Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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überbot ihn noch in den Lobsprüchen. Doch lachte er hellauf, als eines Tages ein Nachbar ihn damit neckte, er sei in Lisa verliebt. Die Liebe plagte ihn nicht. Sie waren sehr gute Freunde. Am Abend gingen sie zusammen hinauf, um sich zu Bette zu begeben. Neben dem dunkeln Loche, wo Quenu schlief, bewohnte Lisa ein Kämmerchen, das sie ganz hell zu machen wußte, indem sie es überall mit Mousselinevorhängen schmückte. Sie verweilten einen Augenblick mit dem Leuchter in der Hand auf dem Flur und plauderten, während sie ihre Türen aufsperrten. Dann schlossen sie die Türe mit dem Gruße:

      Gute Nacht, Fräulein Lisa!

      Gute Nacht, Herr Quenu!

      Während Quenu zu Bett ging, hörte er Lisa in ihrem Kämmerchen herumwirtschaften. Die Bretterwand war so dünn, daß er jeder ihrer Bewegungen folgen konnte. Er dachte sich: »Schau, schau! Sie zieht ihre Fenstervorhänge zu; was mag sie nur vor ihrer Kommode machen? Jetzt setzt sie sich nieder, um ihre Stiefelchen auszuziehen. Nun hat sie ihre Kerze ausgelöscht. Gute Nacht, schlafen wir!« Und wenn er das Bett krachen hörte, murmelte er lachend: »Ja, sie ist nicht leicht, das Fräulein Lisa.« Dieser Gedanke erheiterte ihn. Er schlief endlich ein mit dem Gedanken an die Schinken und Würste, die am nächsten Tage bereitet werden sollten.

      Dies währte ein Jahr, ohne daß Lisa auch nur einmal errötet, oder Quenu in Verlegenheit gekommen wäre. Am Morgen bei der Arbeit, wenn Lisa in die Küche kam, begegneten sich wohl ihre mit dem Hackfleisch beschäftigten Hände. Sie half ihm zuweilen; sie hielt mit ihren fetten Fingern die Därme, während er sie mit gehacktem Fleisch und Speck füllte. Oder sie kosteten zusammen das rohe Wurstfleisch, um zu sehen, ob es auch genügend gewürzt sei. Sie war eine gute Beraterin; sie kannte die im Süden gebräuchliche Art der Zubereitung, und er versuchte diese Art mit Erfolg. Oft merkte er, daß sie so dicht hinter ihm stehe und in die Töpfe gucke, daß er ihren starken Busen an seinem Rücken fühlte. Sie reichte ihm, wenn nötig, einen Löffel oder eine Schüssel. Das große Feuer erhitzte sie, daß sie ganz rot wurden. Er würde um nichts in der Welt in dem Umrühren des Breies innegehalten haben, der sich am Feuer verdickte, während sie sehr ernst von dem Grade sprach, bis zu welchem das Kochen fortgesetzt werden müsse. Wenn nachmittags der Laden leer war, plauderten sie ruhig stundenlang. Sie saß ein wenig zurückgelehnt vor ihrem Zahlpulte und strickte mit regelmäßigen Bewegungen ihrer Hände. Er saß auf einem Block und schlug mit den Stiefelabsätzen an das Holz. Sie verständigten sich vortrefflich; sie sprachen von allem, zumeist von der Küche, dann vom Oheim Gradelle und von den Leuten des Stadtviertels. Sie erzählte ihm Geschichten wie einem Kinde; sie wußte sehr hübsche, Wundermärchen voll Lämmerchen und kleiner Engel, die sie mit flötender Stimme und mit ihrer ernsten Miene vortrug. Wenn ein Kunde kam, bat sie den jungen Mann, um sich nicht selber bemühen zu müssen, der Käuferin das Töpfchen Schweineschmalz oder die Büchse Schnecken zu reichen. Um elf Uhr gingen sie dann hinauf schlafen ganz so wie am vorhergegangenen Abend; während sie ihre Türe schlossen, grüßten sie mit ihrer ruhigen Stimme:

      Gute Nacht, Fräulein Lisa!

      Gute Nacht, Herr Quenu!

      Eines Morgens ward der Onkel Gradelle, während er mit der Zubereitung einer Sülze beschäftigt war, vom Schlage gerührt. Er fiel mit der Nase auf den Tisch und war tot. Lisa verlor ihre Kaltblütigkeit nicht. Sie sagte, man dürfe den Toten nicht in der Küche lassen, und ließ ihn nach der Hinterstube schaffen, wo der Onkel zu schlafen pflegte. Dann vereinbarte sie mit dem Gehilfen eine ganze Geschichte; es mußte heißen, der Onkel sei in seinem Bette gestorben, wenn man nicht wolle, daß die Kundschaft einen Ekel bekomme und ausbleibe. Quenu half den Toten hineintragen und war ganz erstaunt darüber, daß ihm um den toten Oheim keine Träne kam. Später weinten er und Lisa zusammen. Er war nebst seinem Bruder Florent der einzige Erbe. Die Klatschbasen der benachbarten Straßen behaupteten, der alte Gradelle müsse ein ansehnliches Vermögen haben. In Wahrheit fand man nicht einen Taler. Lisa war unruhig. Quenu sah sie nachdenklich; vom Morgen bis zum Abend blickte sie umher, als ob sie etwas verloren habe. Endlich beschloß sie eine große Säuberung im Hause; man klatsche in der Nachbarschaft, sagte sie; die wahre Geschichte von dem Tode des Alten sei ruchbar geworden, und man müsse einen Beweis großer Reinlichkeit liefern. Als sie eines Nachmittags zwei Stunden im Keller gewesen, wo sie selbst die Pökelfässer ausgescheuert hatte, erschien sie plötzlich wieder und hielt etwas in der Schürze. Quenu hackte Schweinsleber. Sie wartete, bis er fertig war, und plauderte inzwischen ganz ruhig mit ihm. Nur ihre Augen schimmerten ganz ungewöhnlich, und sie hatte ihr schönstes Lächeln, als sie sagte, daß sie mit ihm sprechen wolle. Sie stieg mühsam die Treppe hinan, durch die Sache, die sie trug und die ihre Schürze zum Reißen spannte, am Gehen behindert. Im dritten Stockwerk angelangt, mußte sie sich einen Augenblick an das Geländer lehnen, um auszuschnaufen. Quenu folgte ihr erstaunt und ohne ein Wort zu sagen, in ihre Kammer. Es war das erstemal, das sie ihn einlud, daselbst einzutreten. Sie verschloß die Türe, ließ die Zipfel ihrer Schürze, die ihre starren Finger kaum mehr zu halten vermochten, los und schüttete einen Regen von Gold- und Silbermünzen auf ihr Bett hin. Auf dem Boden eines Pökelfasses hatte sie den Schatz des Onkels Gradelle gefunden. Der Haufe machte eine tiefe Grube in dem weichen Bett des jungen Mädchens.

      Die Freude Lisas und Quenus war eine innige, geräuschlose. Sie setzten sich auf den Bettrand, Lisa zu Häupten, Quenu zu Füßen, zu beiden Seiten des Geldhaufens; und sie zählten das Geld auf der Bettdecke, um kein Geräusch zu verursachen.

      Es waren vierzigtausend Franken in Gold, dreitausend Franken in Silber und – in einer Blechbüchse – zweiundvierzigtausend Franken in Banknoten. Es währte zwei Stunden, bis sie alles Geld zusammengezählt hatten. Quenus Hände zitterten ein wenig; Lisa mußte beim Zählen das Hauptwerk tun. Sie richteten die Goldstöße auf dem Polster auf und ließen das Silber in der Grube der Bettdecke. Als sie die für sie ungeheure Ziffer von fünfundachtzigtausend Franken festgestellt hatten, begannen sie zu plaudern. Natürlich sprachen sie von der Zukunft, von ihrer Ehe, ohne daß jemals zwischen ihnen von Liebe die Rede gewesen wäre. Dieses Geld schien ihnen die Zunge zu lösen. Sie hatten sich es auf dem Bette noch bequemer gemacht, hatten sich unter den weißen Mousselinevorhängen an die Mauer gelehnt, die Beine über das Bett gestreckt. Da während ihres Geplauders ihre Hände in dem Gelde wühlten, begegneten sie sich da und vergaßen sich ineinander inmitten der Hundertsousstücke. So überraschte sie die Abenddämmerung. Jetzt erst errötete Lisa darüber, daß sie sich an der Seite dieses jungen Mannes sah. Sie hatten das Bett völlig in Unordnung gebracht, daß die Bettücher überall herunterhingen; auf dem Polster, der sie trennte, bildeten die Goldstöße kleine Vertiefungen, als ob liebeglühende Köpfe sich da gewälzt hätten.

      Sie erhoben sich verlegen mit der verwirrten Miene von Liebenden, die soeben ihren ersten Fehltritt begangen. Dieses zerwühlte Bett mit dem Geld klagte sie einer verbotenen Freude an, die sie hinter verschlossener Tür genossen. So war ihr Sündenfall beschaffen. Lisa, die ihre Kleider ordnete, als ob sie Schlimmes verübt hätte, holte jetzt ihre zehntausend Franken herbei. Quenu verlangte, daß sie sie zu den fünfundachtzigtausend Franken des Oheims lege. Er mengte lachend die zwei Summen durcheinander, indem er sagte, auch das Geld müsse sich verloben. Sie kamen überein, daß Lisa den Schatz in ihrem Kasten verwahren solle. Als sie das Geld verschlossen und das Bett wieder in Ordnung gebracht hatte, gingen sie hinab. Sie waren so gut wie Mann und Frau.

      Die Hochzeit fand im nächsten Monate statt. Das Stadtviertel fand diese Ehe natürlich, durchaus schicklich. Man wußte beiläufig die Geschichte von dem Schatze, und die Rechtschaffenheit Lisas war der Gegenstand endloser Lobeserhebungen; sie hätte ja schließlich dem Quenu die Sache verheimlichen und die Taler für sich behalten können; wenn sie dennoch gesprochen, so geschah es aus purer Ehrbarkeit, da ja niemand sie gesehen hatte. Sie verdiente es sehr wohl, daß Quenu sie zur Frau nahm. Dieser Quenu hatte Glück; er war nicht schön und fand eine schöne Frau, die ihm einen Schatz ausgrub. Die Bewunderung ging so weit, daß man schließlich ganz leise sagte, »Lisa sei wirklich dumm, getan zu haben, was sie getan.« Lisa lächelte, wenn man ihr in halb verhüllten Worten von diesen Dingen sprach. Sie und ihr Mann lebten wie früher in guter Freundschaft und glücklichem Frieden. Sie half ihm bei der Arbeit, begegnete seinen Händen in dem Hackfleisch, neigte sich über seine Schulter, um einen Blick in die Töpfe zu werfen. Es war nicht immer das große Herdfeuer allein, was ihnen heiß machte.

      Lisa war


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