Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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vor dem Hause. Innen war es allmählich still geworden, und die Fensterläden waren geschlossen. Alles schlief. Nur im Wirtszimmer lärmten noch die Südfranzosen und begrüßten mit Händeklatschen jede neue aus der Küche herbeigebrachte Platte. Dann gingen auch sie zur Ruhe. Ringsum war Abendkühle und Mondschein.

      Ein märchenhaftes Schweigen lag über der Hochwelt, in deren verborgensten Schründen und Falten der einsame Wanderer am Himmel oben, der Mond, sein träumerisches Silberlicht sich widerspiegeln ließ. Der einsame Mann da unten auf der Erde schaute zu ihm auf. In ihm war alles feierlich und stumm. Hier war die Ruhe. Das Nichts.

      Jenes Nirwana, das freudlos und leidlos den erkaltenden Erdball einst in weiße Gletscherlinnen betten wird, wenn die letzten lebenden Wesen da unten ausgeatmet und Liebe und Haß, Lachen und Weinen, Angst und Hoffnung mit sich ins Grab genommen haben. Dann ist der bunte Traum der Welt ausgeträumt. Tiefer Schlaf – selige Stille, in der Menschenbewußtsein und Menschenerkenntnis stumm versinken.

      Aber noch leben die Menschen und lieben und hassen und lachen und weinen. Im Dämmern der Mondnacht trug das ewige Firnreich ihre Spuren; Fußstapfen im Schnee, die sich, als habe eine Riesenschlange des Mittags auf dem Gipfel rasten wollen, in vielfachen Windungen als festgetretener Pfad die Hänge hinaufzogen. Weiter oben wohl noch Stufentritte in blitzblanken Eiswänden und da und dort, in windgeschützten Kesseln, die Eindrücke schwer hingelagerter rastender Körper, leere Flaschen und Papierfetzen, über denen jetzt im Wehen der Nacht leise und unermüdlich die Firnkörner zu einer neuen Decke zusammenstäubten und alles zu verwischen strebten, was an die verhaßten Eindringlinge, an den ewigen Kampf zwischen dem Menschen und dem Berg erinnerte.

      Aber ganz gelang es den dahinwirbelnden Schneeschleiern in dieser heiteren Sommernacht doch nicht, den Kehricht des verflossenen Tages mit ihrem reinen Weiß zu überpudern. Es blieben noch, dem geübten Auge wohl kenntlich, Merkmale zurück, die dem einsamen, von keinem Führer und keinem Genossen begleiteten Bergsteiger den rechten Pfad zur Höhe wiesen. Brach er kurz vor Mitternacht auf, ehe da innen wieder das Kerzenlicht durch die Ladenluken flammte und in Gähnen, Seufzen und Fluchen, im Knattern des Küchenfeuers und dem Gepolter der Führerschuhe der neue Tag begann, so hatte er einen ungestörten Aufstieg vor sich und stand in der Morgensonne am Ziel.

      Würde er die Sonne wieder untergehen sehen? Ganz plötzlich hatte er die ruhige Gewißheit: Nein. Heute war sie zum letztenmal vor seinen Augen im Abendgold versunken. Wenn sie morgen wiederkam, nahm sie ihn mit sich fort, in unbekannte Länder, die selbst er, der Weitgereiste, nie geschaut.

      Was lag auch an einem Menschen, hier am Montblanc? Hier hatte schon mehr als einer seinen Tod gefunden. Wenn hier, vom Süden her donnernd, der Föhn dem Trotz der Gipfelriesen zu Hilfe kommt und das Chaos des Schneesturms über die erdverlorenen Höhen hinschüttet, daß der Fuß des Wanderers ermattet in den weichen Federn versinkt – nach solchen Tagen hatte das kalte Mondlicht schon ganze Reihen der kleinen schwarzen Insekten still und starr auf dem weißen Tuche liegen sehen. Und mehr noch waren es, die der Berg selbst in Verwahrung nahm, die er, mit einem eisigen Sarg umpanzert, tief in den Schlünden der Gletscher für lange, vielleicht für immer den Menschenaugen entzieht.

      Morgen freilich lächelte der Berg. Aber auch das Lächeln der Riesen tötet, wenn der andere schwach ist. Und er fühlte sich matt und klein. Vergänglich gegenüber dieser ewigen Welt, hinschwindend wie ein Feuer, das schließlich in sich selbst erlöschen muß, wo das Todesschweigen des Eises die Jahrtausende überdauert. Verging dieses Lichtpünktchen hier in der Wüste, so flammte unten im Tal ein neues auf. Starb er, so wurde anderswo ein anderer Mensch geboren. Das kam und ging und war nichtig unter der Unermeßlichkeit dieser Himmelswölbung, die in tausendfachem, unruhigem Gefunkel sich über dem sehnenden Auge spannte.

      Er wendete den Blick ab und schaute nach unten, auf den Gletscher, dessen frosterstarrte Wogenkämme von drei Seiten die Schutzhütte umbrandeten. Es war ein Bild des Todes, diese weißen, im Mondschein dämmernden Flächen, diese wild geschwungenen, wie aus stürmischer Bewegung heraus mit einem Zauberschlag zu bläulichem Glas versteinerten Wellenlinien des Eismeeres.

      Und doch lebte es auf der zum Tal gesenkten Wüste von Firn und Schnee! Er trat zurück und fuhr mit der Hand über die Augen, wie um die Sinnestäuschung zu verscheuchen. Aber das Bild blieb! Da stand es, ganz dicht unter ihm, oder vielmehr, es bewegte sich – drei Gestalten, die, durch ein pendelndes Seil verbunden, langsam in der Nacht emporwanderten.

      Ein hagerer, knochiger Riese mit fuchsrotem Schnurrbart vorne, ein glattrasierter, lächelnder Zwerg hinten. Und zwischen ihnen eine mit weißen Schneeschleiern über und über verhüllte, gesenkten Hauptes in die Fußstapfen ihres Vorgängers tretende Erscheinung. Es sah aus, als hätten die beiden, der Riese und der Zwerg, auf einem gemeinsamen Raubzug irgendein seltenes Gletschergespenst gefangen und schleppten es im Triumph mit sich fort. Näher und näher kamen sie heran. Der oben stand gebannt und unbeweglich. Er hörte das Knirschen der Eispickel, das Schlürfen der Schuhe, wie die drei rastlos und stumm zu ihm heraufstiegen, als habe sie der über den Firnspalten brütende Eisdunst zu Nachtgebilden geformt. Jetzt klang schon ihr schweres Atemholen durch die stille Luft, es scharrte auf dem schneefreien Steingeröll unter der Hütte und wuchs gähnend im Mondschein.

      Da griff er nach seiner Eisaxt und stieg, ohne sich umzusehen, stumm und rasch die weißen Wände des Montblanc hinauf.

      23.

       Inhaltsverzeichnis

      Hinauf in der heiligen Stille, ferne über der Welt, dem höchsten Ziel entgegen! Tief da unten liegt die bunte Mannigfaltigkeit der Dinge, liegt Farbe und Lärm, Bewegung und Wechsel. Hier oben ist nur zweierlei reglos und dauernd: ringsum die weiße Unermeßlichkeit des ewigen Schnees und über ihr die sterndurchwirkte Unendlichkeit des Weltraumes.

      Und zwischen beiden dies kleine schwarze Pünktchen Leben, dies leicht sich kräuselnde Wölkchen von heißem Atem in frosterstarrter Öde, das sich da langsam und zähe in jene Welt hinaufarbeitet, in die es nicht gehört – die ihm verschollen bleiben sollte nach dem Willen der Natur und ihm innerlich ewig fremd bleiben wird.

      Lange schon war hinter dem einsamen Wanderer das »Hotel des Grands Mulets« geschwunden und mit den es umstarrenden Felsen als schwarz dämmernde Masse in der Nacht des Tales geblieben. Es war nichts mehr um ihn, was an Menschen erinnerte, als die schmale, halbverwehte Fußspur des preußischen Leutnants vom Tag vorher, die sich im Mondglanz vor ihm weiter und weiter zum Himmel hinaufzog. Erst in weitem Hakenschlag zu dem Kleinen Plateau, dann steil und gerade aufwärts in knirschendem, hartgebackenem Schnee, dessen Flächen weithin jäh wie schief gelegte Mauern abschossen.

      Schritt um Schritt, Stufe um Stufe, Viertelstunde um Viertelstunde in tiefem, lähmendem Schweigen. Er dachte nichts mehr, er fühlte nichts mehr, während er schwer atmend, den Blick auf den Boden gerichtet, aufwärts klomm – er wollte nur noch. Er wollte auf den Gipfel, der stechenden Schmerzen ungeachtet, die ihn immer heftiger zur Umkehr mahnten; und all die zähe Energie des Afrikaners raffte sich noch einmal gegen sich selbst zum entscheidenden Schlag zusammen und trieb den Körper vorwärts, wie der Reiter das zitternde Roß.

      Alle Augenblicke schien es, als wollte die Firnwand ein Ende nehmen. Aber immer neue weiße Kämme lugten hinter den bezwungenen Bergwellen hervor, und immer weiter führte die schnurgerade Spur wie eine Himmelsleiter hinauf in die gestirnte Nacht.

      Und wieder eine Viertelstunde und noch eine. Da wehte es kühl und schneidend um die erhitzten Wangen und vor den Augen öffnete sich weithin, im bläulichen Schein der Nacht zum weißen Wunderland verklärt und grenzenlos verschwimmend, der Riesenkessel des Großen Plateaus, der gewaltigsten Schneemasse, welche die europäischen Alpen kennen. Weiß ringsumher, nichts als silbernes, träumerisches Weiß! Im Halbkreis, den Mond überragend, die schneeigen Riesen der Montblancgruppe, mit ihren gewaltigen firnüberrieselten Flanken, deren Lawinenströme sich unten im Grund der stundenweiten Mulde zu blendend leuchtenden Schneehügeln und -tälern einen, in glitzerndem Schuppenglanz dazwischen das Blinken der Gletscher, und vor dem Fuß des Wanderers die weite weiße Ebene, über der der Wind stöhnend und zwecklos


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