Geheimnis Fussball. Christoph Bausenwein

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Geheimnis Fussball - Christoph Bausenwein


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Zum Kopfstoß muss der Spieler im richtigen Augenblick ansetzen, um den Ball frontal oder aus der Drehung mit der Stirn voll zu treffen. Ein außerordentliches „Timing“ erfordern Kopfstöße aus dem Sprung, insbesondere dann, wenn der Spieler dem Ball knapp über der Grasnarbe entgegenhechtet. Das Spiel ist also nicht nur durch „Bomber“ mit hartem Spannschuss gekennzeichnet oder durch mit dem Fuß wunderschön gedrechselte Bälle, sondern auch durch „Kopfball-Ungeheuer“ wie Horst Hrubesch, die mit ihrer Stirn den Gegner in Furcht und Schrecken versetzen. Entzückte den Fußball-Feinschmecker früher das „Sich-in-die Luft-Schrauben“ eines Karl-Heinz Riedle, so schnalzt er heute mit der Zunge, wenn der aus dem Mittelfeld sich heranpirschende Michael Ballack zum präzisen Kopfstoß ansetzt.

      Zur Artistik wird das Fußballspiel, wenn alle diese Techniken kombiniert werden. Fußball-Rastellis sind in der Lage, den Ball gleich Jongleuren, denen man die Arme gefesselt hat, wie an unsichtbaren Schnüren gezogen stundenlang über ihren Körper wandern zu lassen, ohne dass er zwischendurch auch nur ein einziges Mal den Boden berührt. Stehend, laufend, sitzend und liegend versetzen sie ihm mit den Füßen, den Oberschenkeln, der Brust, den Schultern, dem Kopf, dem Nacken und sogar dem verlängerten Rücken so genaue Stöße, dass sie ihn immer wieder mit einem anderen Körperteil annehmen und in der Luft halten können.

      Besonders erstaunlich war der Engländer George Best, der mit gleicher Geschicklichkeit wie mit dem Ball auch „mit den Frauen und den Millionen“ jongliert haben soll, fußballerisch bedeutsamer war jedoch das überragende Talent des Argentiniers Diego Maradona, der seine Ballzaubereien jederzeit sinnvoll in das Spiel seiner Mannschaft einzubauen wusste. Ihm gleichzustellen ist wohl nur der Brasilianer Pelé, der einmal – im Endspiel der WM 1958 gegen Schweden – folgendes Kunststück vollbrachte: Mit dem Rücken zum Tor stehend stoppte er einen hoch einfliegenden Ball mit dem Oberschenkel derart sanft, dass er dort einen kurzen Moment lang wie tot liegen blieb; dann ließ er ihn wie einen Wassertropfen über das Schienbein zum Fuß hinuntergleiten, lupfte ihn sich selbst und einem heranstürmenden Gegner über den Kopf, drehte sich im selben Augenblick um und schoss, noch ehe der Ball den Boden wieder berührt hatte – ins Tor!

      Solche Aktionen wären unmöglich, wenn es beim Fußball darauf ankäme, den Körper statt den Ball zu „spielen“. Während das Spielprinzip beim American- und beim Rugby-Football auf dem „körperlichen Kontakt“ beruht, ist der Fußball insofern ein „körperloses“ Spiel, als die Berührung des Balles und nicht die des Gegners im Vordergrund steht. Da es verboten ist, den Körper des Gegners ohne Ball direkt anzugehen, muss er versuchen, den Gegner mit dem Ball auszuspielen. Weil er gleichsam nur „im Dienste des Balles“ eingesetzt werden darf, steht der Körper nicht im Mittelpunkt der Aktionen. Im Angriff geht es nicht darum, durch Wegdrücken des Gegners eine Bresche in die Abwehr zu schlagen, vielmehr muss der Ball durch körperliche Geschicklichkeit und ebenso geschickte Körpertäuschungen am Gegner vorbeilanciert werden. Der Fußball ist also schon vom Ansatz her gewaltloser als die mit ihm verwandten Football-Spiele. Und je mehr „körperlose“ Technik ein Fußballspieler in Anwendung bringen kann, desto weniger ist er auf Körperkraft und Gewalt angewiesen, um sich durchsetzen zu können.

      Genau an diesem Punkt setzt die Kunst des Dribblings an. Der Begriff Dribbling bezeichnet das kontrollierte Führen des Balles am Fuß. Ein erfolgreiches Vorbeidribbeln am Gegner gelingt aber nur dann, wenn die sichere Führung des Balles kombiniert wird mit einer gleichzeitigen Körpertäuschung. Zuerst muss der Gegner in eine Bewegung hineingerissen werden, die ins Leere läuft, dann kann der Ball so gespielt werden, dass er keine Chance mehr hat, ihn zu erreichen. Der berühmte Matthews-Trick besteht nur aus der banalen, aber wirkungsvollen Finte „links antäuschen, rechts gehen“: Während der Abwehrspieler noch auf die Ausfallbewegung nach links reagierte, war Matthews schon vorbeigezogen. Über Matthews hieß es, dass er „wendig wie ein Affe“ gewesen sei, seinem brasilianischen Pendant Garrincha wurde „katzenhafte Geschmeidigkeit“ bescheinigt.

      Andere Brasilianer haben die Techniken, mit denen der Gegner in die falsche Richtung gelockt und damit düpiert werden kann, heute noch perfektioniert. Beim „Ronaldo-Samba“ wird der Fuß von außen nach innen über den rollenden Ball geführt und der Oberkörper mit in diese Richtung verlagert, dann aber in die entgegengesetzte Richtung weggedribbelt. Der „Ronaldinho-Trick“ besteht darin, aus dem Dribbling heraus den Ball mit der Fußaußenseite in einer abrupten Bewegung aus dem Fuß- und Kniegelenk kurz nach außen anzuspielen, um ihn dann in einer raschen Gegenbewegung mit der Innenseite des gleichen Fußes direkt nach innen „wegzukappen“. Trotz solcher Tricks gilt neuerdings der Nachwuchsstar Robinho als „König des Dribblings“. Er brilliert vor allem mit rasend schnell vorgetragenen „Übersteigern“ am Fließband: Er tritt mit einem Fuß über den Ball, täuscht mit dem anderen eine Bewegung in entgegengesetzter Richtung an – und wiederholt das so oft, bis der Gegner Knoten in den Beinen hat.

      Ein Matthews und ein Garrincha hätten im heutigen Tempo-Fußball trotz aller Wendigkeit wohl kaum eine Chance mehr. Heute muss alles viel schneller passieren, und so haben einige Spieler – der Nordire Ryan Giggs etwa, der Niederländer Arjen Robben oder der Portugiese Cristiano Ronaldo – Sprint und Dribbling zum „Tempodribbling“ kombiniert. In seiner geradezu aristokratischen Eleganz bis heute unerreicht ist freilich Franz Beckenbauer. Hans Blickensdörfer bewunderte die „Harmonie der sparsamen Bewegung“ in seinen Dribblings: „Ihm genügte schon die Andeutung einer Körperfinte, um den Gegner leer laufen zu lassen, und es ist eines seiner Geheimnisse gewesen, schon mit der nächsten aufzuwarten, ehe sich der Gegner wieder gefangen hatte.“ Die Beckenbauer oft bescheinigte „Arroganz“ beruhte vor allem auf dieser Fähigkeit, mit nur hingehauchten Bewegungen scheinbar mühelos alle Gegner abzuschütteln. Der fußballkundige Philosoph Heidegger, ein Fan des „genialen Spielers“ Beckenbauer, prägte für diese beispiellose Kombination von gefühlvoller Ballbehandlung und Körperbeherrschung den Begriff der „Unverwundbarkeit“ im Zweikampf.

      Während man das „körperlose“ Spiel mit dem Ball allenthalben rühmt, wird der „körperlose“ Angriff auf den Ball nur äußerst selten einmal gewürdigt. Im Gegenteil: Seit 1993 die „Grätsche von hinten“ verboten ist, geriet jedes Tackling derart in den Ruf der Brutalität, dass auf den Fußballplätzen die Kunst des feinen „Gleitangriffs“ („sliding tackling“) kaum mehr zu sehen ist. Fest steht aber, dass auch die geschickte und das Bein des Gegners schonende Eroberung des Balles zur hohen Schule des Spiels zählt. Gemeint ist hier nicht die in Werner Liebrich – Stopper bei der WM 1954 – Gestalt gewordene rohe „Herberger-Grätsche“, sondern die Fähigkeit, dem Gegner den Ball „vom Fuß zu spitzeln“, ohne dabei ein Foul zu begehen. Einer wie der enorm faire Per Mertesacker löst heute das, was früher vor allem von den Engländern mit rassigen Gleitangriffen bewältigt wurde, mit einem überragenden Stellungsspiel. An seinem Beispiel lässt sich festmachen, dass die Antizipation des Geschehens – und damit das Erwarten des Gegners an dem Ort, wo er im nächsten Moment sein wird – das gut getimte Hineinrutschen weitgehend überflüssig machen kann.

      Erfahrenen Trainern war schon immer klar: Das Gewinnen von Zweikämpfen im Fußball ist äußerst wichtig. „Denn der gewonnene Zweikampf“, so der Fußball-Nestor Hennes Weisweiler, „entscheidet über Ballbesitz, und nur mit dem Ball erreichen wir das gegnerische Tor.“ Konnte man früher allerdings nur vermuten, dass der Ausgang bestimmter Zweikämpfe über Sieg und Niederlage entscheidet – beispielsweise gilt für den Titelgewinn der deutschen Mannschaft bei der WM 1974 als ausschlaggebend, dass der Manndecker Vogts in der Auseinandersetzung mit dem holländischen Spielmacher Cruyff die Oberhand behielt –, so weiß man spätestens seit einigen nach der WM 1990 angestellten Analysen Genaueres: Nicht bestimmte Zweikämpfe, auch nicht die Härte der Zweikämpfe, sondern in der Anzahl der fair gewonnenen Zweikämpfe liegt der Schlüssel zum fußballerischen Erfolg.

      Besonders signifikant ist die Analyse zweier Länderspiele zwischen der BRD und Holland. Bei der EM 1988 kassierten die Holländer in der 53. Minute das 0:1. In der Folgezeit waren sie ständig in der Offensive, begingen 30 Minuten lang kein Foul, gewannen zwei Drittel aller Zweikämpfe und schließlich auch das Spiel mit 2:1. Einen ganz anderen Verlauf nahm das Achtelfinalspiel bei der WM 1990 in Italien. Zwar ging die Beckenbauer-Equipe auch hier kurz nach der Halbzeit in Führung (50. Minute), anschließend aber waren die Holländer nicht mehr


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