Geheimnis Fussball. Christoph Bausenwein

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Geheimnis Fussball - Christoph Bausenwein


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verloren das Spiel, die Deutschen wurden Weltmeister.

      Dass die Ergebnisse in diesen Spielen keineswegs zufällig waren, lässt sich eindrucksvoll bestätigen. 1990 hatten die Deutschen in sämtlichen Spielen in der Regel fair gespielt und sich als die mit Abstand zweikampfstärkste Mannschaft erwiesen, wobei sich Guido („Diego“) Buchwald, der fast 70 Prozent seiner Zweikämpfe gewinnen konnte, besonders hervorgetan hatte. Diese Buchwald-Quote erreichte bei der WM 1994 in den USA die gesamte Defensivabteilung der Brasilianer. Folglich wurde Brasilien Weltmeister, und die Deutschen, die mit weniger als 60 Prozent gewonnener Abwehr-Zweikämpfe in dieser Sparte den drittletzten Platz besetzten, schieden im Viertelfinale gegen Bulgarien aus. In der Regel ist beim Fußball weder mit „laschem“ noch mit übertriebenem und brutalem Zweikampfverhalten ein Blumentopf zu gewinnen. Von Fußballspielern, die Erfolg haben wollen, wird ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Aggressionskontrolle verlangt, und dies ist wohl – nebenbei bemerkt – auch mit ein Grund dafür, dass er, beispielsweise im Vergleich zum American Football, eine relativ ungefährliche Sportart ist.

      Weil die Fähigkeit, den Ball anzugreifen oder zu verteidigen, und nicht die Körperkraft entscheidend ist, können im Zweikampf auch Spieler bestehen, die alles andere als Hünen sind (Beispiel Berti Vogts). Weil der Ball und nicht der Körper im Fußball die Hauptrolle spielt, müssen Fußballer grundsätzlich keine besonderen körperlichen Voraussetzungen mitbringen, um sich in diesem Spiel durchsetzen zu können. Große und Kleine, Schwere und Leichte, Kräftige und Schwächliche, Schnelle und eher Langsame – beim Fußball haben alle eine Chance, sich durchzusetzen. Nicht so beim Football und beim Rugby. Hier werden die körperlich Untauglichen vom Spiel ausgeschlossen, und der Rest wird nach den Merkmalen seiner Körperstatur sortiert. Die Bedeutung der Körperstatur für die Funktion eines Spielers innerhalb der Mannschaft lässt sich besonders gut beim Rugby ablesen, weil hier – anders als beim Football – auf eine „Panzerung“ der Spieler verzichtet wird: Die Pfeiler, die für die Eroberung hart umkämpfter Bälle zuständig sind, sind kräftig und untersetzt; die Flügelstürmer, die den Ball im Sprint nach vorne tragen sollen, sind besonders athletisch; die Zweite-Reihe-Stürmer, die ein Gedränge von hinten stabilisieren müssen, sind außerordentlich groß und schwer; der Gedrängehalb dagegen, der die Rolle eines Spielmachers und beweglichen Ballverteilers auszufüllen hat, ist meist auffallend klein und schmächtig.

      Sicherlich gilt auch für den Fußball, dass bestimmte körperliche Merkmale im Spiel Vorteile bringen. So ist ein riesenhafter Mittelstürmer gegenüber einem zwergenhaften Abwehrspieler beim Kopfball sicher immer begünstigt. Dies schließt aber nicht aus, dass ein relativ kleiner Spieler wie Karl-Heinz Riedle aufgrund seiner enormen Sprungkraft zum weltweit gefährlichsten Kopfballspieler werden konnte. Die körperlichen Anforderungen, die an einen Fußballspieler gestellt werden, lassen sich also nicht so ohne weiteres in Zentimetern und Gramm ausdrücken. Fußballspieler sind im Durchschnitt wesentlich kleiner und leichter als Rugby- und Footballspieler. Mächtige Erscheinungen wie der Tscheche Jan Koller (2,02 Meter, 103 Kilogramm) sind auf Fußballplätzen eine große Ausnahme, die meisten Offensivkräfte von Klasseniveau sind eher schmächtig und klein.

      Robinho, der dem großen Pelé nacheifernde brasilianische Wunderknabe, bringt es bei 1,72 Meter gerade mal auf 60 Kilogramm. Der Durchschnittskicker „Peter Müller“, den der „Kicker“ zum 40. Geburtstag der Bundesliga aus seiner Datenbank ermittelte, ist 1,81 Meter groß und wiegt 77 Kilogramm. Auch Sekunden- und Ausdauerwerte sind nicht unbedingt ausschlaggebend. Zwar gibt es Sprinter, die 100 Meter unter elf Sekunden zurücklegen und Spitzengeschwindigkeiten von 34 km/h erreichen, doch meistens sind solche Leichtathleten schlechte Techniker – von Ausnahmen wie dem Russen Oleg Blochin und dem Brasilianer Roberto Carlos einmal abgesehen. Und selbst wenn im modernen Spiel immer mehr gelaufen werden muss und das Messen der Laktatwerte zum Trainingsalltag gehört, sind dem Bestreben, nur mit überlegener Fitness den Erfolg zu suchen, natürliche Grenzen gesetzt. Da heute alle Topspieler gleichermaßen fit sind, hat der Satz des Altbundestrainers Sepp Herberger, dass die Kondition „nur das Gespann vor den spielerischen Möglichkeiten“ ist, immer noch nichts von seiner Gültigkeit verloren.

      Was Gewicht und Größe angeht, ist der Fußball durch und durch demokratisch. Nicht einmal die Schuhgröße hat eine Bedeutung für das balltechnische Vermögen eines Spielers: Jan Koller stoppt den Ball gekonnt mit grotesken Riesenschlappen (Schuhgröße 50), Günter Netzer kam auf großem Fuß (Größe 46 2/3) aus der Tiefe des Raumes, Pelé (Größe 38) und Lothar Matthäus (Größe 40) brachten es in Knaben-Schühchen zu fußballerischem Ruhm. Ein Fußballspieler muss in erster Linie eine feine Koordination seiner Bewegungen und eine Menge Ballgefühl mitbringen. Bestimmte körperliche Eigenheiten können dabei eine Hilfestellung sein, sind aber keine Voraussetzung für fußballerischen Erfolg. Pelés Vater soll nach der Geburt seines Sohnes gesagt haben: „Ja, das wird einen guten Fußballer abgeben. Die Beine dafür hat er.“ Möglicherweise hat er an den Beinen des kleinen Pelé tatsächlich irgendetwas Besonderes entdeckt. Garrincha etwa, der beim Dribbling manchem Gegenspieler ein X für ein O vormachte, profitierte auf dem Fußballplatz von seinen körperlichen Besonderheiten: Sein längeres rechtes Bein war nach innen gebogen, das kürzere linke nach außen.

      Die meisten Fußballexperten sind sich auch darüber einig, dass kleine Spieler mit außergewöhnlich tiefliegendem Körperschwerpunkt besonders wendig sind. Eben jener Garrincha sowie der wohl treffsicherste Torschütze aller Zeiten, Gerd Müller, waren mit diesem Merkmal ausgezeichnet. Statistisch belegt ist ebenso, dass linksfüßige Spieler – vermutlich aufgrund taktischer und motorischer Vorteile in einem normalerweise „rechtslastigen“ Spiel – bessere Schützen sind als rechts-füßige. Alle weiteren Mutmaßungen jedoch, die über die Bedeutung des Sonderwuchses bei großen Fußballspielern angestellt wurden, müssen wohl ins Reich der Fabel verwiesen werden: so etwa die sportjournalistische These, dass sich die Akkuratesse der Beckenbauer’schen Ballbehandlung unmittelbar aus der Länge und der Konstellation seiner „an Finger erinnernden Zehen“ herleiten ließe, oder die Vorstellung, dass die Genialität der Pässe Netzers auf dessen großem Fuß beruhe, weil erst der es ihm ermöglicht habe, dem durch einen Spannstoß bereits auf die Reise geschickten Ball kurz vor dem Abheben mit der großen Zehe noch den entscheidenden „Schlenker“ mitzugeben.

      Der Fußballspieler benötigt also kaum körperliche Voraussetzungen, dafür umso mehr körperliche Begabung, die in ihrer höchsten Form zirkusreifer Artistik in nichts nachsteht. Es ist beim Fußball daher möglich, fast körperlos und allein zur Freude und zur Erholung zu spielen. Beim Football und beim Rugby, die von der Spielidee her junge, starke und furchtlose Spezialisten erfordern, die bereit und fähig sind zu hartem und gefährlichem körperlichem Einsatz, wäre das undenkbar. Der Fußball hingegen ist ein relativ ungefährliches Spiel mit vielen „körperlosen“ Momenten des virtuosen Jonglierens. Zugleich ist er aber nicht derart harmlos, dass jede Möglichkeit, „körperbetont“ zu spielen, herausgenommen wäre. Die Spieler treffen immer wieder mit ihren Körpern aufeinander, und die Grenzen zwischen Foulspiel und regulärem Körpereinsatz (Schieben mit angelegtem Arm, Sperren des Balles) sind nicht immer klar gezogen.

      Der Fußball bietet daher beides: ästhetischen Genuss genauso wie packende Momente des harten Zweikampfs. Weil immer unmittelbar um den Ball gekämpft wird und die Mannschaften nicht durch ein Netz getrennt sind, bleibt er trotz aller möglichen Artistik immer ein Kampfspiel. Genau das, den Kampfcharakter, könne und dürfe man dem „englischen Spiel“ nicht nehmen, wenn es die Menschen auch in Zukunft begeistern solle, meinte der Fußball-Historiker William Pickford schon im Jahr 1906: „Wenn man den Geist der Angelsachsen vom Nationalcharakter abziehen und durch die Milde und Geduld der Hindus ersetzen würde, wäre es wohl möglich, Fußball auf rein wissenschaftliche Weise zu spielen, mit keinem größeren Risiko als dem, das Spielen wie Tennis und Golf innewohnt. Wenn dieser Tag jedoch gekommen ist, werde ich meinen Stift weggelegt und meine Knochen für ihre letzte Reise gebettet haben, denn dann will ich nicht mehr auf der Welt sein.“

      MANNSCHAFTEN

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      Im Fußball spielt nicht nur die Körperbeherrschung eine Rolle. Aus 22 je für sich jonglierenden Künstlern oder elf Pärchen,


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