Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.Aber Mama, du stößest mich am Ellenbogen und ich kann nicht schreiben! rief Feinchen zornig. Da, jetzt habe ich ein Schwein gemacht. Rücke doch ein wenig weiter!
Allmählich kam sie so weit, von der schönen Lisa viel übles zu reden. Sie behauptete, daß Lisa ihr Alter verleugne, daß sie sich zum Ersticken schnüre; wenn sie am Morgen zum Vorschein komme, sei sie geziert und geschniegelt, daß kein Härchen höher stehe, als die anderen; aber entkleidet müsse sie scheußlich sein. Dann hob sie ein wenig die Arme, um zu zeigen, daß sie zu Hause kein Mieder trage; und sie bewahrte ihr Lächeln und richtete ihren herrlichen Oberkörper auf, den man unter dem dünnen Jäckchen leben und blühen sah. Dadurch ward die Lektion unterbrochen. Feinchen sah mit Interesse zu, wie seine Mutter die Arme emporhob. Florent hörte zu, ja er lachte sogar und dachte sich, daß die Weiber doch drollig seien. Die Gegnerschaft zwischen der schönen Normännin und der schönen Lisa ergötzte ihn.
Inzwischen schrieb Feinchen seine Seite voll. Florent, der eine schöne Hand schrieb, machte ihm Mustervorlagen, Papierstreifen, auf die er ihm in großen und halbgroßen Buchstaben lange Worte schrieb, die fast eine Zeile einnahmen. Er schrieb Worte wie »tyrannisch, freiheitsmörderisch, verfassungswidrig, aufrührerisch« – oder er ließ das Kind Sätze schreiben, wie die folgenden: »Der Tag der Gerechtigkeit wird kommen« – »Das Leiden des Gerechten ist die Verdammung des Bösen« – »Wenn die Stunde schlägt, wird der Schuldige fallen«. Indem er diese Schriftmuster machte, folgte er einfach den Gedanken, die seinen Kopf beschäftigten; er vergaß Feinchen, die schöne Normännin, alles, was ihn umgab. Feinchen würde auch den »Sozialen Vortrag« des Rousseau niedergeschrieben haben; er schrieb ganze Seiten voll mit »tyrannisch« – »verfassungswidrig« und zeichnete jeden Buchstaben nach der Vorlage ab.
Solange der Lehrer da war, trieb sich Frau Méhudin brummend um den Tisch herum. Sie nährte gegen Florent noch immer Rachegefühle. Sie meinte, es sei unsinnig, den Kleinen des Abends dermaßen zum Lernen anzuhalten und er sollte lieber schlafen. Sie würde den »langen Mageren« sicher an die Luft gesetzt haben, wenn nicht die schöne Normännin nach einer sehr stürmischen Auseinandersetzung rundheraus erklärt hätte, daß sie eine andere Wohnung beziehen würde, wenn sie nicht mehr bei sich empfangen könne, wen sie wolle. Im übrigen erneuerte sich der Streit allabendlich.
Du magst sagen, was du willst, er hat einen bösen Blick, wiederholte die Alte. Den Mageren traue ich nicht. Ein magerer Mensch ist zu allem fähig. Ich habe niemals einen getroffen, der gut gewesen wäre. Dieser trägt den Bauch sicherlich in den Hosen, denn er ist platt wie ein Brett ... Und häßlich dazu! ... Ich bin fünfundsechzig Jahre alt, aber ich möchte ihn nachts nicht auf meiner Stube haben.
Sie sagte dies, weil sie wohl merkte, welche Wendung die Dinge nahmen. Sie sprach mit Bewunderung von Herrn Lebigre, der sich in der Tat der schönen Normännin gegenüber sehr galant zeigte. Er witterte da eine fette Mitgift und dachte, die junge Frau werde hinter dem Zahlpulte eine prächtige Figur machen. Die Alte war unerschöpflich an Lobsprüchen für Herrn Lebigre; dieser sei doch wenigstens nicht »ausgeronnen«; er sei sicherlich stark wie ein Türke; sie ging so weit, seine dicken Waden zu bewundern. Doch die Normännin zuckte mit den Achseln und erwiderte scharf:
Was kümmern mich seine Waden? Ich brauche niemandes Waden ... Ich tue, was ich will.
Wenn die Mutter nicht nachgab und gar zu deutlich wurde, schrie die Tochter:
Das hat Euch nicht zu kümmern! ... Es ist übrigens nicht wahr; und wenn es wahr wäre, würde ich nicht erst Euch um Erlaubnis fragen. Laßt mich in Frieden!
Sie ging in ihre Stube und schlug die Türe heftig zu. Sie hatte im Hause eine Macht erlangt, die sie mißbrauchte. Die Alte erhob sich des Nachts, wenn sie ein Geräusch zu vernehmen glaubte, und schlich barfüßig zur Türe Louisens, um zu forschen, ob Florent nicht bei ihr sei. Doch dieser hatte im Hause der Méhudin eine noch schlimmere Feindin. Sobald er erschien, erhob sich Claire wortlos, nahm ihren Leuchter und ging in ihre Kammer, die auf der anderen Seite des Flurs lag. Als eines Abends ihre Schwester den Lehrer zum Essen einlud, kochte Claire besonders für sich und aß in ihrer Kammer. Manchmal schloß sie sich so beharrlich ein, daß man sie eine Woche lang nicht zu Gesichte bekam. Dabei war sie weichlich und starrsinnig und hatte einen argwöhnischen Blick unter ihrem reichen, rötlich blonden Haar. Die Mutter Méhudin, die bei ihr sich erleichtern zu können glaubte, machte sie nur wütend, wenn sie von Florent sprach. Zum äußersten getrieben schrie dann die Alte, daß sie auf und davon gehen werde, wenn sie nicht fürchten müsse, daß ihre zwei Töchter sich gegenseitig auffressen würden.
Als Florent eines Abends fortging, kam er an Claires Türe vorüber, die weit offen stand. Sie war sehr rot, während sie ihn betrachtete. Die feindselige Haltung des Mädchens kränkte ihn; nur seine Schüchternheit den Frauen gegenüber hinderte ihn, eine Erklärung herbeizuführen. Er wäre diesen Abend sicherlich in ihr Zimmer eingetreten, wenn er nicht im oberen Stockwerk das kleine, weiße Gesicht des Fräulein Saget, die sich über das Geländer beugte, wahrgenommen hätte. Er ging vorüber und er war noch nicht zehn Stufen hinabgestiegen, als die Türe Claires so heftig zugeschlagen wurde, daß das ganze Stiegenhaus davon erzitterte. Bei dieser Gelegenheit gewann Fräulein Saget die Überzeugung, daß der Vetter der Frau Quenu mit den zwei Schwestern Méhudin schlafe.
Florent dachte gar nicht an diese schönen Mädchen. Er behandelte die Frauen gewöhnlich wie ein Mann, der kein Glück bei ihnen hat. Auch verträumte er zuviel von seiner Männlichkeit. Er kam so weit, daß er eine wahrhafte Freundschaft für die Normännin empfand; sie hatte ein gutes Herz, wenn sie sich nicht erzürnte. Aber weiter ging er nicht. Wenn sie des Abends beim Lampenschein ihren Sessel näher rückte, wie um sich über das Geschreibsel des Knaben zu neigen, fühlte er mit einem gewissen Unbehagen ihren mächtigen und warmen Körper neben sich. Mit ihrem Riesenbusen schien sie ihm ungeheuer, sehr schwerfällig, fast beunruhigend; er zog seine spitzigen Ellenbogen, seine dürren Schultern ein, in einer unbestimmten Furcht, sie in dieses Fleisch zu stoßen. Seine mageren Knochen zitterten vor einer Berührung mit fetten Brüsten. Er senkte den Kopf und machte sich noch dünner, belästigt durch den kräftigen Hauch, der von ihr ausging. Wenn ihr Nachtjäckchen sich ein wenig öffnete, glaubte er zwischen zwei weißen Wölbungen einen Dampf des Lebens, einen Hauch der Gesundheit aufsteigen zu sehen, der ihm warm ins Gesicht drang, gleich einem Qualm der Hallen an heißen Sommerabenden. Es war ein beharrlicher Geruch, der an dieser seidenweichen Haut haftete, ein Fettschweiß der Fische, hervordringend aus den herrlichen Brüsten, aus den königlichen Armen, der geschmeidigen Taille, etwas Rauhes in ihren Frauengeruch mengend. Sie hatte es mit allen wohlriechenden Ölen versucht und nahm reichliche Waschungen mit frischem Wasser vor; allein, sobald die Frische des Bades sich verflüchtigt hatte, führte das Blut den faden Geruch der Lachse, den Moschusgeruch der Spieringe, die Schärfe der Heringe und Rochen bis in die Spitzen der Glieder zurück. Aus dem Schütteln ihrer Röcke ging dann ein Dampf hervor; sie ging wie inmitten einer Ausdünstung von Sumpfröhricht; mit dem großen Körper einer Göttin, ihrer wunderbaren Reinheit und Blässe, war sie wie ein schönes, altertümliches Marmorbild, das im Meere treibt und in dem Netze eines Sardinenfischers ans Land gezogen wird. Florent litt durch ihre Nähe; er trug kein Begehren nach ihr, denn seine Sinne waren in Aufruhr durch die Nachmittage, die er auf dem Fischmarkte zubrachte; er fand sie aufregend, zu sehr nach Salz riechend, zu bitter, von einer zu breiten Schönheit und einem zu starken Geruch.
Fräulein Saget schwor bei allen Göttern, daß Florent der Liebhaber der Normännin sei. Sie hatte sich wegen eines Sandaals um zehn Sous mit ihr entzweit. Seit dieser Zeit bekundete sie große Freundschaft für die schöne Lisa. So hoffte sie rascher das zu erfahren, was sie »die Machenschaften der Quenus« nannte. Da Florent ihr noch immer ein Rätsel blieb, war sie »ein Körper ohne Seele«, wie sie selbst sagte, ohne den Grund ihres Leides zu gestehen. Ein Mädchen, das einem Burschen nachläuft, hätte nicht trostloser sein können als diese fürchterliche Alte, als sie merkte, daß das Geheimnis des Vetters ihr entging. Sie bespähte den Vetter, verfolgte ihn, beobachtete ihn mit wütendem Grimme, weil es ihrer brünstigen Neugier nicht gelang, ihn in ihre Gewalt zu bekommen. Seitdem er zu den Méhudin kam, stand sie fast unablässig an dem Treppengeländer. Dann begriff sie, daß die schöne Lisa sehr verdrossen war wegen der Besuche Florents bei »diesen Weibern«. Jeden Morgen brachte sie ihr Nachrichten