Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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der frische Windhauch, der von dem scharfen Seegeruch der Schalentiere bis zu dem herben Dampf der eingesalzenen Fische dahinstrich. Bei den eingesalzenen Fischen beendete der Aufseher gewöhnlich seinen Rundgang; die Kisten voll Heringe, die Sardinen von Nantes, auf einem Lager von Blättern ruhend, die eingerollten Schellfische, alles von dicken, faden Marktweibern bewacht, erinnerten ihn an eine Abreise zur See, unter Tonnen voll Pökelfleisch und eingesalzener Fische. Des Nachmittags aber wurde es in den Hallen still und schläfrig. Er schloß sich in seinem Büro ein, brachte seine Schriftsachen in Ordnung und genoß da seine besten Stunden.

      Wenn er herauskam und den Fischmarkt durchschritt, fand er ihn fast verödet. Das Drängen, Stoßen, Lärmen, wie es um zehn Uhr gewesen, war dann verschwunden. Die Fischweiber saßen vor ihren leeren Tischen und strickten, den Rücken zurückgelehnt; nur selten zeigte sich noch eine verspätete Hauswirtin, die mit den forschenden Blicken der Frauen herumging, die den Preis ihres Essens auf einen Heller berechnen. Die Dämmerung brach herein; die Kisten wurden zurechtgerückt und die Fische über Nacht auf Eis gelegt. Florent wartete dann noch, bis die Gittertore geschlossen wurden und nahm den Fischgeruch in seinen Kleidern, in seinem Bart und Haar mit.

      Die ersten Monate war ihm dieser durchdringende Geruch nicht allzu widerwärtig. Der Winter war streng; der Frost verwandelte die Gänge in Spiegel; die Eiszapfen bildeten Spitzen an den Marmortischen und an den Brunnen. Des Morgens mußten kleine Kohlenpfannen unter den Wasserhähnen angezündet werden, damit man einen dünnen Wasserfaden erhalte. Die gefrorenen Fische mit gekrümmtem Schwänze, farblos und hart wie matt geschliffenes Metall, klangen dumpf auf den Tischen, wie graues Gußeisen. Bis zum Februar sah der Pavillon trostlos aus in seinem Leichentuch von Eis. Dann kam der März mit seinem Tauwetter, mit Regen und Nebeln. Da tauten auch die Fische auf und schwammen wieder; Gerüche von verdorbenem Fleisch mengten sich mit den faden Gerüchen des Schlammes, die von den benachbarten Straßen kamen; es war ein noch unbestimmter Mißduft, ein anwidernder, süßlicher Geruch von Feuchtigkeit, der über dem Boden schwebte. Dann, an den heißen Juninachmittagen, stieg der Gestank empor und sättigte die Luft mit pestilenzialischen Dämpfen. Man öffnete die oberen Fenster; große Vorhänge von grauer Leinwand schützten gegen die sengenden Sonnenstrahlen; ein Feuerregen fiel auf die Hallen nieder und durchhitzte sie wie einen eisernen Ofen. Nicht das leiseste Lüftchen regte sich, um den faulen Fischgestank wegzufegen. Die Verkaufsbänke dampften.

      Florent litt durch diese Anhäufung von Nahrung, in deren Mitte er lebte. Der Ekel vor dem Wurstzeug kehrte ihm noch unerträglicher wieder. Er hatte solche furchtbare Gerüche schon ertragen, aber sie kamen nicht aus dem Magen. Sein enger Magen eines hageren Menschen drehte sich um, wenn er an diesen Fischen vorüberkam, die in der großen Hitze faul wurden. Sie nährten ihn mit ihren starken Gerüchen und erstickten ihn, als habe er eine starke Verdauungsstörung infolge der Gerüche gehabt. Wenn er sich in seinem Büro einschloß, folgte ihm der Ekel dahin, drang durch die Ritzen der Tür und des Fensters ein. An trüben Tagen war der kleine Raum ganz dunkel; es war gleichsam eine lange Dämmerung mitten in einem ekelerregenden Sumpfe. Von nervösen Beklemmungen ergriffen, hatte er oft das Bedürfnis zu gehen und stieg in die Keller hinunter, die breite Treppe benützend, die mitten im Pavillon hinabführte. Hier in der eingeschlossenen Luft, in dem Zwielicht, das die wenigen Gasflammen verbreiteten, fand er die Frische des reinen Wassers wieder. Er blieb vor dem großen Behälter stehen, wo die lebenden Fische in Vorrat gehalten werden; er lauschte dem ununterbrochenen Geplätscher der vier Wasserstrahlen, die aus den vier Winkeln der Zentralurne flossen, um sich unter den Drahtdeckeln der mittelst Schlüssel abgesperrten Becken mit dem sanften Gemurmel eines Wasserlaufes zu einer Fläche zu vereinigen. Diese unterirdische Quelle, dieser im Schatten plätschernde Bach beruhigte ihn. Er ergötzte sich auch des Abends an dem schönen Sonnenuntergang, der die feinen Spitzen der Hallen schwarz von den roten Lichtern des Himmels abzeichnete; das Fünfuhrlicht, der tanzende Staub der letzten Strahlen: sie drangen durch alle Öffnungen, durch alle Spalten der Vorhänge ein; es war wie ein leuchtendes Bild, in dem sich die dünnen Rippen der Pfeiler, die eleganten Biegungen der Gerüste, die geometrischen Figuren der Dächer abzeichneten. Er sättigte seine Blicke an diesem ungeheueren Musterriß, der mit chinesischer Tusche auf leuchtendes Velinpapier aufgetragen schien, und nahm seinen Traum wieder auf von einer kolossalen Maschine mit ihren Rädern, Hebeln, Balancierstangen, wie er sie im tiefen Rot des in dem Kessel flammenden Kohlenfeuers erblickte. So änderte das Spiel der Lichter jede Stunde das Aussehen der Hallen, von dem zarten Blau des Morgens und den dunklen Schatten des Mittags bis zu dem Feuerbrande der untergehenden Sonne, der in dem Aschgrau der Dämmerung erstarb. An den flammenden Abenden jedoch, wenn die Gerüche aufstiegen und gleich heißen Dämpfen die großen, goldigen Strahlen durchzitterten, erfaßte ihn von neuem der Ekel, und sein Traum verwandelte sich dermaßen, daß er an riesige Schwitzkammern dachte, an ekelhafte Kufen eines Abdeckers, in denen das ungesunde Fett eines ganzen Volkes schmelzen werde.

      Auch litt er durch die gemeine Umgebung, deren Worte und Gebärden ebenfalls einen üblen Duft zu haben schienen. Dennoch war er gutmütig und keineswegs scheu. Die Frauen allein waren für ihn eine Ursache der Verlegenheit. Er fühlte sich nur behaglich im Gespräch mit der Mutter François, die er wieder angetroffen hatte. Sie zeigte eine so aufrichtige Freude, ihn in fester Stellung, zufrieden und frei von Not, wie sie sagte, wiederzusehen, daß er davon völlig gerührt wurde. Lisa, die Normännin und die anderen Frauen beunruhigten ihn mit ihrem Lachen. Ihr würde er alles erzählt haben. Sie lachte nicht, um sich über ihn lustig zu machen; sie lachte wie eine Frau, die sich des Glückes anderer freut. Auch war sie eine tüchtige, wackere Frau; im Winter, wenn es fror, war ihr Geschäft gar schwer und zur Regenzeit noch schwerer. An manchen Morgen sah Florent sie bei fürchterlichen Wolkenbrüchen eintreffen, oder bei einem langsamen, kalten Regen, der seit dem vorhergehenden Tage fiel. Auf dem Wege von Nanterre bis Paris waren die Räder des Karrens bis zu den Naben im Schmutz eingesunken und Balthasar war schmutzig bis an den Bauch. Sie beklagte das arme Tier und trocknete es mit alten Schürzen ab.

      Diese Tiere sind so weichlich, pflegte sie zu sagen; im Nu haben sie eine Kolik weg ... Ach, mein armer Balthasar. Als wir über die Brücke von Neuilly kamen, regnete es so stark, daß ich glaubte, wir führen durch die Seine.

      Balthasar ward in die Herberge gebracht, während sie selbst im Regengusse verblieb, um ihre Gemüse zu verkaufen. Das Pflaster verwandelte sich in ein Meer von flüssigem Schlamm. Die Kohlköpfe, die gelben und die weißen Rüben wurden von dem grauen Regen auf die Straße hinausgeschwemmt. Es war nicht mehr das herrliche Grünzeug, wie an sonnenhellen Tagen. Die Gemüsegärtner hockten unter ihren Mänteln und schalten die Hallenverwaltung, die nach gepflogener Untersuchung erklärt hatte, daß der Regen den Gemüsen nicht schade, und daß es unnötig sei, die Krautgärtner unter Dach und Fach zu bringen.

      Die Regentage brachten Florent zur Verzweiflung. Er dachte an Frau François. Er entschlüpfte, um eine Weile mit ihr zu plaudern. Aber er fand sie niemals traurig; sie schüttelte sich wie ein Pudel und sagte, sie habe schon andere Stürme gesehen und sei nicht von Zucker, um bei den ersten Wassertropfen zu zerfließen. Er nötigte sie, für einige Minuten unter einen gedeckten Gang zu flüchten; mehrmals führte er sie sogar zu Herrn Lebigre, wo sie ein Glas Glühwein tranken. Während sie ihn mit ihrem ruhigen Antlitz freundlich betrachtete, war er glücklich über diesen gesunden Geruch der Felder, den sie in die schlechte Luft der Hallen mitbrachte. Sie roch nach Erde, nach Heu, nach frischer Luft, nach dem freien Himmel.

      Sie müssen nach Nanterre kommen, mein Junge, sagte sie. Sie sollen einmal meinen Gemüsegarten sehen; alle Wege sind mit Thymian eingesäumt ... Dieses verteufelte Paris stinkt ganz abscheulich! ...

      Und sie ging wassertriefend ihres Weges. Florent war ordentlich erfrischt, wenn er sie verließ. Er versuchte auch zu arbeiten, um die nervösen Beklemmungen zu bekämpfen, an denen er litt. Er war ein glücklicher Mensch, der die genaue Verwendung seiner Stunden oft übertrieb. Er schloß sich an zwei Abenden der Woche ein, um ein großes Werk über Cayenne zu schreiben. Sein Schülerzimmer sei vortrefflich, dachte er, um ihn zu beruhigen und zur Arbeit zu stimmen. Er zündete im Kamin ein Feuer an, sah nach, ob der Granatenbaum sich wohlbefinde; dann zog er den kleinen Tisch näher ans Feuer und blieb bis Mitternacht bei der Arbeit. Er hatte das Gebetbuch und den Traumdeuter in den Hintergrund des Schubfaches geschoben, das sich allmählich mit Notizen, fliegenden Blättern und Manuskripten jeder Art füllte. Die


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