Käseabteilung.

      Claude und Florent machten kehrt und verweilten unter den Blumen. Neugierig blieben sie vor den Frauen stehen, die regelmäßig gebundene Farrenkraut- und Weinlaubbüschel verkauften. Dann bogen sie in einen fast noch menschenleeren Gang ein, wo ihre Tritte widerhallten wie unter dem Gewölbe einer Kirche. Hier fanden sie einen kleinen Karren, mit einem ganz kleinen Esel bespannt, der sich ohne Zweifel langweilte und so laut und ausdauernd zu brüllen anfing, daß das Riesendach der Hallen davon erzitterte. Pferdegewieher antwortete darauf. In der Ferne hörte man ein Stampfen, ein Getöse, das anstieg, vorüberzog und sich wieder verlor. Gegenüber in der Hirtenstraße zeigten die weit geöffneten, kahlen Läden im grellen Gaslichte Haufen von Körben und Früchten zwischen den drei schmutzigen Mauern, die mit Rechnungen über und über bedeckt waren, die man mit dem Bleistifte darauf gekritzelt hatte. Während sie da standen, sahen sie eine fein gekleidete Dame, die in seliger Erschlaffung, in die Ecke eines Fiakers gedrückt saß, der durch dieses Gewühl von Menschen und Fuhrwerken sich gleichsam hindurchstahl.

      Aschenbrödel kehrt ohne Pantoffel heim, sagte Claude lächelnd.


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