Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.und traten aus dem blauen Schatten heraus, der auf der Erde lagerte. Die Salate, Lattiche und Endivien, erschlossen und noch feucht von dem Erdreich, zeigten ihren schimmernden Kern; die Spinat- und Sauerampferpakete, die Artischockensträuße, die Erbsen- und Bohnenhaufen, die Stöße von breitblätterigem Lattich, durch Strohhalme zusammengebunden, zeigten die ganze Stufenleiter des Grün, von der grünen Lackfarbe der Schoten angefangen bis zu dem satten Grün der Blätter; eine fortlaufende Farbenleiter, die in den Streifen der Sellerieköpfe und der Lauche erstarb. Aber unter den hellen Farben die hellsten waren doch die der Möhren und Rüben, die in überreicher Menge auf dem ganzen Markte ausgestreut, mit ihren hellen Streifen einen bunten Ton in diese Farbenpracht setzten. An der Wegkreuzung der Hallen bildeten die Kohlköpfe ganze Berge; die riesigen Weißkohlköpfe, eng zusammengeschlossen und hart wie Kugeln aus einem weißen Metall; die Krauskohlköpfe, deren große Blätter flachen Becken von Bronze glichen; die Rotkohlköpfe, denen die Morgenröte eine prächtige Weinhefefarbe verlieh, mit dunkleren Streifen von Karmin und Purpur. Am andern Ende war bei der Wegkreuzung des Sankt-Eustach-Platzes der Eingang der Rambuteau-Straße von einer Doppelreihe gelber Riesenkürbisse verlegt; da und dort schimmerte der braunrote Glanz eines Korbes voll Zwiebeln, das Blutrot eines Häufleins Tomaten, das Blaßgelb einer Partie Gurken, das Dunkelviolett eines Kranzes Eieräpfel, während einzelne Reihen großer schwarzer Rettiche dunkle Flecken inmitten aller Farbenfreude des anbrechenden Tages bildeten.
Claude schlug bei diesem Anblick entzückt die Hände zusammen. Er fand diese »vertrackten Gemüse« ganz außerordentlich, erhaben. Und er behauptete, daß sie nicht tot seien, daß sie, am gestrigen Abend aus dem Boden geholt, jetzt auf dem Pflaster der Hallen der Morgensonne harrten, um ihr Lebewohl zu sagen. Er sah sie leben, ihre Blätter erschließen, als ob sie noch ruhig und warm in ihren Düngerbeeten säßen. Er behauptete da das Röcheln aller Küchengärten der Umgegend zu hören. Doch hatte inzwischen eine Flut von weißen Hauben, schwarzen Leibchen und blauen Blusen die schmalen Pfade zwischen den Gemüsehaufen überschwemmt. Es war ein Stück geräuschvollen Landlebens. Die großen Butten der Träger zogen schwerbepackt und die Köpfe überragend vorüber. Die Wiederverkäuferinnen, die Grünkrämer und die Obsthändler beeilten sich, ihre Einkäufe zu machen. Bei den Kohlhaufen sah man Korporale und Nonnengruppen feilschen; Schulköche gingen witternd umher, um einen wohlfeilen Kauf zu suchen. Es wurde noch immer abgeladen; Karren warfen ihre Last zur Erde wie eine Ladung Pflastersteine und vergrößerten so die Flut, die allmählich den jenseitigen Fußweg erreichte. Und aus der Pont-Neuf-Straße kamen noch immer neue Wagenreihen.
Es ist doch herrlich schön! murmelte Claude begeistert.
Florent aber litt inzwischen. Er glaubte, es sei eine übermenschliche Versuchung über ihn gekommen. Er wollte nichts sehen; er betrachtete die schräg gestellte Sankt- Eustach-Kirche, die wie eine Sepiazeichnung sich vom blauen Himmel abhob mit ihren Rosetten, breiten, gewölbten Fenstern, ihrem Glockenturm und ihren Schieferdächern. Er verweilte bei dem dunklen Verschwimmen der Montorgueil- Straße, wo grell bemalte Aushängeschilder glänzten; dann bei dem hier sichtbaren Stück der Montmartre-Straße, deren mit vergoldeten Lettern durchflochtene Balkongitter herüber schimmerten. Als seine Blicke zur Wegkreuzung zurückkehrten, blieben sie an anderen Firmenschildern haften; da gab es Drogerien und Apotheken, Mehl und trockene Gemüse, alles in großen roten oder schwarzen Buchstaben auf verwaschenem Grunde gemalt. Die Eckhäuser mit ihren schmalen Fenstern erwachten allmählich und zeigten in der breiten, luftigen, neuen Pont- Neuf-Straße einige gelbe, gemütliche Vorderseiten aus dem alten Paris. An der Ecke der Rambuteau-Straße standen in den leeren Schaufenstern des großen Modewarenmagazins sauber gekleidete Handlungsgehilfen mit Weste, knapp anliegendem Beinkleide und schimmernden breiten Manschetten, mit der Ordnung der Auslagen beschäftigt. Weiterhin stand das Haus Guillout, ernst wie eine Kaserne, und stellte in seinen Schaufenstern Pakete goldgelb schimmernden Zwiebacks und große Schüsseln kleiner Kuchen aus. Alle Läden waren jetzt geöffnet. Arbeiter in weißen Blusen mit ihrem Werkzeug unter dem Arm gingen eiligen Schrittes durch die Straße.
Claude war von seiner Bank noch immer nicht herabgestiegen. Er erhob sich auf die Fußzehen, um tiefer in die Straßen hineinsehen zu können. Plötzlich bemerkte er in der Menge, die er überragte, einen blonden Kopf mit vollem, wallendem Haar, gefolgt von einem kleinen schwarzen, ganz krausen und struppigen Kopfe.
He, Marjolin! he, Cadine! rief er.
Da seine Stimme in dem Getöse des Marktes ungehört verhallte, sprang er zur Erde und begann zu laufen. Dann erinnerte er sich, daß er Florent vergaß; mit einem Satz kehrte er zurück und sagte:
Ich wohne im Bourdonnais-Gäßchen; mein Name ist mit Kreide auf der Haustüre angeschrieben. Claude Lantier ... Kommen Sie zu mir, um meine Zeichnung von der Pirouette-Straße zu besichtigen.
Damit verschwand er. Er wußte den Namen Florents nicht; er verließ ihn wie er ihn gefunden hatte, am Rande eines Bürgersteiges, nachdem er ihm seine Lieblingsrichtung in der Kunst erklärt hatte.
Florent war allein. Zuerst war er froh ob dieser Einsamkeit. Seitdem Frau François ihn in der Neuilly-Allee aufgelesen, befand er sich wie in einem Traume, einem Leide, das ihm jede klare Vorstellung der Dinge unmöglich machte. Er war endlich frei; er wollte sich aufrichten, diesen unerträglichen Traum von ungeheuren Nahrungsmitteln abschütteln, von dem er sich verfolgt fühlte. Allein sein Kopf war hohl; er konnte in seinem Innern nichts anderes als eine dumpfe Furcht entdecken. Es ward immer heller; man konnte ihn jetzt sehen, und er betrachtete sein Beinkleid und seinen Rock, die in einem kläglichen Zustande waren. Er knöpfte den Rock zu, staubte das Beinkleid ab, suchte sein Äußeres ein wenig in Ordnung zu bringen, weil er glaubte, daß diese erbärmlichen Lumpen ganz laut verkündeten, woher er komme. Er saß mitten auf der Bank neben armen Teufeln, Nachtschwärmern, die hier den Sonnenaufgang erwarteten. Die Hallen bieten den Vagabunden gastliche Unterkunft für die Nacht. Zwei Polizisten gingen, noch in ihrer Nachtausrüstung, mit Kapuze und Käppi nebeneinander mit den Händen auf dem Rücken auf und ab; jedesmal wenn sie bei der Bank vorüber kamen, warfen sie einen Blick auf das Wild, das sie da witterten. Florent bildete sich ein, daß sie ihn erkannten und sich berieten, ihn festzunehmen. Da ergriff ihn die Angst, und es überkam ihn ein tolles Verlangen zu fliehen. Aber er wagte es nicht; er wußte nicht, wie er von dannen gehen solle. Die regelmäßigen Blicke der Polizisten, dieses langsame und kalte Prüfen war ihm eine Qual. Endlich verließ er die Bank; er mußte sich Gewalt antun, um nicht zu laufen, was seine Beine ihn tragen konnten, und entfernte sich mit langsamen Schritten, die Schultern einziehend, aus Furcht, die schweren Hände der Polizisten an seinem Kragen zu fühlen.
Er hatte nur mehr einen Gedanken, ein Bedürfnis: sich von den Hallen zu entfernen. Er wird noch warten und später suchen, wenn der Platz frei ist. Die bei der Wegkreuzung zusammenlaufenden drei Straßen, die Montmartre-Straße, die Montorgueil-Straße und die Turbigo-Straße beunruhigten ihn; sie waren mit Fuhrwerken jeder Gattung angefüllt und Gemüse bedeckten die Fußwege. Er ging also geradeaus, bis zur Pierre-Lescot-Straße, wo er auf den Kressen- und Kartoffelmarkt stieß und nicht weiter konnte. Da zog er vor, durch die Rambuteau-Straße zu gehen. Doch hier geriet er in ein solches Wirrsal von Möbelwagen, Karren und Fuhrwerken, daß er kehrtmachte, um in die Saint-Denis-Straße einzubiegen. Hier befand er sich wieder mitten in den Gemüsen. An beiden Rändern der Straße hatten die Markthändler ihre Verkaufsstände – auf hohen Körben quer liegende Bretter – aufgeschlagen und die endlose Flut von Kohl, Möhren und Rüben begann von neuem. Die Hallen überquollen von ihrem Reichtum. Er suchte diesem Meer zu entkommen, das auf seiner Flucht ihn erreichte; er versuchte es mit der Cossonnerie-Straße, Hirtenstraße, mit dem Innocenzplatz, mit der Eisenstraße und mit der Hallenstraße. Endlich blieb er entmutigt und erschreckt stehen; er vermochte diesem höllischen Wirbel der Kräuter nicht zu entrinnen, die ihn umschwirrten und mit ihren dünnen grünen Fäden ihm die Beine fesselten. In der Ferne verlor sich bis zur Rivoli-Straße, bis zum Rathausplatz, die endlose Reihe der Räder und Pferde in dem Durcheinander der aufgeladenen Waren; große Möbelwagen führten den Einkauf der Obsthändler eines ganzen Stadtviertels hinweg; Fuhrwerke, deren Seiten unter der schweren Last schier barsten, fuhren nach den Vorstädten ab. In der Pont-Neuf-Straße verirrte er sich völlig; er war mitten in ein Gewühl von Handkarren geraten; die Grünkramhändler putzten da ihr rollendes Warenlager auf. Unter ihnen erkannte er Lacaille,