Geheimnis Fussball. Christoph Bausenwein

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Geheimnis Fussball - Christoph Bausenwein


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daher das Fußball- mit dem Schachspiel verglichen. Der Trainer Felix Magath, selbst ein begeisterter Schachspieler, meinte einmal: „Da und dort spielen zwei Teams auf begrenztem Feld. Die Ziele stehen in der Mitte, der König und das Tor.“ Die Fähigkeiten des österreichischen Fußballheros Matthias Sindelar wurden in einem Nachruf denen von Schach-Großmeistern gleichgesetzt, weil er wie diese mit weiter gedanklicher Konzeption, Züge und Gegenzüge vorausberechnend, unter allen Varianten stets die aussichtsreichste gewählt habe: „Er hatte sozusagen Geist in den Beinen, es fiel ihnen, im Laufen, eine Menge Überraschendes, Plötzliches ein, und Sindelars Schuss ins Tor traf wie eine glänzende Pointe, von der aus erst der meisterliche Aufbau der Geschichte, deren Krönung sie bildete, recht zu verstehen und zu würdigen war.“

      Der Versuch, die Abfolge der Spielzüge nach Art eines Schachspiels im Vorhinein zu entwickeln, muss jedoch nicht nur an der Eigenwilligkeit des Balles, sondern vor allem an der Vielzahl von Entwicklungsmöglichkeiten scheitern, in denen das Bewegungsspiel Fußball das Brettspiel Schach noch übertrifft. „Wollte eine Fußballmannschaft vor einem Spiel allen (!) bevorstehenden Spielzügen einen und nur einen Ort in ihrem Gesamtplan zuweisen“, schreibt Winfried Uesseler in einer Besprechung der Fußballtheorie Jean Paul Sartres, „sie würde kein vernünftiges Spiel zustande bringen und verlieren.“

      Selbst wenn also im Fußball spielstrategische Entwürfe möglich sind und man daher sagen kann, dass das Spiel einer Mannschaft einer „inneren Rationalität“ (Arnold Gehlen) folgt, so entsteht die Faszination dieses Sports doch nicht aus programmierten Entwürfen, sondern aus den in ihm angelegten Entwicklungsdynamiken. Jedes Spiel „lebt“ vom Unerwarteten, vom harterkämpften „Wenden des Blatts“, von urplötzlichen Umschwüngen und von jenen unvergesslichen Augenblicken, die nicht kopiert werden können. „Jede Sekunde ist einmalig“, meint Günter Netzer, und so ist es für den Zuschauer vollkommen unmöglich, schon vor dem Anstoß zu wissen, welcher spontanen Dramaturgie ein Spiel folgen wird. Fehler, Unberechenbarkeiten und plötzliche Intuition können alle Spekulationen über den Haufen werfen.

      Tore können schnell fallen und dann den weiteren Verlauf eines Spiels bestimmen: Der Türke Hakan Sükür benötigte bei der WM 2002 im Spiel gegen Südkorea vom Anpfiff weg ganze elf Sekunden. Tore können „psychologisch wichtig“ sein, wenn man sie kurz vor der Halbzeit oder kurz nach der Halbzeit erzielt. Tore können aber auch lange auf sich warten lassen. Selbst dann, wenn eine Mannschaft ein Spiel 80 Minuten lang überlegen gestaltet, dabei aber das Toreschießen „vergessen“ hat, kann die eigentlich unterlegene Mannschaft in zehn Minuten den Spielverlauf noch „auf den Kopf stellen“. Manchmal reicht sogar die Nachspielzeit. Im Champions-League-Finale 1999 erreichte Manchester United nach 0:1-Rückstand durch zwei nach der 90. Minute erzielte Tore doch noch den Titel. Es muss nicht immer die bessere Mannschaft sein, die gewinnt, denn nicht die Spielkunst zählt am Ende, sondern das entscheidende Tor. Und das kann, kurz vor dem Abpfiff, manchmal sogar ein Eigentor sein: So zum Beispiel im Europapokal-Halbfinale Roter Stern Belgrad - FC Bayern München am 24. April 1991, als Augenthaler seinen Torwart Aumann überraschte.

      Gegen Ende eines Spiels kommt die Spannung meist auf den Höhepunkt, denn in den meisten aller Fälle liegen die Kontrahenten nur um einen Treffer auseinander. Die Mannschaft, die in Führung liegt, klammert sich an ihren dünnen Vorsprung und versucht, das Spiel „über die Zeit zu retten“, indem sie „auf Zeit“ spielt und das Spiel langsam macht. Der Elf, die im Rückstand ist, läuft währenddessen die Zeit davon, also macht sie das Spiel schnell, um den Ball noch möglichst häufig gefährlich vor das Tor des Gegners zu bringen. Da sich so gegen Ende des Spiels die Anstrengungen der Spieler erhöhen, gleichzeitig aber ihre Konzentration nachgelassen hat, ist es kein Wunder, dass sich die Anzahl der in der letzten Viertelstunde erzielten Treffer signifikant erhöht. Laut „Kicker“-Statistiken fallen in Bundesligaspielen in den ersten 15 Minuten nur etwa halb so viel Tore wie in der Schlussviertelstunde. Oft bleibt freilich auch die Schlussattacke ohne Erfolg. Dann rächt sich die lasche Einstellung zu Beginn, durch die man wertvolle Zeit vergeudet hat. Wenn der Schiedsrichter abgepfiffen hat, bleibt nur noch das jammervolle Nachkarten: „Wir haben zu spät ins Spiel gefunden.“

      Ein Spiel kann durch mehrere schnell genutzte Chancen manchmal sehr rasch entschieden sein: Im Jahr 1973 erzielte Indepediente Buenos Aires im Spiel gegen Gimnasia y Esgrima zu Beginn der zweiten Halbzeit innerhalb von einer Minute und 50 Sekunden drei Tore. Einerseits. Andererseits ist eine Wende aber grundsätzlich fast immer möglich. Ältere Fußballfreunde erinnern sich an besonders „wahnwitzige“ Spiele, in denen ein 1:4 durch einen plötzlich „wie ein Irrwisch über den Platz fegenden“ Seppl Pirrung im Nu in ein 7:4 verwandelt werden (1. FC Kaiserslautern - Bayern München, Saison 1973/74), oder in einem „Wunder an der Weser“ aus einem 0:3 noch ein 5:3 wird (Werder Bremen - RSC Anderlecht, 1993).

      Ein Fußballspiel bedeutet Hoffnung und Spannung vom Anstoß bis zum Abpfiff: Hoffnung auf den noch möglichen Ausgleich, Hoffnung, dass die eigene Mannschaft den Vorsprung halten kann, und Spannung, weil die Zeit davonläuft, weil ein einziges Tor schon entscheidend sein kann, weil man nie weiß, wann der Schiedsrichter einen Elfmeter pfeift. Erwarten kann man beim Fußball gar nichts, nicht einmal, dass nach 90 Minuten abgepfiffen wird – so kann noch in der „Nachspielzeit“ ein Unentschieden gerettet oder der Sieg errungen werden –, und auch, dass überhaupt eine Mannschaft den Platz als Sieger verlässt, ist im Liga-Alltag nicht garantiert. Deswegen lag der Humorist Karl Valentin nicht richtig, als er nach dem Besuch eines Spiels feststellte: „Enden tat das Spiel mit dem Sieg der einen Partei. Die andere hatte den Sieg verloren. Es war vorauszusehen, dass es so kam.“ Auch ein 0:0 wäre ja möglich gewesen, und das Spiel hätte deswegen an Spannung nicht verlieren müssen – denn bis zum Schlusspfiff hat ja keiner gewusst, dass es so enden würde.

      TORE

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      Klaus Fischer brachte das, worum es beim Fußball geht, knapp auf den Punkt: „Tore sind das Salz in der Suppe.“ Die anderen nicht zu Potte kommen lassen und selber Tore schießen, allein das ist es, worauf’s ankommt. Den Bundesliga-Rekord von 101 Treffer in einer Saison hält Bayern München (1971/72). Den offiziellen Weltrekord in einem internationalen Spiel hält Australien mit einem 31:0 über Amerikanisch Samoa, erzielt am 11. April 2001 während der Qualifikation zur WM 2002. Nahezu unglaublich sind die Rekorde von Gerd Müller: In der Bundesliga schoss er für Bayern München 365 Tore (0,84 pro Spiel), die Bundesligasaison 1971/72 beendete er, bei 34 Spieltagen, mit 40 Treffern, und bei 62 Auftritten in der deutschen Nationalelf brachte er es auf 68 Tore. Müller war eine wahre „Torfabrik“. Den Rekord für die meisten Tore in Folge hält allerdings nicht Müller, sondern der Kölner Thomas Allofs: Er schaffte 1984 14 Tore in zehn aufeinander folgenden Spielen.

      Ein weiterer Rekord geht zugleich auf einen Kölner und einen Müller. Keiner schoss in der Bundesliga so viele Tore in einem Spiel wie Dieter Müller vom 1. FC Köln. Sechsmal brachte er den Ball 1977 im Kasten von Werder Bremen unter. Spieler, die einen Hattrick schafften – drei Tore hintereinander in einem Spiel – gibt es einige. Das Kunststück eines doppelten Hattricks gelang aber nur einem. Elder Hadzimehmedovic, bosnischer Fußballprofi, schoss im Jahr 2003 beim 6:0 von Lyn Oslo gegen NSI Ruvnavik (Faröer), einem Qualifikationsspiel zum UEFA-Pokal, alle sechs Tore, je drei in einer Halbzeit. Fehlen noch die Eigentore, die gar nicht so selten vorkommen. Ein Mannschaftskamerad von Gerd Müller, Franz Beckenbauer, traf immer wieder mal ins eigene Netz. Ein Kunststück wie Nikolce Noveski gelang ihm dabei allerdings nicht: Der Mainzer fälschte den Ball im November 2005 im Spiel gegen Frankfurt innerhalb von vier Minuten zweimal so ab, dass er den Weg ins eigene Tor fand. Anschließend traf er noch einmal ins richtige, also in das des Gegners.

      Um die fußballspezifische Qualität des Tores und die Leistungen von Müller, Müller & all den anderen auch richtig würdigen zu können, muss man wissen, dass der Fußball-Treffer innerhalb der Gattung der Treffer und Punkte, die bei einem Ballspiel zählen und es entscheiden, eine besondere und vor allem besonders rare Spezies ist. Beim Football und beim Rugby tritt an die Stelle der einfachen Torwertung eine komplizierte Punktrechnung verschiedener Arten von Zählern, und bei anderen Ballsportarten gibt es in der Regel eine derartige Unmenge von Toren, dass ein gelungener


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