Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.gern wieder in das Pökelfaß zurückgelegt haben, bis er noch mehr dazu erworben habe, sie würden sich dann nach Suresnes zurückgezogen haben, einem Vorort von Paris, der ihnen sehr gefiel. Allein sie hatte einen andern Ehrgeiz. Die Pirouette-Straße stimmte nicht zu ihren Gedanken von Sauberkeit, zu ihrem Bedürfnisse nach Licht, Luft und Gesundheit. Der Laden, wo der Onkel Gradelle Sou für Sou seinen Schatz gesammelt hatte, war eine Art dunkler Schlauch, einer jener fragwürdigen Wurstläden der alten Stadtviertel, deren Fliesen trotz des Scheuerns den starken Geruch des Fleisches behalten. Die junge Frau aber träumte von einem jener hellen, modernen Läden, die prächtig eingerichtet sind wie ein Salon und den Schimmer ihrer Spiegelscheiben auf den Fußweg einer breiten Straße werfen. Es war dies bei ihr keineswegs die kleinliche Begierde, hinter einem eleganten Zahlpulte die Dame zu spielen, sondern sie war sich der prunkvollen Anforderungen des modernen Handels vollkommen bewußt. Quenu war anfänglich erschrocken, als sie ihm davon sprach, umzusiedeln und einen Teil ihres Geldes auf die Ausschmückung eines neuen Ladens zu verwenden. Doch sie zuckte lächelnd die Achseln.
Als es eines Abends schon dunkel und der Laden noch nicht beleuchtet war, hörten die Ehegatten eine Frau, die vor der Ladentür zu einer anderen sagte:
O nein! ich kaufe da nicht mehr ein; ich möchte von da nicht ein Endchen Wurst nehmen, meine Liebe ... Sie hatten einen Toten in ihrer Küche!
Quenu weinte vor Schmerz, als er dies hörte. Die Geschichte von dem Toten in der Küche machte die Runde. Er errötete schließlich vor den Kunden, wenn er sah, wie sie an der Wurst rochen. Darum war er es, der den Gedanken der Umsiedelung vor seiner Frau zuerst wieder erwähnte. Sie hatte sich inzwischen, ohne etwas zu sagen, mit dem neuen Laden beschäftigt; in unmittelbarer Nähe in der Rambuteau-Straße, wundervoll gelegen, hatte sie einen solchen gefunden. Die Zentralmarkthallen, die gegenüber eröffnet wurden, mußten die Kundschaft verdreifachen, dem Hause in ganz Paris einen Ruf verschaffen. Quenu ließ sich zu unsinnigen Ausgaben hinreißen; er verwendete über dreißigtausend Franken auf Marmor, Vergoldungen und Spiegel. Lisa verbrachte Stunden bei den Arbeitern und gab ihre Ansicht über die geringsten Einzelheiten an. Als sie endlich vor ihrem Zahlpulte Platz nehmen konnte, kamen die Leute scharenweise zu ihnen einkaufen, bloß um den neuen Laden zu sehen. Die Mauern waren völlig mit weißem Marmor bekleidet; an der Decke befand sich ein riesiger, viereckiger Spiegel in einer breiten, reich geschnitzten Goldeinfassung; in der Mitte hing ein vierarmiger Kronleuchter; hinter dem Zahlpulte war ebenfalls ein das ganze Wandfeld ausfüllender Spiegel, links noch einer und im Hintergrunde des Ladens noch mehrere Spiegel, die zwischen Marmortafeln ganze Ströme von Licht ausgössen und den Laden mit seinen leckeren Warenvorräten ins Unendliche zu vervielfältigen schienen. Rechts von der Türe stand das große Zahlpult, das die Kunden ganz besonders schön gearbeitet fanden; in die einzelnen Felder waren runde Flächen von rosafarbenem Marmor eingelassen; der Fußboden war mit weißen und rosa Marmorquadern ausgelegt, die ein Saum von dunkelrotem Marmor einrahmte. Das Stadtviertel war stolz auf seinen Wurstladen; niemand dachte mehr an die Küche in der Pirouette-Straße, wo ein Toter gelegen. Einen Monat hindurch blieben die Nachbarinnen auf dem Fußweg stehen, um durch die Servelatwürste und die Spitzenvorhänge des Schaufensters Lisa zu betrachten. Man bewunderte ihr weißes und rosiges Fleisch ebenso wie den Marmorzierat des Ladens. Sie erschien wie die Seele, das lebendige Licht, die kräftige starke Göttin dieses Ladens. Man nannte sie nur die schöne Lisa.
Rechts vom Laden lag das Speisezimmer, ein sehr sauber gehaltenes Gemach mit einem Speiseschrank, einem Tische und Sesseln, alles in hellem Eichenholz. Die Matte, die den Fußboden bedeckte, die zartrosafarbens Papiertapete, die Tischdecke von Wachsleinwand, die das Eichenholz nachahmte, – alles verlieh dem Gemach einen etwas kühlen Anstrich, der nur erhellt ward durch den Glanz der von der Zimmerdecke herabhängenden Kupferlampe, deren breite Kugel von durchsichtigem Porzellan den Tisch beherrschte. Von dem Speisezimmer gelangte man in die geräumige Küche; jenseits dieser lag ein kleiner, gepflasterter Hof, wo die Töpfe, Fässer, außer Gebrauch stehenden Gerätschaften aufbewahrt wurden; links von dem Brunnen beendeten die welken Blumen der Auslage ihr Dasein, neben der Ausgußrinne, wohin die Schmutzwässer geschüttet wurden.
Das Geschäft ging vortrefflich. Quenu, den anfänglich die großen Auslagen erschreckt hatten, empfand eine gewisse Achtung vor seiner Frau, die – wie er versicherte – »ein gescheiter Kopf« war. Nach Verlauf von fünf Jahren hatten sie nahe an achtzigtausend Franken in guten Renten angelegt. Lisa erklärte, sie seien nicht ehrgeizig und wollten nicht allzuschnell Reichtümer sammeln; ihr Mann könne Tausende und Abertausende gewinnen, wenn sie ihn in den Großhandel mit Schweinen drängen werde; sie seien noch jung und hätten noch Zeit; auch liebten sie nicht die schmutzige Arbeit; sie wollten nach ihrem Gutdünken arbeiten, ohne sich Sorgen aufzuladen, wie vernünftige Leute, die gut leben wollen.
Sehen Sie, pflegte Lisa, wenn sie gerade redseliger gestimmt war, hinzuzufügen, ich habe in Paris einen Vetter. ... Ich sehe ihn nur selten, denn die zwei Familien sind entzweit. Er hat den Namen Saccard angenommen, um gewisse Dinge in Vergessenheit geraten zu lassen ... Nun, dieser Vetter gewinnt Millionen, wie mir gesagt wurde. Er lebt gar nicht, er schindet sich zu Tode, treibt sich fortwährend in allerlei Teufelsgeschäften herum. Der kann doch unmöglich des Abends seine Mahlzeit in Ruhe verzehren. Wir wissen wenigstens, was wir essen; wir kennen die Plackereien nicht. Unsereins liebt das Geld nur, weil man es braucht, um zu leben. Man lebt gern behaglich, das ist nur natürlich. Wenn ich erwerben sollte, bloß um zu erwerben; wenn ich mich mehr abrackern sollte, als ich nachher Freude am Erworbenen haben könnte: meiner Treu, da möchte ich lieber die Hände in den Schoß legen ... Dann möchte ich die Millionen meines Vetters erst noch sehen. Ich glaube nicht so leichthin an die Millionen. Ich habe ihn neulich in seinem Wagen gesehen; er war ganz gelb und hat recht grämlich dreingeblickt. Ein Mann, der Geld gewinnt, sieht nicht so aus. Übrigens ist dies seine Sache ... Wir wollen immer lieber nur fünf Franken erwerben, aber die sollen auch unser sein.
Ihr Haus gedieh denn auch in der Tat. Sie hatten gleich im ersten Jahre ihrer Ehe eine Tochter bekommen. Die drei Leute waren eine Freude zum Anschauen. Das Haus kam in erfreulicher Weise empor ohne allzu viele Mühe, ganz wie Lisa es wollte. Sie hatte alle möglichen Ursachen des Verdrusses aus dem Wege geräumt und ließ die Tage in dieser Luft des Behagens und der Wohlhabenheit dahinfließen. Es war ein Winkel vernünftigen Glückes, eine bequeme Krippe, an der Vater, Mutter und Tochter sich mästeten. Nur Quenu war zuweilen betrübt, wenn er an seinen armen Florent dachte. Bis zum Jahre 1856 empfing er von Zeit zu Zeit Briefe von ihm. Dann blieben die Briefe aus; er erfuhr durch eine Zeitung, daß drei Deportierte von der Teufelsinsel hatten entfliehen wollen und ertrunken seien, ehe sie die Küste erreichten. Auf der Polizeipräfektur konnte man ihm keine genauen Nachrichten geben; sein Bruder mußte tot sein. Indes bewahrte er noch einige Hoffnung; allein, die Monate gingen dahin. Florent, der im holländischen Guyana sich herumtrieb, hütete sich zu schreiben, weil er immer hoffte, nach Frankreich zurückkehren zu können. Quenu beweinte ihn schließlich wie einen Toten, der ohne Lebewohl von hinnen geschieden war. Lisa kannte Florent nicht. Sie fand Worte des Trostes, wenn ihr Mann sich der Betrübnis hingab; sie ließ ihn zum hundertsten Male die Jugendgeschichten erzählen, von der großen Stube in der Royer-Collard-Straße, von den zahllosen Handwerken, die er gelernt, von den Leckerbissen, die er auf dem Zimmerofen zubereitet, ganz weiß gekleidet, während Florent völlig schwarz gekleidet war. Ruhig und mit unendlicher Geduld hörte sie ihn an.
Inmitten dieses klug eingerichteten, zufriedenen Lebens tauchte Florent an einem Septembermorgen plötzlich auf in der Stunde, da Lisa ihr Lichtbad in der Frühsonne nahm und Quenu, noch halb verschlafen, nachlässig seine Finger in das geronnene Fett von gestern steckte. Der ganze Laden kam in Aufruhr. Gavard riet, daß man den »Geächteten«, wie er ihn nannte, verstecke. Lisa, noch bleicher und ernster als sonst, ließ ihn schließlich in das fünfte Stockwerk hinaufsteigen, wo sie ihm die Kammer ihres Ladenmädchens einräumte. Quenu hatte ihm Brot und Schinken abgeschnitten; allein Florent konnte kaum essen; er ward von Schwindel und Übelkeiten befallen. Er legte sich ins Bett und blieb fünf Tage ohne Bewußtsein, von einem Kopffieber bedroht, das glücklicherweise energisch bekämpft wurde. Als er das Bewußtsein wieder erlangte, sah er Lisa zu Häupten seines Bettes, wie sie geräuschlos mit einem Löffel in einer Tasse rührte. Als er ihr danken wollte, sagte sie ihm, er solle sich ruhig verhalten, man werde später reden. Nach weiteren drei Tagen war der Kranke auf den Beinen. Eines