Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.mich weiter nichts an. Wenn die Männer sie aufgefressen haben, bekommt sie von mir nicht einen Bissen Brot.
Sie waren so gut zu ihr... Sie sollte trachten, Geld zu erwerben. Der Obsthandel ist heuer sehr vorteilhaft... Und Ihr Schwager?
Oh, der...
Frau Lecoeur rümpfte die Nase und schien nicht mehr sagen zu wollen.
Also immer derselbe? fuhr Fräulein Saget fort. Ein schöner Herr das!... Ich habe mir erzählen lassen, daß er sein Geld in einer Weise ausgibt!...
Weiß man denn, ob er sein Geld überhaupt ausgibt? sagte Frau Lecoeur grob. Das ist ja ein Geheimtuer, ein Geizhals, der mich krepieren ließe, eher er mir hundert Sous liehe... Er weiß sehr wohl, daß Butter, Käse und Eier dieses Jahr keinen guten Preis haben, während er nicht genug Geflügel auftreiben kann. Glauben Sie, daß er mir auch nur ein einziges Mal seine Dienste angeboten habe? Ich bin zu stolz, um etwas anzunehmen; aber eine Freude würde es mir dennoch bereitet haben.
Dort geht er, Ihr Schwager, sagte Fräulein Saget mit gedämpfter Stimme.
Die Frauen wandten sich um und sahen einem Mann nach, der quer über die Straße ging, um den gedeckten Hauptgang zu betreten.
Ich habe Eile, sagte Frau Lecoeur; ich habe meinen Laden allein gelassen. Übrigens will ich auch nicht mit ihm sprechen.
Florent hatte sich unwillkürlich ebenfalls umgewandt. Er sah einen kleinen, vierschrötigen Mann mit zufriedener Miene, die grauen Haare kurz geschnitten, unter jedem Arm eine fette Gans, deren Kopf ihm an die Schenkel schlug. Plötzlich lief in einer freudigen Regung Florent, alle Müdigkeit vergessend, dem Manne nach. Als er ihn erreicht hatte, rief er:
Gavard! und schlug ihn dabei auf die Schulter.
Der andere blickte auf und betrachtete mit überraschter Miene dieses lange, schwarze Gesicht, das er nicht erkannte. Dann rief er plötzlich äußerst betroffen aus:
Sie! Sie! Sind Sie es denn wirklich?
Es fehlte nicht viel und er hätte seine fetten Gänse zu Boden fallen lassen. Er konnte sich nicht fassen. Doch als er seine Schwägerin und Fräulein Saget bemerkte, die aus der Ferne neugierig dieser Begegnung zusahen, ging er weiter und sagte:
Kommen Sie, wir wollen nicht stehen bleiben; es gibt überall zu viel Augen und Zungen.
Unter dem gedeckten Gange setzten sie ihr Gespräch fort. Florent erzählte, daß er in der Pirouette-Straße gewesen. Gavard fand es sehr drollig; lachend erzählte er ihm, daß sein Bruder Quenu seit langem ausgezogen sei und seinen Wurstladen da in der Nähe, Rambuteau-Straße, den Hallen gegenüber eröffnet habe. Was ihn noch mehr ergötzte, war, daß Florent den ganzen Morgen mit Claude Lantier umhergestreift sei, einem schnurrigen Kauz, der just ein Neffe der Frau Quenu war. Er schickte sich an, ihn zu dem Wurstladen zu führen. Als er erfuhr, daß Florent mit falschen Papieren nach Frankreich zurückgekehrt sei, nahm er eine geheimnisvolle und ernste Miene an. Er wollte fünf Schritte vor ihm gehen, um nicht die Aufmerksamkeit zu erwecken. Nachdem er den Geflügelpavillon durchschritten, wo er seine zwei Gänse an seiner Auslage aufhängte, ging er durch die Rambuteau-Straße, immer gefolgt von Florent. Da blieb er in der Mitte des Fahrweges stehen und zeigte ihm mit einem Augenzwinkern einen schönen, großen Wurstladen.
Das Sonnenlicht fiel schräg in die Rambuteau-Straße und beleuchtete die Vorderseite der Häuser, zwischen denen die Öffnung der Pirouette-Straße eine dunkle Höhlung bildete. Das große Schiff der Sankt-Eustach-Kirche am anderen Ende der Straße war ganz vergoldet im Lichte der Morgensonne und glich einem riesigen Reliquienschrein. Inmitten der Menge kam aus der Straßenkreuzung hervor eine Armee von Straßenkehrern in langer Linie mit den regelmäßigen Bewegungen ihrer Kehrbesen heran, während die Kehrichtabfuhrleute das Kehricht mit ihren Schaufeln in die großen Wagen warfen, die alle zwanzig Schritte hielten, wobei es rasselte wie von zerbrochenem Eßgeschirr. Doch Florent hatte nur mehr Interesse für den Wurstladen, der weit offen, im hellen Lichte der Morgensonne dalag.
Der Laden bildete fast die Ecke der Pirouette-Straße und es war eine Freude, ihn zu betrachten. Er lachte jeden an, so hell war er mit seinen lebhaften Farben, die sich so schön von dem Weiß des Marmors abhoben. Auf dem Firmenschilde leuchtete der Name Quenu-Gradelle in fetten Goldbuchstaben, von einem Rahmen aus Blätterwerk umgeben, auf zartem Grunde gemalt, das Ganze mit einer Glastafel überdeckt. Die beiden Seitentafeln der Auslage, gleichfalls gemalt und unter Glas, zeigten kleine pausbäckige Liebesgötter, die mitten unter den Schweinsköpfen, Koteletten und Wurststrängen spielten; und diese von Schnörkeln und Rosetten umgebenen Abbildungen hatten einen solchen zarten Aquarellton, daß das rohe Fleisch die rosige Farbe der Konfitüren gewann. In diesem verführerischen Rahmen erhob sich die Auslage. Sie stand auf einer Unterlage von ausgezacktem, blauem Papier. Da und dort wurde durch die geschickte Einfassung mittelst Farrenkrautes einzelnen Schüsseln das Aussehen eines von Grün umgebenen Blumenstraußes gegeben. Es war eine ganze Welt von feinen, fetten, im Munde zerfließenden Sachen. Ganz unten knapp an der Fensterscheibe stand eine Reihe von Gurkenbüchschen, untermischt mit kleinen Senftöpfchen; darüber schöne, feine Schinken ohne Knochen mit ihrer gefälligen, runden Form, der gelben Rinde, in einem grünen Busch endigend. Dann kamen die großen Schüsseln, geräucherte Straßburger Zungen, rot und glänzend neben den blassen Würsten und Schweinsfüßen; ferner dunkelrote Blutwürste, zusammengerollt wie gutmütige Schlangen; Leberwürste, zu zwei und zwei zusammengebunden, schier platzend von Frische und Gesundheit; feine Würstchen in Hüllen von Silberpapier; Pastetchen, noch heiß, auf kleinen Fähnchen Name und Preis angeschrieben; große Schinken, große Stücke Kalb- und Schweinefleisch, von einer Sülze umgeben, die klar war wie kandierter Zucker. Da waren ferner tiefe, breite Schüsseln, in denen kalte Braten und Klumpen von gehacktem Fleisch in geronnenem Fett ruhten. Zwischen den Schüsseln und Tellern standen auf der Unterlage von blauen Papierschnitzeln Becher mit eingemachten Früchten, Kraftbrühen und Trüffeln, Näpfe mit Gänseleberpastete, Büchsen mit Tunfisch und Sardinen. Ein Kistchen mit Rahmkäse und ein zweites Kistchen mit Schnecken, die mit Petersilienbutter gefüllt waren, standen nachlässig in den beiden Ecken. Ganz oben hingen an einer mit großen, eisernen Nägeln besetzten Querstange Kränze von großen und kleinen Würsten jeder Art, gleich den Schnüren und Troddeln prächtiger Vorhänge, während im Hintergrunde eine Anordnung von Fransen ihre weißen, mit Seide übersponnenen Spitzen sehen ließ. Auf der obersten Stufe dieses dem Magen erbauten Altars aber, umspielt von den Spitzen der Fransen, stand zwischen zwei Sträußen purpurroter Schwertlilien ein Aquarium, mit Grottenwerk umkleidet, und darinnen schwammen zwei Goldfischchen.
Florent fühlte, wie ein Schauer seinen Körper überflog, als er eine Frau auf der Schwelle des Ladens bemerkte, vom Sonnenschein umflossen. Sie erhöhte durch ihre Erscheinung den Eindruck der Fülle und des Wohlbehagens, den alle diese schönen, erquicklichen Sachen hervorbrachten. Sie war eine schöne Frau. Sie füllte die Türöffnung aus, obgleich sie nicht zu stark war; ihr voller Busen verriet die Reife der Dreißigerin. Sie war eben erst aufgestanden und doch war ihr Haar schon geordnet und legte sich in schönen, glatten Strähnen über die Schläfen. Es gab ihr ein sehr sauberes Aussehen. Ihr ruhiges Fleisch hatte die durchsichtige Weiße, die feine, rosige Haut der Personen, die unter Fett und rohem Fleisch leben. Sie hatte ein sehr ruhiges, mehr ernstes Aussehen; nur die Augen heiterten ihr Antlitz auf. Ihr weißer, gesteifter Kragen, der sich eng um den Hals legte, ihre weißen Manschetten, die bis zu den Ellenbogen reichten, ihre weiße Schürze, die so lang war, daß sie die Spitze ihrer Schuhe verhüllte, ließen nur schmale Streifen ihres schwarzen Kaschmirkleides, die runden Schultern, das volle Leibchen sehen, das den Stoff außerordentlich straff anspannte. Auf all dem vielen Weiß brannte die Morgensonne. Doch in das Licht getaucht, mit ihrem blauschwarzen Haar, ihrem rosigen Fleisch, den schimmernden Ärmeln und der Schürze, stand sie da, ohne auch nur mit den Augen zu zwinkern, und nahm in aller Ruhe ihr morgendliches Lichtbad, mit ihren sanften Augen die überquellenden Hallen anlächelnd. Sie hatte ein überaus ehrbares Aussehen.
Das ist die Gattin Ihres Bruders, Ihre Schwägerin Lisa, sagte Gavard zu Florent.
Er hatte sie mit einem leichten Kopfnicken gegrüßt. Dann betrat er den kleinen Gang, der ins Haus führte; er benahm sich noch immer mit einer ganz außerordentlichen Vorsicht,