Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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hatte übrigens auf die Mode ihrer Zeit niemals verzichten wollen; sie behielt das Kleid mit dem Rankenmuster, das gelbe Tuch und die Helmhaube der klassischen Fischweiber, auch die laute Stimme, die flinken Bewegungen, die in die Seite gestemmten Fäuste, die Zungengeläufigkeit mit der vollen Kenntnis des Fischmarktkatechismus. Ihr tat es leid um den Innocenz-Markt; sie sprach von den ehemaligen Rechten der Hallendamen und mengte in ihre Geschichten von den Faustschlägen, die mit Polizeiinspektoren gewechselt wurden, Erzählungen von Besuchen bei Hofe, zur Zeit Karls X. und Louis-Philipps, im Seidenkleide und mit großen Blumensträußen in der Hand. Die Mutter Méhudin, wie man sie nannte, war zu Saint-Leu lange Zeit die Fahnenträgerin des frommen Vereins von der heiligen Jungfrau gewesen. Bei den Umzügen und in der Kirche trug sie ein weißes Kleid und eine ebensolche Haube mit Seidenbändern und hielt mit ihren fetten Fingern die vergoldete Stange der reichbefransten Seidenfahne mit dem gestickten Muttergottesbilde sehr hoch.

      Man erzählte sich im Stadtviertel, die Mutter Méhudin habe viel Vermögen erworben. Man sah es ihr nicht an, höchstens an dem massiven Geschmeide, mit dem sie an Festtagen Hals und Arme schmückte. Später konnten ihre zwei Töchter sich nicht miteinander vertragen. Die jüngere, Claire, eine träge Blonde, klagte über die Roheiten Louisens und sagte mit ihrer schleppenden Stimme, sie werde niemals die Magd ihrer Schwester sein. Da sie schließlich gerauft haben würden, trennte sie ihre Mutter. Sie überließ Louisen ihren Verkaufsstand in der Abteilung für Seefische. Claire, die vom Rochen- und Heringsgeruch hustete, begann einen Handel mit Süßwasserfischen. Obgleich sie geschworen hatte, sich zurückzuziehen, ging die Mutter von der einen zur anderen, mengte sich in den Verkauf und verursachte ihren Töchtern viel Verdruß durch ihre schmutzigen Frechheiten.

      Claire war ein phantastisches Geschöpf, sehr sanft und doch stets im Streite. Sie handelte immer nur nach ihrem Kopfe, sagte man. Mit ihren träumerischen, keuschen Gesichte hatte sie einen stummen Eigensinn, einen Geist der Unabhängigkeit, der sie dazu trieb, für sich allein zu leben; sie nahm nichts so auf wie die anderen, war an einem Tage von einer unbeugsamen Rechtlichkeit, am anderen Tage von einer empörenden Ungerechtigkeit. Oft brachte sie den ganzen Markt dadurch in Aufruhr, daß sie ohne erklärlichen Grund die Preise erhöhte oder verringerte. Ihre angeborne Feinheit, ihre zarte Haut, die das Wasser der Fischbehälter immer frisch erhielt, ihr kleines Gesicht von verschwommener Zeichnung, ihre geschmeidigen Glieder mußten, wenn sie sich einmal den Dreißigern näherte, schwerfällig werden und in die Breite gehen. Allein mit zweiundzwanzig Jahren war sie eine Madonna von Murillo inmitten ihrer Karpfen und Aale, wie Claude Lantier oft sagte, ein Murillo, der oft mit struppigem Haar erschien, mit plumpen Schuhen und mit Kleidern, die wie mit der Hacke zugeschnitten waren und sie kleideten wie ein Brett. Sie war gar nicht eitel und zeigte oft große Verachtung, wenn Louise, mit ihren Bandschleifen Staat machend, sie wegen ihres schief geknüpften Busentuchs neckte. Man sagte, daß der Sohn eines reichen Kaufmanns aus dem Stadtviertel in der Welt herumreiste aus Wut darüber, daß er von ihr kein freundliches Wort hatte erlangen können.

      Louise, die schöne Normännin, hatte sich zärtlicher gezeigt; ihre Heirat mit einem Angestellten der Kornhalle war eine abgemachte Sache, als ein stürzender Mehlsack den jungen Mann erschlug. Nichtsdestoweniger genas sie sieben Monate später eines kräftigen Knaben. In der Umgebung der Méhudin betrachtete man die schöne Normännin als Witwe. Die alte Fischhändlerin pflegte zu sagen: »Als mein Schwiegersohn noch lebte ...«

      Die Méhudin waren eine Macht. Als Herr Verlaque Florent in seine neuen Obliegenheiten völlig eingeführt hatte, empfahl er ihm, gewisse Händlerinnen mit Rücksicht zu behandeln, wenn er sich das Leben nicht unmöglich machen wolle. Er trieb die Teilnahme so weit, daß er ihn in die kleinen Geheimnisse des Amtes einweihte, wie man da ein Auge zudrücken, dort eine gewisse Strenge heucheln müsse, und welches die kleinen Geschenke seien, die man annehmen dürfe. Ein Aufseher ist gleichzeitig ein Polizeikommissar und ein Friedensrichter, der auf dem Markte die Ordnung und den Anstand aufrecht erhält und die kleinen Streitigkeiten zwischen Käufern und Verkäufern schlichtet. Florent, der von schwachem Charakter war, wurde überstreng und schoß über das Ziel, so oft er sein amtliches Ansehen geltend machen sollte; die Bitterkeit, die seine langen Leiden in ihm zurückgelassen und sein finsteres Pariagesicht waren ein Nachteil mehr für ihn.

      Die Taktik der schönen Normännin war die, einen Streit mit ihm anzufangen. Sie hatte geschworen, daß er seinen Platz nicht zwei Wochen behalten dürfe.

      Ei, sagte sie eines Morgens zu Frau Lecoeur, der sie begegnete, – glaubt etwa die schöne Lisa, uns aufhalsen zu können, was sie stehen gelassen? ... Wir haben einen besseren Geschmack als sie ... Ihr Schatz ist abscheulich!

      Wenn Florent nach der Versteigerung seinen Rundgang durch die überschwemmten Gänge machte, sah er sehr wohl die schöne Normännin, die mit einem frechen Lachen ihm nachblickte. Ihr Verkaufstisch in der zweiten Reihe links, in der Nähe der Süßwasserfische, stand der Rambuteau-Straße gegenüber. Sie verfolgte ihr Opfer mit den Augen und machte sich mit ihren Nachbarinnen über ihn lustig. Wenn er mit langsamen Schritten, gleichsam die Pflastersteine zählend, an ihr vorüberkam, tat sie ungeheuer lustig, schlug auf die Fische, sperrte den Wasserhahn weit auf und überschwemmte den Gang mit Wasser. Florent aber blieb unempfindlich.

      Allein eines Morgens brach fatalerweise der Krieg aus.

      Als an jenem Tage Florent sich dem Verkaufstische der schönen Normännin näherte, verspürte er einen unerträglichen Mißduft. Auf der Marmorplatte lag ein prächtiger Lachs, schon angeschnitten, und zeigte die zartrote Farbe seines Fleisches; ferner waren da Steinbutten weiß wie Sahne, Meeraale, mit schwarzen Nadeln durchstochen, die die Schnitte bezeichneten, Seezungenpaare, Rotfedern, Barben, eine ganze Sammlung frischer Fische. Inmitten dieser Fische mit lebendigen Augen und noch blutenden Kiemen lag ein großer, rötlicher Rochen, schwarz gefleckt, in allerlei seltsamen Farbenmischungen schillernd; der große Rochen war faul, der Schwanz hing schlaff herab, die Fischbeine der Flossen durchstachen die steife Haut.

      Der Rochen muß weggeworfen werden, sagte Florent näher tretend.

      Die schöne Normännin kicherte. Er blickte auf und sah sie, wie sie an den bronzenen Pfahl der zwei Gaslaternen gelehnt stand, die die vier Plätze einer jeden Fischbank beleuchten. Sie schien ihm sehr groß, weil sie auf einer Kiste stand, um ihre Füße vor Nässe zu schützen. Sie spitzte die Lippen, war noch schöner als sonst; das mit Löckchen gezierte Haupt war ein wenig gesenkt, die allzu roten Hände steckten in den Öffnungen der schneeweißen Wollschürze. Noch niemals hatte er so viel Geschmeide an ihr gesehen; sie trug lange Ohrgehänge, eine Halskette, eine Brustnadel, ganze Reihen von Ringen an zwei Fingern der Linken und an einem Finger der Rechten.

      Als sie fortfuhr, ihn von unten nach oben zu betrachten, ohne zu antworten, wiederholte er.

      Hören Sie? Der Rochen muß weg!

      Er hatte die Mutter Méhudin nicht bemerkt, die in einem Winkel auf einem Sessel saß. Sie erhob sich mit ihrer doppelzipfeligen Sturmhaube, stemmte die Fäuste auf den Tisch und sagte in frechem Tone:

      Schau, schau! Warum sollte sie den Rochen wegwerfen? ... Sie werden ihn doch nicht bezahlen! ...

      Florent begriff. Die anderen Fischweiber grinsten höhnisch. Er fühlte, daß es eine geheime Empörung wider ihn gebe, die nur eines Losungswortes harrte, um loszubrechen. Er hielt an sich, zog unter der Bank den Spülichtkübel hervor und warf den Fisch hinein. Schon stemmte die Mutter Méhudin die Fäuste in die Seiten; allein die schöne Normännin schwieg und ließ nur ein boshaftes Kichern vernehmen; Florent ging weiter und tat, als höre er das Gejohle nicht, das ihn verfolgte.

      Jeden Tag wurde etwas Neues gegen den Aufseher ausgeheckt. Er konnte nur mehr mit mißtrauisch wachsamen Blicken durch die Gänge gehen, als sei er in Feindesland. Wurden die Schwämme ausgespritzt, so bekam er davon weg; jeden Augenblick strauchelte er über Abfälle, die Träger stießen ihn mit ihren Körben in den Nacken. Als eines Morgens zwei Fischweiber miteinander in Streit geraten waren und er herbeieilte, um Frieden zwischen ihnen zu stiften, mußte er sich rasch bücken, um nicht eine Handvoll Klieschen ins Gesicht zu bekommen, die nach ihm geschleudert wurden. Es wurde darüber viel gelacht und er glaubte immer, daß die beiden Fischweiber mit den Méhudin im Einverständnis gewesen. In seinem ehemaligen Beruf als armer Lehrer hatte er gelernt,


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