Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.wiederholte nur mit ihrer zirpenden Stimme:
Gestern war er wieder bei ihnen ... Er steckt immer dort. Die Normännin hat ihn auf dem Flur ihren »Liebsten« genannt.
Sie log ein wenig, um länger bleiben und sich die Hände wärmen zu können. Am Morgen nach dem Tage, an dem sie Florent aus der Stube Claires kommen zu sehen glaubte, eilte sie herbei und dehnte die Geschichte eine halbe Stunde aus. Es sei jetzt geradezu eine Schmach; der Vetter gehe vom Bette der einen zum Bette der anderen.
Ich habe ihn gesehen, sagte sie. Wenn er von der Normännin genug hat, schleicht er auf den Fußzehen zur kleinen Blonden. Gestern verließ er die Blonde und kehrte ohne Zweifel zur großen Braunen zurück, als er mich erblickte, worauf er kehrtmachte. Die ganze Nacht höre ich die zwei
Türen auf- und zugehen; es nimmt gar kein Ende ... Und diese alte Méhudin, die in einem Kabinett zwischen den Stuben ihrer Töchter schläft! ...
Lisa machte ein verächtliches Mäulchen. Sie sprach wenig und ermutigte das Geschwätz des Fräuleins Saget nur durch ihr Stillschweigen. Sie hörte aufmerksam zu, und wenn die Einzelheiten gar zu schlüpfrig wurden, murmelte sie: Nein, nein, das ist denn doch nicht erlaubt! ... Ist es möglich, daß es solche Weiber gibt?
Darauf erwiderte Fräulein Saget, daß allerdings nicht alle Frauen so ehrbar seien wie Lisa. Dann zeigte sie sich sehr nachsichtig für den Vetter. Ein Mann läuft eben jeder Schürze nach ... und Florent sei doch nicht verheiratet ... vielleicht. Und sie stellte wie unabsichtlich verschiedene Fragen. Allein Lisa gab niemals ein Urteil über den Vetter ab; sie zuckte nur mit den Achseln und spitzte die Lippen. Wenn Fräulein Saget fort war, betrachtete die Metzgerin mit angewiderter Miene den Deckel des Ofens, wo die Alte die Spuren ihrer kleinen Hände zurückgelassen hatte.
Augustine, rief sie dann, bringen Sie doch einen Wischlappen, um den Ofen abzuwischen. Es ist ekelhaft!
Die Feindschaft der schönen Lisa und der schönen Normännin gestaltete sich furchtbar. Die schöne Normännin war überzeugt, daß sie ihrer Gegnerin einen Liebhaber weggenommen habe; die schöne Lisa aber war wütend auf diese Nichtsnutzige, die sie schließlich noch kompromittieren mußte, indem sie diesen duckmäuserischen Florent an sich zog. Jede brachte ihr Temperament in diese Feindschaft mit; die eine war ruhig, geringschätzig und benahm sich wie eine Frau, die ihre Röcke aufhebt, um sich nicht zu beschmutzen; die andere war frecher, brach in eine unverschämte Heiterkeit aus und nahm die ganze Breite des Fußweges ein wie ein Händel suchender Klopffechter. Wenn sie sich einmal trafen, so hatte der Fischmarkt einen ganzen Tag davon zu reden. Wenn die schöne Normännin die schöne Lisa auf der Schwelle ihres Ladens erblickte, machte sie einen Umweg, um bei ihr vorbeizukommen, sie mit ihrer Schürze zu streifen; dann kreuzten sich die Blicke ihrer schwarzen Augen wie zwei Degen, mit dem flüchtigen Blitz und der scharfen Spitze des Stahls. Die schöne Lisa nahm ihrerseits, wenn sie auf den Fischmarkt kam, eine Miene des Ekels an, sobald sie sich der Fischbank der schönen Normännin näherte; sie kaufte bei einer Nachbarin einen großen Fisch, einen Steinbutt, einen Lachs und legte ihr Geld breit auf den Tisch hin, weil sie bemerkt hatte, daß dies die »Nichtsnutzige« im Herzen traf, die dann sogleich zu lachen aufhörte. Wenn man die beiden Gegnerinnen hörte, verkaufte die eine nur faule Fische, die andere nur verdorbenes Wurstzeug. Ihren Kampfposten hatte die schöne Normännin vornehmlich bei ihrer Fischbank, die schöne Lisa hinter ihrem Pulte; so vernichteten sie einander mit den Blicken quer über die Rambuteau-Straße. Da thronten sie in ihren langen, weißen Schürzen, mit ihren Toiletten und ihrem Schmuck. Schon am Morgen begann die Schlacht.
Schau, die dicke Kuh ist schon auf! rief die schöne Normännin. Sie schnürt sich ein, wie ihre Würste! ... Aha, sie hat den Kragen vom Samstag angelegt und trägt schon wieder ihr Popelinekleid!
Im selben Augenblicke sagte jenseits der Straße die schöne Lisa zu ihrem Ladenmädchen:
Augustine, schauen Sie nur das Geschöpf dort drüben, das uns mustert! ... Sie ist ganz aus der Form gebracht durch das Leben, das sie führt ... Sehen Sie ihre Ohrgehänge? Ich glaube, sie hat wieder ihre großen Birnen, nicht wahr? Es ist wirklich ein Jammer, daß solche Dirnen Brillanten tragen!
Mein Gott, was sie ihr kosten! ... erwiderte Augustine gefällig.
Wenn eine von ihnen ein neues Schmuckstück hatte, so war das ein Sieg und die andere barst schier vor Ärger. Den ganzen Vormittag neideten sie sich gegenseitig die Kunden und zeigten sich sehr verdrossen, wenn sie sich einbildeten, daß das Geschäft besser gehe bei der »langen Mähre« da drüben. Dann kam das Bespähen des Frühstücks; sie wußten gegenseitig, was sie aßen und belauerten selbst ihre Verdauung. Nachmittag saß die eine zwischen ihren kalten Schüsseln, die andere bei ihren Fischen. Da machten sie sich schön, zierten sich und gaben sich alle erdenkliche Mühe, die andere zu übertrumpfen. Dies war die Stunde, die den Erfolg des Tages entschied. Die schöne Normännin strickte, wählte sehr feine Handarbeiten, was die schöne Lisa außer sich brachte.
Sie täte besser, sagte sie, die Strümpfe ihres Jungen auszubessern, der barfüßig geht. Seht doch dieses Fräulein mit den roten Händen, die nach Fischen stinken!
Lisa strickte gewöhnlich.
Sie hat noch immer einen und denselben Strumpf in der Hand, sagte die andere. Sie schläft bei der Arbeit ein ... sie ißt auch zu viel ... Wenn ihr Hahnrei auf diese Strümpfe wartet, um warm zu gehen! ...
So verharrten sie in unversöhnlicher Feindseligkeit bis zum Abend, jeden Besuch mit so raschem Blick erläuternd, daß sie die geringste Einzelheit an der Person der Gegnerin erfaßten, während andere Frauen erklärten, in solcher Entfernung nichts bemerken zu können. Fräulein Saget bewunderte die guten Augen der Frau Quenu eines Tages, als diese auf der linken Wange der Fischhändlerin eine Schramme entdeckten. – Mit solchen Augen, sagte sie, könne man durch die Türen sehen. Oft war bei Einbruch der Nacht der Kampf noch nicht entschieden; zuweilen blieb die eine auf der Walstatt, übte aber am folgenden Tage Vergeltung. Im Stadtviertel wettete man auf die schöne Lisa oder auf die schöne Normännin.
Dies ging so weit, daß die beiden ihren Kindern untersagten, miteinander zu reden. Pauline und Feinchen waren früher gute Freunde gewesen, wenngleich Pauline mit ihren gesteiften Röcken einem vornehmen Fräulein glich, während Feinchen schmutzig war und fluchte wie ein Kärrner. Wenn sie zusammen auf dem breiten Fußweg vor dem Fischpavillon spielten, machte Pauline den Karren. Aber eines Tages, als Feinchen kam, um Pauline zu holen, zeigte Lisa ihm die Türe und nannte ihn einen Gassenjungen.
Kann man denn wissen bei so schlecht erzogenen Kindern? ... sagte sie. Der Junge hat so schlimme Beispiele vor Augen, daß ich nicht ruhig bin, wenn er mit meiner Tochter ist.
Das Kind war sieben Jahre alt. Fräulein Saget, die anwesend war, setzte hinzu:
Sie haben recht. Der Bengel steckt immer unter den kleinen Mädchen des Stadtviertels ... Neulich hat man ihn mit der Tochter des Kohlenhändlers in einem Keller getroffen.
Als Feinchen sein Erlebnis weinend seiner Mutter erzählte, geriet die schöne Normännin in einen schrecklichen Zorn. Sie wollte zu den Quenu-Gradelle gehen, um dort alles zu zerschlagen. Dann begnügte sie sich, Feinchen durchzuprügeln.
Wenn du je wieder dorthin gehst, rief sie wütend, hast du es mit mir zu tun.
Aber das eigentliche Opfer der beiden Frauen war Florent. Im Grunde hatte er allein sie auf diesen Kriegsfuß gebracht; sie schlugen sich nur seinethalben. Seit seiner Ankunft ging alles schief; er kompromittierte, erzürnte, beunruhigte diese Leute, die bis dahin in bester Eintracht gelebt hatten. Die schöne Normännin würde ihm gern mit den Nägeln ins Gesicht gefahren sein, wenn sie ihn zu lange bei den Quenu verweilen sah. Die Kampflust trug viel dazu bei, wenn sie nach diesem Manne Verlangen trug. Die schöne Lisa bewahrte die strenge Haltung eines Richters angesichts der schlimmen Lebensführung ihres Schwagers, dessen Beziehungen zu den beiden Schwestern Méhudin das Ärgernis des ganzen Stadtviertels waren. Sie war furchtbar verdrossen; sie bemühte sich, ihre Eifersucht zu verbergen, eine seltsame Eifersucht, die trotz ihrer Verachtung für Florent und trotz ihrer Kälte einer ehrbaren Frau sie jedesmal verbitterte, wenn ihr Schwager den Laden verließ, um nach der Pirouette-Straße zu gehen, und wenn sie sich